Mit einem Impfstoff gegen das Coronavirus rechnen Forscher frühestens 2021. Ein Gespräch mit Impfarzt Dr. Martin Pöllath über den langen Weg zum Impfstoff, das ganz große Geld und schmerzhafte Fehler der Vergangenheit.
In zwölf Monaten. Frühestens. Oder auch achtzehn, vielleicht noch viel später. Die Schätzungen, wie lange die Welt sich noch gedulden muss, bis endlich ein Stoff auf den Markt kommt, der gegen eine Infektion mit dem Erreger Sars-CoV-2 schützt, haben eines gemeinsam: Es dauert noch. Habt Geduld. Weltweit klammern sich die Menschen an die diffuse Hoffnung Impfstoff. Ist überhaupt garantiert, dass ein solcher Stoff existiert oder konstruiert werden könnte? Böte er hundertprozentigen Schutz? Könnte ich mich einer Impfung widersetzen? Der erfahrene Impfarzt und Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes Amberg-Sulzbach, Dr. Martin Pöllath, klärt auf.
Herr Pöllath, was bewirkt ein Impfstoff eigentlich?
Dr. Martin Pöllath: Man unterscheidet grundsätzlich zwischen aktiven und passiven Impfungen. Bei der aktiven Impfung wird der Körper des Impflings angeregt, eigene Abwehrkräfte, sogenannte Antikörper zu entwickeln. Bei der passiven Impfung dagegen injiziert man Antikörper, die aus dem Blutplasma anderer Menschen gewonnen wurden, die sich im Lauf ihres Lebens bereits mit dem Erreger auseinandergesetzt und Antikörper gebildet haben.
Gibt es eine Garantie, dass für das Coronavirus ein passender Impfstoff entwickelt werden kann?
Pöllath: Im Moment sind weltweit etwa 40 Teams mit der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beschäftigt. Eine Garantie, dass ein geeigneter Stoff gefunden wird? Nein, die gibt es nicht. Es ist aber wahrscheinlich, dass wir einen Impfstoff bekommen werden. Dabei wird ein neuer Ansatz zur Herstellung von Impfstoffen helfen: DNA- oder besser RNA-Impfstoffe. Diese neue Technologie wird bei der Suche nach einer Impfung gegen SARS-CoV-2 eingesetzt. Den Chinesen ist es im Dezember gelungen, den genetischen Code des neuen Virus´ zu entschlüsseln. Diese außerordentlich schnelle Leistung war nur durch den Einsatz modernster Datenverarbeitungsmaschinen möglich. Der Viruscode wurde von der chinesischen Arbeitsgruppe sofort im Internet frei zugänglich gemacht, so dass er allen Forschern zur Verfügung steht.
Was passiert dann?
Pöllath: Schon 63 Tage nach der Veröffentlichung des Codes hat eine amerikanische Biotech-Firma einen Impfstoff gefunden und Mitte März mit der ersten Testung am Menschen begonnen. Durch die neuen Technologien sind wir also heute sehr schnell in der Lage, Impfstoffkandidaten zu finden. Dann aber beginnt das Problem. Mit dem Finden eines Impfstoffs ist es noch nicht getan. Der Stoff muss als Nächstes erprobt werden. Ist er sicher? Ist er wirksam? Welche Nebenwirkungen hat er? Das dauert. Es gilt, die Immunantwort der Testpersonen abzuwarten. Wir sprechen jetzt vom Faktor Zeit. Ein Jahr ist da schnell vergangen.
Pöllath: Ja, der Wettlauf ist schon im Gange. Ökonomische Überlegungen, auch Gewinnerzielungsabsichten spielen natürlich eine Rolle. Wer als erster einen effektiven Impfstoff findet, der nach entsprechender Erprobung die Marktreife erreicht, dem winkt möglicherweise hoher Gewinn. Aber es gibt sehr viele Risiken, sehr viele Unwägbarkeiten bei der Impfstoffentwicklung. Die Entwicklung von Impfstoffen ist extrem teuer. Eine Milliarde, egal ob in Dollar oder Euro gerechnet, sind eher die untere Grenze.
