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Inszenierung und Narrativ

Politische Konversionen gibt es in beide Richtungen. Dass die Ex-Linken lauter und sichtbarer sind, hat strukturelle Gründe.

von Felix Schilk

Henning Eichberg gilt als eine der Gründungsfiguren der Neuen Rechten in Deutschland. Mit den Ideen des „Ethnopluralismus“ und der „nationalen Identität“ wollte er die aus dem modernen Universalismus entspringende Entfremdung bekämpfen. Weil er sich dabei auf Foucault berief und Begriffe der kulturellen Vielfalt und der Dezentralisierung gegen Imperialismus und Kolonialismus ins Feld führte, galt er in den 1970er Jahren als Querfronttheoretiker und Nationalrevolutionär. 1982 ging er nach Dänemark und wurde dort Professor für Sportsoziologie und Mitglied der Sozialistischen Volkspartei. Sein Denken blieb antiuniversalistisch und volksbezogen, allerdings entfernte er sich im Laufe der Zeit habituell und moralisch von der Neuen Rechten, in der er kurz vor seinem Tod „fremdenfeindliche Hetzer“ mit „militärischem Habitus“ und „narzisstischem Körperkult“ erkannte. Ob Eichberg dadurch vom Rechten zum Linken wurde, kann man unterschiedlich beurteilen. Interessant ist aber, wie stark sich sein Weg aus der Neuen Rechten von dem der zahlreichen ex-linken Renegaten in die Neue Rechte unterscheidet.

Jürgen Elsässer galt bis in die Zeit nach 9/11 als linker Journalist, obwohl er schon immer durch einen militärischen Habitus und einen narzisstischen Körperkult auffiel. Er debütierte im Umfeld des Kommunistischen Bundes, entdeckte in den 1990er Jahren seine Faszination für den serbischen Nationalismus und erklärte in den Nullerjahren die USA und das „globale Finanzkapital“ zum Hauptfeind. Seine im September des letzten Jahres erschienene Autobiografie „Ich bin ein Deutscher. Wie ein Linker zum Patrioten wurde“ ist eine endlose Schilderung persönlicher und beruflicher Streitereien. Mit Elsässer hielt es niemand lange aus. Auf der privaten Ebene das gleiche Bild: Frauen, im Buch detailliert nach ihrer ‚Fickbarkeit‘ bewertet, wurden verlassen und übergriffig behandelt. Schuld am Niedergang der Linken soll aber der Feminismus sein, der als „hinterfotziges Mittel im Linienkampf missbraucht worden war“. Kritische Leser:innen lernen, dass Selbstgerechtigkeit und Misogynie die Hauptachsen von Elsässers politischem Koordinatensystem bilden.

Triumph der Selbstgerechtigkeit

Wenn man Eichberg mit Elsässer vergleicht, sieht man die wesentlichen Gründe für das Phänomen der Renegaten wie in einem Brennglas. Eichbergs kulturkritische Entfremdungskritik, die man in den letzten Jahren so ähnlich auch bei den Querdenkern studieren konnte, ist der Missing Link zwischen rechtem Authentizitätsfimmel und linksanarchistischem Zivilisationsressentiment. Seine durch die Sportsoziologie vermittelte geschlechtersensible Reflexion des männlichen Körperpanzers brachte ihn aber auf Distanz zu seinem politischen Herkunftslager. Ähnlich erging es vor einigen Jahren wohl der ehemaligen neurechten Influencerin Lisa Licentia, die die Ränkespiele und LGBTQI-Feindlichkeit in den Reihen der Identitären und der AfD als Grund für ihren Ausstieg nannte. Der rote Faden in Elsässers Biografie ist der Hass auf Feminismus, Political Correctness und Selbstreflexion. Er mag einige inhaltliche Kehrtwenden vollzogen haben, ist sich habituell aber treu geblieben. Ex-linke Renegaten wie Elsässer sind deshalb viel lauter und unangenehmer als ex-rechte Renegat:innen wie Eichberg oder Licentia.

Die Abkehr vom rechten Milieu geht in der Regel mit Scham, Reue und emotionaler Arbeit einher, die einen zeitweiligen Rückzug aus der Öffentlichkeit erfordert und den Wunsch nach Wiedergutmachung aufkommen lässt. Die Ankunft im rechten Milieu ist hingegen häufig ein Triumph von Überlegenheitsgefühlen, Geltungssucht und Selbstgerechtigkeit, der ostentativ zelebriert wird. Egal ob Horst Mahler, Bernd Rabehl, Reinhold Oberlercher oder Günter Maschke, sie alle genossen oder genießen die selbstgewählte Rolle als Enfant terrible. Und weil sich Selbstgerechtigkeit besser inszenieren und erzählen lässt, sind in der Öffentlichkeit vor allem die ex-linken Renegaten präsent. Man kann sie als Figuren in einem Ich-fixierten Mythos verstehen. Ihr Weg von links nach rechts ist vor allem eine öffentlich kommunizierte Konversionserzählung, die wie jede rechte Geschichtspolitik in erster Linie identitätsstiftend ist. Das typische Narrativ der ex-linken Renegaten, sich selbst treu geblieben zu sein, entlastet von der Verantwortung für die eigene biografische Vergangenheit.

