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Hat Erdogan gerade tausende Deutsch-Türken mit einer Wahlkampf-SMS gestalkt?

Längst hat der türkische Wahlkampf für die am 7. Juni anstehenden Parlamentswahlen auch Deutschland erreicht. Am vergangenen Wochenende sprach der amtierende türkische Staatspräsident Recep Erdogan in Karlsruhe und versuchte dabei mehr oder weniger direkt, auch die 1,5 Millionen türkischen Staatsbürger mit deutschem Wohnsitz für die Wahl seiner regierenden Partei AKP zu gewinnen. Doch bei einer Rede muss es mit den Mobilisierungsbemühungen ja nicht unbedingt bleiben.

Seit gestern kursiert in deutschen Handynetzen eine Massen-SMS, die zur Wahl der AKP aufruft. Das Problem: Bisher ist kein Empfänger bekannt, der seine Nummern hierfür bei offiziellen Stellen hinterlassen hat. Stattdessen beschweren sich in sozialen Netzwerke zahlreiche Nutzer über die ungebetene Nachricht und fragen sich woher der Absender ihre Telefonnummern hat? Sollte tatsächlich die Regierungspartei für die SMS verantwortlich sein, so wäre das nicht nur ein 140-Zeichen-langer Stalk; je nach den genaueren Umständen, die in den nächsten Tagen bekannt werden könnten, wäre es durchaus denkbar, dass sich die Aktion zu einem nicht zu verachtenden Datenschutzskandal ausweitet.

Am Sonntag bimmelte bei vermutlich tausenden Deutschtürken das Handy. Mit der SMS, die sie bekommen haben, hatte wohl keiner von ihnen gerechnet:

„Kein Termin, kein Problem! Bringen Sie ihren türkischen Ausweis mit ihrer Ausweisnummer, ihren Führerschein oder ihren Reisepass mit, um vom 8. Mai bis zum 31. Mai zwischen 10-19 Uhr zu wählen. Ak Partei."

Auch die der Gülen-Bewegung nahestehende türkische Zeitung „Zaman" berichtet von der SMS, die an zehntausende Menschen verschickt worden sein soll. Dubios ist: Die SMS haben nicht nur Menschen bekommen, die sich in einen Verteiler der türkischen Regierungspartei oder dergleichen eingetragen hatten. Stattdessen scheint sie vor allem relativ wahllos an deutsche Einwohner mit türkischem Namen verschickt worden zu sein. Auf kurdischen Facebookseiten verbreiteten sich schnell Screenshots der Nachricht. Alle fragten sich: Woher zur Hölle haben die meine Nummer? Selbst wenn man einwenden könnte, dass es sich bei dem Inhalt der Nachricht streng genommen nicht um einen Wahlaufruf für die AKP handelt, so haben wir es hier immer noch mit einer Mobilisierung zu tun, die ungefragt an die Empfänger versendet wurde.

Die erste Vermutung, es habe etwas mit dem türkischen Konsulat zu tun, konnte schnell ausgeräumt werden. Die Textmitteilung war auch an viele Menschen verschickt worden, die in Deutschland geboren wurden, einen deutschen Pass haben und noch nie in Kontakt mit einem türkischen Konsulat oder anderen staatlichen Stellen standen. Betroffen sind Kunden verschiedener deutscher Handyprovider, darunter große Anbieter wie Vodafone und O2.


Rätselraten um Herkunft der Rufnummern

In der Pressestelle von Vodafone weiß man am heutigen Montag noch gar nichts von der Aktion. Normalerweise würden Spam-Nachrichten wahllos an Nummern verschickt, die von Zufallsgeneratoren erstellt werden, erklärte der Sprecher des Unternehmens, Volker Petendorf. Wie die Absender der dubiosen Nachricht an Listen mit türkischen Namen gekommen sein könnten, ist nicht bekannt: „Von Vodafone haben die Absender der SMS keine Rufnummern bekommen", betonte der Vodafone-Pressesprecher lediglich, der noch darauf hinwies, dass man auch nicht separat die Nationalität seiner Kunden verwalte. Ahnungslosigkeit herrscht auch bei der Bundesnetzagentur: Obwohl einige der Empfänger am Sonntag dazu aufriefen, sich über das Beschwerdeformular für Rufnummernmissbrauch bei der obersten deutschen Behörde für die Regulierung der Telekommunikation zu beschweren, war der Vorfall dort am Montagnachmittag noch nicht bekannt. Auch hier hieß es: Massen-SMS würden meist nach dem Zufallsprinzip verschickt. Wie diese gezielte Nachricht versandt werden konnte, würde man jetzt prüfen. Das sei aber ein streng formalisierter Vorgang, der seine Zeit brauche und man wolle sich nicht zu Mutmaßungen hinreißen lassen.

