Im Jahr 2000 debütierte der damals 30-jährige Eggers mit seinen Memoiren „Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität. Eine wahre Geschichte" und schaffte es damit auf die Longlist des Pulitzer-Preises. Was nach postmoderner Hochstapelei klang, war tiefgründig und voller Tragik. Eggers schilderte darin, wie er nach dem Tod seiner Eltern, die rasch nacheinander an Krebs starben, die Verantwortung für seinen achtjährigen Bruder übernehmen musste und die 1990er Jahre zwischen Überforderung und Zuversicht als selbst noch fast kindlicher Erzieher verbrachte.
Damit startete eine beachtliche Karriere, in deren Verlauf Eggers als Drehbuchautor, Verleger, sozial engagierter Unternehmer und produktiver Romancier Vielseitigkeit bewies.
Klischees - und beißende RealsatireBeide Romane operieren mit starker Abstraktion und setzen diese doch sehr unterschiedlich ein: In „Die Parade" begegnet man zwei Männern, die von einem dubiosen Konzern in ein Land kurz nach einem Bürgerkrieg geschickt werden, um eine Straße zu asphaltieren. In der Geschichte rund um die beiden höchst unterschiedlichen Protagonisten, die nur mit ihren Codenamen Vier und Neun erscheinen, nimmt Eggers das zynische System der Entwicklungshilfe aufs Korn.
„Der größte Kapitän aller Zeiten" wiederum ist eine Satire über die Präsidentschaft Donald Trumps, bei deren Lektüre einem das Lachen im Hals stecken bleibt. So sehr Eggers in beiden Romanen versucht, seine Protagonisten zu entindividualisieren, zu Archetypen werden zu lassen, so unterschiedlich ist der Effekt: Bei „Die Parade" führt Eggers' Parabel geradewegs ins Klischee, in „Der größte Kapitän aller Zeiten" erschließt sie die Mechanismen einer politischen Realsatire.
Allegorischer „Failed State"Vier, der hochprofessionelle und starre Infrastrukturspezialist, dessen Aufgabe es in „Die Parade" ist, 230 Kilometer einer Straße zu asphaltieren, die die nördliche Hauptstadt des namenlosen Bürgerkriegslandes mit dem Süden verbindet, wird von Kollegen „die Uhr" genannt. Er sieht weder nach rechts noch links, wenn er arbeitet, interessiert sich nicht für das Leid der Kriegsgeschädigten und versucht um jeden Preis, seinen Zeitplan einzuhalten.
Am Ende seiner Arbeit soll es eine Parade geben, die symbolisch die Vereinigung des Landes durch den Geist des Wiederaufbaus darstellen soll. Doch Viers Kollege und Antipode Neun tut mit seinem chaotischen Wesen alles, um den straffen Zeitplan durcheinanderzubringen. Neun spricht die Landessprache, feiert ausschweifende Feste mit den Einwohnern, lässt sich von ihrer Freude über die neue Straße und den Segnungen der Infrastruktur euphorisieren und wähnt sich als Agent einer guten Sache.
Während Neun sich zum Frühstück Eier kocht, die „nach dem Leben" schmecken, igelt sich Vier in seinen Kokon aus Ausrüstung, Dienstanweisung, Astronautennahrung und Kommunikationsverweigerung ein. In Neun sieht er eine wandelnde Gefahr für sich und andere. Ständig stellt er sich vor, seinen Kollegen zu bestrafen, ihn zurechtzuweisen oder feuern zu lassen.
Das Ende der moralischen ParabelDieses Gespann aus dem unverbesserlichen und zynischen Bürokraten und dem unbekümmerten poetischen Geist, der in allem nur Exotisches und Schönes sieht, könnte zur überraschenden Pointe dienen, wenn nicht alles im Klischee erstarren würde. Eggers' Versuch einer moralischen Parabel geht gehörig nach hinten los.
Anstatt durch seine beiden Figuren, dem „zynischen Systemerhalter" und dem „naiven Exotisten", aufzuzeigen, wie zynisch und profitgetrieben das System der Entwicklungshilfe ist, muss man ihm hier vorwerfen, als amerikanischer Schriftsteller alle Versatzstücke der Beschreibung eines afrikanischen „Failed State" auf ein einzelnes Land verdichtet zu haben. So wird jede Differenzierung unmöglich.
Damit macht sich Eggers zur Zielscheibe einer intensiv geführten Debatte über kulturelle Aneignung und postkoloniale Herrschaftserzählungen, die den ehemals Unterdrückten dann auch noch die eigene Schuld an der wirtschaftlichen Misere und grassierenden Gewalt erklären will.
Auf dem irrsinnigen StaatsschiffDeutlich besser funktioniert Eggers' erzählerisches Experiment mit der Abstraktion im Falle seiner unverhohlenen Donald-Trump-Satire „Der größte Kapitän aller Zeiten". Darin verwandelt er die USA kurzerhand in ein Schiff namens „Glory", das nach einem neuen Kapitän sucht.
Aus einer verqueren Diskussion heraus wird der größte Lügner und Einfaltspinsel des Schiffes zum Kapitän. Die satirische Überspitzung legt hier erstaunlich plausibel offen, wie die Besatzung und Passagiere diese fatale Wahl treffen können: „Schon seit Langem herrschte auf dem Schiff eine Maxime, die alle Eltern ihren Kindern beibrachten und die da lautete: ‚Auf diesem Schiff kann jeder Kapitän werden.'"
Der größtmögliche Unfall innerhalb der liberalen Schiffsdemokratie entsteht hier aus verdrehter Gleichbehandlung: „Für viele Passagiere war das wunderbar einleuchtend. Um zu beweisen, dass sie alle gleich waren, sollten sie, so der logische Schluss, einem bekannten Mann die Führung überlassen, der bekanntermaßen ein Dummkopf war."
Die Diktatur der DummheitEs dauert nicht lange und die Dummheit verwandelt sich in Diktatur. Der Kapitän, dessen wichtigster Berater eine Stimme aus dem Maschinenraum ist, die ihm Verschwörungstheorien zuraunt, wenn er schlaflos unter seinem Bett kauert, lässt bald „gewisse Leute" - allesamt politische Gegner oder Menschen, „die dunkelhäutig genannt werden könnten", von Bord werfen und ertränken.
Jeder, der in der Lage ist, das Schiff zu steuern, wird gefeuert - der Kapitän fühlt sich in der Nähe kompetenter Menschen „unwohl" - und durch einen Günstling ersetzt. „Der größte Kapitän der Welt" ist ein politisches Märchen für Erwachsene. Eggers stellt sich damit überzeugend in eine jahrhundertealte Tradition.
Denn die Allegorie vom Staat als Schiff findet sich bereits in Platons „Staat" und Sophokles' „Antigone". Sebastian Brant hat im 15. Jahrhundert sein „Narrenschiff" geschrieben und wurde zu einem zentralen literarischen Werk der beginnenden Frühen Neuzeit. So diente Brants „Narrenschiff" wohl in gewisser Weise als Vorlage für Eggers' „Glory", auf der die Demokratie verrückt spielt.