Ultras sind in den vergangenen Jahren zu einer der
wichtigsten und populärsten Jugendkulturen in Deutschland geworden. Und
das nicht nur beim Fußball. In Osnabrück supportet die Riot Shocker Crew
nun schon seit fast fünf Jahren die Spielerinnen und Spieler des
Osnabrücker-Rollstuhl-Sportclubs. Deren erste Mannschaft spielt in der
zweiten Rollstuhlbasketball-Bundesliga – das ist den Ultras aber eher
egal. Seitdem ihre geliebte dritte aufgelöst wurde, fahren sie zu jedem
Oberliga-Spiel der zweiten Mannschaft. Heute geht es nach Ostfriesland.
Nachdem sie sich bereits um zehn
Uhr getroffen haben, fahren sie mit fast einer Stunde Verspätung – und
dem einen oder anderen Bier intus – aus Osnabrück los. Im Auto läuft
Sookees feministischer »Zeckenrap«. Als der Wagen sich dem Stadtrand
nähert, gibt es die erste Erkenntnis. Der Ort, an dem der Verein heute
spielt, ist so weit ab vom Schuss, dass das Navigationssystem die
Straße, an der die Spielstätte liegt, gar nicht kennt. Eine Mischung aus
Navi, Smartphones und dem Geschick der Fahrerin im voran fahrenden Auto
wird aber trotzdem zum Ziel führen. Auf dem Weg dahin zeigt sich die
Landschaft mit jedem Kilometer flacher und spärlicher besiedelt.
Knapp
zwei Stunden später haben es alle bis in die Nähe von Leer geschafft.
In der Halle der Sportschule Ostfriesland soll ihr Verein heute gegen
den H.S.V. Groningen und die Red Dogs Ostfriesland spielen. Als die
Osnabrücker Ultras mit Fahnen, Trommel und einer Kiste voller Bier die
Halle betreten, ernten sie skeptische Blicke. So ganz scheinen die alten
Herren am Spielfeldrand nicht zu verstehen, was diese jungen Leute
vorhaben.
Die jungen Leute mit den Fahnen hätten vor
fünf Jahren wohl selbst nicht gedacht, dass sie mal Wochenende um
Wochenende zum Rollstuhlbasketball fahren würden. »Angefangen hat alles
damit, dass ein Freund von uns, der selber im Rollstuhl sitzt, damals
die dritte Mannschaft trainiert hat«, erzählt Julian. »Irgendwann haben
wir uns überlegt, einfach mal zu ’nem Spiel zu gehen und die anzufeuern.
Im betrunkenen Kopf ist dann die Idee entstanden, noch ’ne Zaunfahne zu
malen. An den Vereinsnamen RSC anknüpfend, haben wir uns dann Riot
Shocker Crew genannt. Ich glaube, es war ziemlich viel Alkohol im Spiel,
wie meistens bei solchen verrückten Ideen.« Verein und Spieler waren am
Anfang vor allem überrascht und irritiert. Nicht alle waren sich
sicher, ob das Ganze ernst gemeint ist oder nur ein Gag von
gelangweilten Fußballfans. Mittlerweile pflegen die Ultras aber gute
Kontakte zur Mannschaft. Und mit der Zeit ist auch ein ernsthaftes
Interesse am Rollstuhlbasketball dazugekommen, es geht darum, einen
öffentlich wenig beachteten Sport zu unterstützen. Inzwischen fahren
einige der Riot Shocker aber auch zu den Spielen anderer Mannschaften
und haben stets die Tabelle im Blick.
Dennis Nohl,
der das Team seit drei Jahren trainiert, freut sich jedenfalls über den
Support. Als der Coach anfängt, hätten die Riot Shocker meist zu fünft
am Spielfeldrand gestanden, mit der Zeit wurden es dann immer mehr. »Das
pusht schon. Viele aus den anderen Mannschaften empfinden es als
störend, aber so soll’s ja auch sein«, sagt er lachend. Ähnlich
verrückte Fans gebe es höchstens bei Mannschaften in der ersten Liga.
Für eine zweite Mannschaft in der Oberliga seien die Osnabrücker Fans
»das Nonplusultra«.