Ein Anruf bei der Nummer, die die SMS versendet hat, liefert auch keine weiteren Erkenntnisse zutage. Die Nummer war für uns heute nicht erreichbar und wurde scheinbar bereits abgeschaltet.

Fest steht, dass viele Empfänger die SMS nicht kommentarlos stehen lassen wollten. So antwortete ein Nutzer, der die Nachricht auf Facebook postete: „Es lebe die HDP!!! Ihr Diebe, woher haben Sie meine Nummer? Meine Stimme geht an die HDP!!!!!!!

Ein anderer User postete gleich ein Foto seines Stimmzettels für jene linke kurdische Partei HDP.

Mögliche Quelle: Adresshändler

Die bislang wahrscheinlichste Variante: Die Rufnummern wurden von Daten- und Adresshändlern eingekauft. Dass man auf mehr oder weniger legalen Wegen für Geld an riesige Datensätze mit Handynummern kommt, ist dabei nichts neues. Das „Managermagazin" berichtete schon 2008 über die Praktiken verschiedener Adresshändler. Teilweise seien deren Datenbanken sogar nach Angaben wie „Anteil Russen" oder „Anteil Türken" aufgeschlüsselt. Den Verdacht, dass die Absender durch Adresshändler an die Daten gekommen sind, hat auch Tobias Huch. Der FDP-Politiker, der mehrere Hilfsprojekte für Kurden im Irak und Syrien initiiert hat, hatte am Sonntag auf seiner Facebook-Seite auf die Massen-SMS hingewiesen und zu Beschwerden bei der Bundesnetzagentur aufgerufen. Vorher hatten ihn etwa 150 Kurden kontaktiert, die die ominöse SMS bekommen hatten. Er geht sogar von mehreren hunderttausend Empfängern aus. Huch vermutet auch, dass die SMS tatsächlich von der türkischen Partei selbst kommt und sieht ein wichtiges Indiz in den Kosten: „So ein Versand kostet in Deutschland mindestens sechs Cent pro SMS, das ist ein massiver Kostenaufwand", sagt er. Dazu kommen noch die Kosten für die Datensätze.


Die AKP und die modernen Kommunikationsmedien

Die türkische Regierungspartei AKP, deren Urheberschaft für die SMS bisher zwar nicht bewiesen ist, die aber dennoch als wahrscheinlichster Kandidat in Frage kommt, hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu modernen Kommunikationsmedien. Immer wieder versucht die Regierung Erdogans unliebsame Kommunikation der eigenen Bürger zu unterbinden und ließ in der Vergangenheit Social-Media-Dienste wie Twitter und Youtube sperren. Man wollte so unterbinden, dass zu Protesten aufgerufen oder die Würde des türkischen Staates und seiner Repräsentanten vermeintlich beleidigt werde.


Im März 2014 ließ Erdoğan im Vorfeld der Kommunalwahl in der Türkei den Dienst Twitter sperren. Twitter-Nutzer hatten Links zu Telefonmitschnitten Erdoğans veröffentlicht, die ihm Korruption nachweisen sollten. Nachdem ein türkisches Gericht die Sperre als illegal verurteilte, konterte Erdoğan damals mit der Androhung, sie auch auf Facebook und Youtube ausweiten zu wollen. Auch im vergangenen Monat wurde der Zugang zu Twitter und Youtube in der Türkei für einige Stunden gesperrt, nachdem dort Fotos des Istanbuler Staatsanwaltes aufgetaucht waren, der von der türkischen Terrorgruppe DHKP-C als Geisel genommen wurde.

Wir haben versucht die AKP zu kontaktieren, erhielten jedoch bisher keine Antwort. Sollte eine Reaktion der AKP oder von Erdogan bekannt werden, werden wir den Artikel entsprechend aktualisieren. Wenn weitere Informationen zu dieser aktuellen Geschichte bekannt werden, werden wir den Artikel entsprechend aktualisieren.
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