Das können sich nur die großen Wirtschaftsmächte leisten.
Pöllath: Die Herstellung eines Impfstoffs, jedenfalls die Entwicklung bis zur Marktreife, liegt heute in den Händen ganz großer Pharmafirmen. Die werden nur dann einsteigen, wenn sie sich einen entsprechenden Gewinn versprechen. Es könnte passieren, dass bis zur Marktreife eines solchen Impfstoffs so viel Zeit vergeht, dass sich die Pandemie durch die Entwicklung einer „Herdenimmunität“ schon wieder erheblich abgeschwächt hat. Dadurch könnte die Nachfrage nach einer Impfung tatsächlich sinken und damit der erwartete Erlös.
Ist es also vorstellbar, dass die Forscher die Impfstoffherstellung einfach abbrechen, weil sie nicht mehr rentabel wäre?
Pöllath: 2002/2003 trat erstmals eine SARS-Epidemie auf. Es handelte sich ebenfalls um ein damals noch unbekanntes Coronavirus, die Erkrankungs- und Sterbezahlen waren mit der aktuellen Pandemie aber in keiner Weise zu vergleichen. Damals hat man schnell das Interesse an der Entwicklung eines Impfstoffs wieder verloren, obwohl er schon fast fertig war. Die beteiligten Firmen hatten keinen wirtschaftlichen Gewinn mehr erwartet. Vielleicht sind wir dadurch klüger geworden. Das Coronavirus von heute wird nicht die letzte Pandemie bleiben. Ich hoffe, dass diesmal die Impfstoffentwicklung unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen bis zum Ende durchgezogen wird.
Wäre es möglich, dass ein einzelner Staat das alleinige Nutzungsrecht an einem solchen Impfstoff erwirbt?
Pöllath: Nein, das glaube ich nicht. Dafür ist die Pharmaindustrie zu stark globalisiert. In Anbetracht des bereits jetzt immensen wirtschaftlichen Schadens sind aber Staatsbeteiligungen zur Abdeckung des wirtschaftlichen Risikos der Pharmafirmen zu erwarten und auch sinnvoll.
Gehen wir dennoch davon aus, 2021 ist ein Impfstoff gegen das Coronavirus verfügbar. Der wäre dann für Milliarden Menschen von Interesse. Kann ein solcher Stoff überhaupt so schnell in dieser Masse produziert werden?
Pöllath: Natürlich nicht. Technische, strukturelle und wirtschaftliche Limitierungen liegen in der Natur der Sache. Die Möglichkeiten für eine derartige Anstrengung sind auf dem Globus bekanntermaßen sehr ungleich verteilt. Selbst wenn man alle Kräfte bündelt und massiv in die beschleunigte Herstellung investiert, würde es dauern, um Produktionsstätten aufzubauen. Ärmere Nationen sind dazu überhaupt nicht in der Lage.
Und wer hätte als erstes ein Anrecht auf eine Impfung?
Pöllath: Dazu müssen wir auf die nationale Ebene zurückkehren. Das können wir global unmöglich regeln. Wir tun uns ja schon auf europäischer Ebene äußerst schwer. Dafür fehlen uns die Strukturen, ich fürchte auch die Solidarität. Wer, welche Bevölkerungsgruppe, sollte also bei uns als erstes geimpft werden? Ganz klar: das Gesundheitspersonal, das Infizierte und Erkrankte untersucht, behandelt oder pflegt. Gleichzeitig sind Mitarbeiter im Gesundheitswesen durch ihre berufsbedingten Kontakte mit Patienten oder Heimbewohnern leider auch häufige Überträger von Keimen. An zweiter Stelle ist die vulnerable Gruppe der älteren Menschen zu nennen. Sie ist für das Virus besonders anfällig, bei Ihnen kommt es mit einer klaren Häufung zu Todesfällen durch die Covid-19-Lungenerkrankung.
