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"Ratched" bei Netflix: Eine fiel aus dem Kuckucksnest

Es gibt einen einfachen Grund, warum sich in regelmäßigem Turnus neue Schauspieler das Batman-Kostüm überstreifen. Die "Star Wars"-Trilogie nicht nach drei Episoden endete. Oder "Hamlet" sagenhafte 49-mal verfilmt wurde. Es sind Erfolgsgaranten mit einem hohen Bekanntheitsgrad, die bereits Millionen Fans besitzen. Was wiederum heißt, dass das Risiko niedrig ist, einen finanziellen Flop zu landen.


Das mag auch einer der Hintergedanken gewesen sein, warum sich Star-Produzent Ryan Murphy ("American Horror Story", "Glee") nach "The Politician" und "Hollywood" für Netflix mit "Ratched" einem Prequel von "Einer flog übers Kuckucksnest" annahm. Der Roman von Ken Kesey ist ein amerikanischer Klassiker, die Verfilmung mit Jack Nicholson in der Hauptrolle gilt als einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. 1976 gewann er alle fünf Hauptpreise bei den "Oscars", das gelang bisher nur zwei anderen Filmen ("Es geschah in einer Nacht" und "Das Schweigen der Lämmer"). Ein Jahr soll es gedauert haben, sich die Rechte an "Einer flog übers Kuckucksnest" zu sichern, die unter anderem bei dem Schauspieler Michael Douglas liegen, der die Verfilmung von Milos Forman 1975 produzierte.


Die despotische Schwester aus "Einer flog über das Kuckucksnest"

Im Zentrum des Romans von Ken Kesey und seiner Kino-Adaption steht der Kriminelle Randle Patrick McMurphy, der eine Geisteskrankheit vortäuscht, um dem Gefängnis zu entgehen. In der Nervenheilanstalt trifft er auf andere Patienten, die von der despotischen Oberschwester Ratched terrorisiert werden und denen er erstmals wieder Hoffnung gibt.

Der Zweikampf der beiden Figuren wurde zum Symbol einer ganzen Generation. Auf der einen Seite der Freidenker, auf der anderen das System, das keinen Widerstand duldet. Louise Fletcher erhielt für ihre Darstellung der Oberschwester einen der fünf Oscars - und genau dieser Figur widmet Netflix nun eine eigene Serie.



"Ratched": Grausame Behandlungsmethoden in der Nervenheilanstalt

"Ratched" (ab 18. September) steigt mit einem grausamen Massenmord ein. Ein junger Mann (Finn Wittrock) schleicht sich in das Wohnhaus mehrerer Priester ein und schlachtet sie bestialisch ab. Wenig später sehen wir Mildred Ratched (Sarah Paulson), wie sie in Nordkalifornien eintrifft. Sie bewirbt sich auf eine Stelle als Nachtschwester in der Klinik von Dr. Hanover (Jon Jon Briones), der sich selbst für genial hält und in seiner Nervenheilanstalt neue Behandlungsmethoden an Patienten testet. Tagträumern bohrt er Löcher in die Schädeldecke, lesbische Frauen sollen in über 40 Grad heißen Bädern von ihrer Veranlagung "geheilt" werden. Genau dort landet der Killer und genau deswegen will Mildred Ratched hier arbeiten. Zwischen beiden besteht eine Verbindung, die sich im Verlauf der acht Folgen offenbart.


"Ratched" erzählt somit die fiktive Vorgeschichte der Oberschwester und ihrer Anfänge in der Nervenheilanstalt aus "Einer flog übers Kuckucksnest". Damit hören aber die Gemeinsamkeiten auf. War der Film von Milos Forman ein optisch rohes Meisterwerk des New Hollywood, ist "Ratched" wie bei Ryan Murphy typisch, eine Hochglanz-Produktion in opulenten Farben, das das Hollywood des Jahres 1947 wiederaufleben lässt. Alles scheint perfekt, jedes Auto sieht aus, als habe es gerade erst die Fabrik verlassen, die Krankenschwestern tragen blassblaue Kostümchen ohne auch nur ein Fitzelchen Schmutz. "Ratched" sieht einfach unglaublich teuer aus. Das ist aber eigentlich auch schon das einzig Positive, was sich über die Serie sagen lässt.


"Ratched" lebt vom bloßen Schockeffekt

Man wünscht sich geradezu, Ryan Murphy und Showrunner Evan Romansky hätten nur einen Bruchteil ihrer Energie in den Plot oder das Studium der Vorlage gesteckt. Statt zu erzählen, wie Mildred Ratched zu der Person wurde, die die Zuschauer kennen und weswegen sie die Serie wahrscheinlich einschalten werden, entscheiden sich die beiden für eine andere Herangehensweise.


Ihre Krankenschwester ist von Beginn an viel grausamer als die Figur der Romanvorlage und wechselt ihren Masterplan häufiger als ihre Kostüme. Bereits in der ersten Folge überredet sie einen Patienten zum Suizid, bis zur Mitte der Staffel hat sie eine beachtliche Anzahl an Menschen auf dem Gewissen. Zwar wird die Krankenschwester ab da milder, sie verliebt sich, doch das ist alles viel zu überzeichnet. Es gibt eine exzentrische Millionärin (Sharon Stone), die Dr. Hanover köpfen lassen will, eine Bonny-und-Clyde-Einlage, Masturbation durch Gitterstäbe und Sex-Rollenspiele, bei denen über Kriegsopfer mit amputierten Gliedmaßen fantasiert wird.


"Ratched" ist in vielerlei Hinsicht ärgerlich

Das ist vor allem deswegen so ärgerlich, weil sowohl Roman- als auch Filmvorlage so viel Großartiges anzubieten hätten. Das wirklich Diabolische an Mildred Ratched in "Einer flog übers Kuckucksnest" war, dass sie eben keine offensichtliche Psychopathin ist. Ihr Horror liegt in der Banalität der Bürokratie und ihrer rigorosen Durchsetzung ohne jegliche Rücksicht, so dass die Patienten der Nervenheilanstalt normaler erscheinen als die Betreuer. Ryan Murphy interessiert sich dafür offensichtlich nicht. Stattdessen drehte er einen Hochglanz-Psychothriller, eine groteske Glamour-Horrorshow mit faden Schockeffekten, deren einzige Gemeinsamkeit mit dem Film- und Literaturklassiker der Name seiner Hauptfigur ist. Das funktioniert nicht als eigenständiger Stoff - und erst recht nicht als Prequel zu "Einer flog übers Kuckucksnest".



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