Die Verlockung der Narrative

Dass die ex-linken Renegaten so viel sichtbarer sind liegt aber auch daran, dass die Renegateninszenierung strukturell rechts ist. Ein verbreitetes Motiv ist das „Erweckungserlebnis“, wie es auch für apokalyptische Texte und Verschwörungserzählungen typisch ist. Als guter Populist reklamiert der ex-linke Renegat den gesunden Menschenverstand und dünkt sich zugleich als Teil einer Elite, die den Mainstream hinter sich gelassen hat. Er kultiviert männliche Tugenden wie Stärke, Opferbereitschaft und Mut und kann alte Feindbilder und Dichotomien einfach durch neue ersetzen.

Generell funktioniert rechtes Denken und Schreiben viel stärker über Narrative als die mehr durch Analyse und theoretische Konsistenz, aber auch Dogmatik und Orthodoxie geprägten linken Texte. Narrative sind flexibler als Theorie und anschlussfähiger an unterschiedliche politische Sozialisationen. So kann jede:r die rechten Erzählungen nach Gusto variieren, solange er oder sie die großen Motive von Dekadenz, Menschenrechtsimperialismus und fehlender Souveränität beständig wiederholt. Es stimmt ja, dass sich Rechte seltener an begrifflicher Unschärfe oder ideologischen Inkohärenzen stoßen und das richtige Pathos für wichtiger als die Wahrheit erachten. Die Querfront wird daher überwiegend von rechts gesucht. Das macht es den ex-linken Renegaten verhältnismäßig leicht, ihre Schreibe auf rechts zu drehen.

Gekränkte Autodidakten

Der Vergleich von Eichberg und Elsässer zeigt auch die Auswirkung unterschiedlicher Berufsbiografien. Eichberg habilitierte sich mit einer historischen Arbeit über den modernen Sport und verfolgte danach eine relativ geradlinige wissenschaftliche Karriere. Elsässer hat als Lehrer gearbeitet und ist in allen anderen Bereichen Autodidakt. Es ist kein Zufall, dass dieser Typus bei den ex-linken Renegaten ebenso häufig auftritt wie der des gescheiterten und zum Publizisten gewordenen Akademikers. Während die wissenschaftliche Arbeit dafür sensibilisiert, die eigenen und fremden Theoriegebäude systematisch von außen zu betrachten, zeichnet sich der Autodidakt dadurch aus, dass er Wissen häufig selektiv und interessengeleitet rezipiert. Er ist Schatzsucher und Entdecker, erlebt Lektüre als Abenteuer und tendiert zu intellektueller Überheblichkeit. Das macht ihn anfälliger für Narrative und verständnisloser für gesellschaftliche Paradigmenwechsel. Weil er keine Methoden gelernt, sondern Wissen akkumuliert hat, droht ihm mit jedem Generationenwechsel eine kränkende Entwertung seines kulturellen Kapitals.

Die Renegatenpose ermöglicht es, dieses entwertete Wissen auf neue Weise zu kapitalisieren. Überhaupt lassen sich rechts bessere Geschäfte machen als in der notorisch klammen linken Szene. Laut Georg Seeßlen ist die politische Konversion daher auch ein vielversprechender Ausweg aus der ökonomischen Erfolglosigkeit: „Nehmen wir an, der ‚Linke‘, der seine biographischen Ziele erreicht hat, neige eher zu einer Verbürgerlichung oder zu einer Einrichtung in einer, sagen wir, post-linken, selbstreflexiven Schrumpfkultur, so können wir im Konvertiten wohl einen Menschen sehen, der noch immer nicht geworden ist, was er hat werden sollen.“

Agent Provocateur

Viele sozialpsychologische Studien zeigen einen Zusammenhang von biografischen Kränkungen und Autoritarismus, der sich in Form des klassischen Rechtsextremismus, aber auch als Reichsbürgerei, verschwörungsideologischer Eifer oder esoterischer Weltschmerz äußern kann. Schon Richard Hofstadter hat in seinem klassischen Text über den „Paranoid Style in American Politics“ auf eine Verbindung von paranoiden Persönlichkeitsstrukturen und Renegatentum hingewiesen.

Jüngst haben Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey das Phänomen eines libertären Autoritarismus skizziert. Er zeigt sich darin, dass er Freiheit nicht sozial und politisch, sondern rein individualistisch denkt. Dieser Autoritarismus sucht nach Selbstwirksamkeit und findet sie in trotzigen Gesten der Provokation und Selbstviktimisierung, die das rechte Lager eher goutiert. Libertären Spontis, Situationisten und Maoisten fällt die politische Konversion daher leichter als bürokratiefixierten Stalinisten.

Mit diesen Motiven vor Augen ließen sich nun Risikoprofile für Renegatenbiografien erstellen. Wo antiuniversalistische Entfremdungskritik und elitäre Dekadenzdiagnosen auf einen narrativen Schreibstil treffen, ist der reaktionäre turn vorgezeichnet. Wo Demut als Schwäche vor dem Feind geringgeschätzt wird, droht die One-Man-Show des abtrünnigen Revolutionärs. Zwischen ihm und der neurechten „Ein-Mann-Kaserne“ (Kubitschek) liegen nur noch biografische Einschnitte, die der Renegat nicht selbstreflexiv verarbeitet, sondern zum Erweckungserlebnis umdeutet.