"Das Coronavirus wird nicht die letzte Pandemie bleiben."
Dr. Martin Pöllath
Lässt sich das so einfach durchsetzen? Was würde passieren, wenn jemand sagt: "Ich habe eine Million Euro, impft mich!"?
Pöllath: Das ist eine sehr theoretische Frage. Ich glaube, der Fall wird in der Praxis nicht eintreten. Sollte vielleicht zum Jahresende oder im Lauf von 2021 eine Impfung zur Verfügung stehen, wird die natürliche Durchimmunisierung der Bevölkerung so weit vorangeschritten und die Gesundheitsgefahr für den Einzelnen so deutlich gesunken sein, dass keiner mehr bereit sein wird, so viel Geld auszugeben. Vermutlich würde der Impfstoff dann auch in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen.
Das Infektionsschutzgesetz schreibt vor, dass eine Impfpflicht dann möglich ist, wenn mit einem epidemischen Verlauf der Krankheit zu rechnen ist. Kommt im Falle des Coronavirus´ also eine verpflichtende Impfung auf uns zu?
Pöllath: Das weiß ich nicht. Ich hoffe und glaube, dass diese Pandemie relativ rasch wieder abflauen wird. Es wird vermutlich ein zweites Aufflammen geben, das aber schwächer sein dürfte. Danach kann man das Impf-Thema schon entspannter betrachten. Eine Impfpflicht ist denkbar. Die natürliche Immunisierung der Bevölkerung schreitet aber zwangsläufig voran. Ich habe deshalb Zweifel, ob eine Impfpflicht kommt. Ich selbst würde mich dann gerne impfen lassen. Ich habe Impfungen immer als Segen, als Errungenschaft der modernen Medizin empfunden. In den drei Jahren, die ich in Tansania als Arzt gearbeitet habe, haben wir Kinder an Masern, Tollwut, Tetanus und vielen anderen Infektionskrankheiten sterben sehen. Die Bevölkerung dort wäre froh gewesen, wenn sie so gut durchgeimpft gewesen wäre wie wir es in Deutschland zum überwiegenden Teil sind.
Wäre mit einem Impfstoff der Kampf gegen das Coronavirus gewonnen?
Pöllath: Es werden neue Viren kommen, gegen die ein jetzt gefundener, spezieller SARS-CoV-2-Impfstoff vermutlich nicht zwangsläufig wirksam sein wird. Deshalb gibt es Teams, die an Impfstoffen arbeiten, die gegen Gruppen von Viren wirksam sind. Möglicherweise kann das aktuelle SARS-Virus in einen derartigen Impfstoff eingebaut werden. Dennoch wäre ein reiner SARS-CoV-2-Impfstoff für die langfristige Bewältigung der Pandemie eine wichtige Hilfe. Im Moment hängt alles von der sozialen Distanz der Menschen ab, in bestimmten Fällen von Quarantäne-Maßnahmen. Persönlich halte ich auch die Verwendung eines Mundnasenschutzes in möglichst vielen Bereichen für sinnvoll.
Dr. Martin Pöllath (Jahrgang 1954) ist gebürtiger Weidener. Nach seiner Promotion zum Doktor der Medizin 1981 arbeitete er unter anderem drei Jahre lang als Arzt im St. Joseph Hospital in Kagondo/Tansania. Dort erlebte er erstmals hautnah die verheerenden Folgen von Infektionskrankheiten, wenn in einem Land keine flächendeckende Versorgung mit Impfstoffen möglich ist. 1991 erwarb Pöllath das Diplom für Tropenmedizin und Hygiene an der University of Liverpool. Seit 26 Jahren ist er in Sulzbach-Rosenberg niedergelassener Chirurg und Proktologe mit umfangreicher Impftätigkeit als Reisemediziner.
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