Ich wollte immer weg. Aber wer will das nicht? Es ist eigentlich egal, wo wir aufwachsen, dieser Drang ist da. Und er ist umso stärker umso kleiner der Ort ist, in dem wir unsere Jugend verbringen. Meine Heimat ist ein kleines Weinanbaugebiet. Eigentlich ganz malerisch. Der Rhein, Weinberge, und dazwischen ein paar Orte. Hach, wie schön. Alle behaupten, es wäre die Toskana Deutschlands. Wenn man so um die 70 ist, für sein Leben gern Weisswein kippt und mit Schlagseite das Auto nach Hause steuert.
Irgendwann wurde es mir zu eng. Ich ging erst in eine mittelgroße Studentenstadt, dann in eine ziemlich große Kleinstadt: München. Nach dem Hass auf hellblaue Business-Hemden, SUVs und den FC Bayern stellte sich ein gewisses Wohlwollen ein. Die Berge, die Seen, die Biergärten. Bei jedem Heimatbesuch machte sich danach etwas Überlegenes bemerkbar. Schließlich war ich jetzt Großstädter, ich hatte es raus aus dem Kleinstadtmief geschafft, die Heimat und die Daheimgebliebenen steckten immer noch im Trott aus gleichen Kneipen und nicht vorhandenen Clubs.
Seit ein paar Tagen ist das zu Ende. Ich bin offiziell ein Spießer. Verheiratet, zwei Kinder, Haus auf dem Land, Kombi. Den Grill habe ich auch schon bestellt. Noch vor ein paar Jahren wäre ich in blanke Panik verfallen. Warum sind denn hier so wenig Menschen auf der Straße? Und in der Drogerie? Beim Bäcker? Warum sind die, die da sind, alle über 60? Warum gibt es keinen Thai Matcha Latte im Café? Warum ist überhaupt kein Café im Ort? Waaaah!
Doch nach einem ersten Kulturschock hat sich das gelegt. Ja, ich muss sagen: Es ist sogar angenehm. Ich laufe durch die Reihen eines Supermarktes und niemand hastet gestresst durch die Gänge, um sich an der Kasse vorzudrängeln. Im Baumarkt weiß das Personal tatsächlich, was es verkauft. Okay, ich verstehe sie kaum, weil sie wie Edmund Stoiber nach sechs Halben sprechen, aber es geht schließlich ums Prinzip!
Da ist diese Ruhe, die wirklich beruhigt. In der Stadt rennen alle immer und überall. Sie gehen nächtelang aus, um festzustellen, dass sie mittlerweile eine Woche brauchen, um sich davon zu erholen. Auf dem Spielplatz reden die Eltern über ihre Start-ups und dass ihr Dreijähriger im Kindergarten Chinesisch lernt. Auf dem Land fragt man sich, bei welchem Bauern man sein Gemüse kauft.
Damals, in dem kleinen Ort, in dem ich aufgewachsen bin, dachte ich natürlich immer: So wirst du nie. So willst du nie werden. Auf. Gar. Keinen. Fall. Warum auch. Bis du irgendwann feststellst: Du bist schon längst so. Du gehst weniger aus, dir ist es nicht mehr wichtig, dass es 400 wirklich saugute italienische Restaurants gibt. Dir reichen zwei. Und warum auch nicht nicht? Deine Eltern haben schließlich auch so gelebt. Und gibt es bessere Menschen als die? Natürlich nicht!
In den letzten Tagen habe ich verstanden: Ich muss mich nicht mehr wehren. Es ist ein natürlicher Kreislauf. Wir kommen aus kleinen Städten. Wir landen in kleinen Städten. Weil es das ist, was uns geprägt hat. So sehr wir es abgelehnt haben, so sehr zieht es uns wieder hin. Weil wir irgendwann feststellen, dass es das ist, was wir sind.
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