Wie jede Ultra-Gruppe, die etwas
auf sich hält, hatte aber auch die Riot Shocker Crew schon den einen
oder anderen Streit mit dem Vereinsvorstand. Nein, Bengalos zünden sie
nicht in der Halle. Dafür stehen sie bei jedem Spiel mit Antifa-Bannern
am Spielfeldrand und hängen Zaunfahnen gegen Sexismus und Homophobie
auf. Während der WM haben sie in einer Halle auch schon mal
Deutschland-Fahnen verdeckt. In ihrem Fanzine, der Hallenzecke, geht es
mitunter um linksradikale Politik. Das wurde dem Verein in der
vergangenen Saison zuviel. »Wir sind ein unpolitischer Verein«, sagt
Trainer Dennis Nohl. »Wir wollen keine Bühne für Politik sein, wir
wollen einfach nur, dass unser Sport supportet wird.« Die Riot Shocker
Crew hat deshalb die Ansage bekommen, dass der Verein keine politischen
Inhalte in der Hallenzecke sehen will. Das Heft würde man gerne
autorisieren, bevor es in der Halle verteilt werden darf. »Wir hatten da
natürlich gar keinen Bock drauf, auch viele Spielerinnen und Spieler
haben gesagt, das ist Quatsch. Darum haben wir dann bei einem Spiel vor
der Halle eine schwarze, zensierte Ausgabe verteilt«, erzählt Julian.
»Die Ausgabe darauf wurde dann in der Halle unter der Hand verteilt. Die
letzte, die es eigentlich geben sollte, ist nicht zustande gekommen,
weil wir es verbaselt haben.«
Während die Riot
Shocker Crew fahnenschwenkend und singend am Rand steht, gewinnt ihr
Team das Spiel gegen Groningen mit 64:55. Der einzige Support für das
Heimteam kommt von drei Frauen, die, auf einer Turnmatte in der anderen
Ecke der Halle liegend, gelegentlich pfeifen und klatschen. Richtig viel
Spannung will beim ersten Spiel noch nicht aufkommen. Die Ultras freuen
sich trotzdem über den Sieg. Als sie in der letzten Saison mit 50
Leuten im Reisebus nach Groningen fuhren, hatten die Osnabrücker
verloren.
In einer Auszeit kommt Dennis Nohl kurz an den Spielfeldrand und weist
die Riot Shocker darauf hin, dass es ein absolutes Alkoholverbot in der
Halle gibt. Die Bierflaschen müssen sofort verschwinden. Begeistert sind
die Ultras davon nicht, bringen aber nach kurzem Murren die – meist eh
schon leeren – Flaschen raus. Nur vereinzelt wird versteckt weiter
getrunken.
Als das zweite Spiel beginnt, stehen noch
nicht alle in der Kurve. Ein Teil der 14, die es heute zum Spiel
geschafft haben, steht noch draußen und raucht und trinkt. Trotzdem geht
es laut los: Es wird getrommelt und gesungen und die Fahnen werden
wieder geschwenkt. Dabei wirkt alles ein wenig so wie beim Fußball – nur
viel kleiner. Die Lieder sind teilweise umgedichtet, zwischendurch
ertönt ein St.-Pauli-Klassiker. Dabei haben einige aus der Gruppe mit
Fußball gar nichts am Hut. Andere fahren zu St. Pauli oder unterstützen
Vereine mit antifaschistischen Fanszenen. Aus der Fußball-Ultraszene
kommt hier aber niemand, so mancher würde sich auch nicht selbst als
Ultra bezeichnen. Es gibt außerdem kein geschlossenes Mitgliedersystem,
jeder kann mitmachen. Was hier im Gegensatz zu vielen Fankurven im
Fußball außerdem auffällt: Gut die Hälfte der heute mitgereisten
Osnabrücker Fans sind Frauen. Als einer einen prolligen Spruch ruft,
wird er von der Seite angezischt: »Wir sind hier nicht beim Fußball!«
Im dritten Viertel gegen die Red Dogs Ostfriesland kommt auf dem Spielfeld langsam Spannung auf. Kaum hat eine Mannschaft einen Punkt erzielt, holt die andere auf, es wird schnell gespielt. Wo im ersten Spiel noch alles nach ruhigem Fairplay aussah, häufen sich nun auch die Fouls. Mittlerweile werden auch die Spielerinnen und Spieler aus Leer von ihren Fans angefeuert. Die sitzen vor einer Deutschland-Fahne mit einer Bulldogge und machen zumindest zwischendurch so etwas wie Stimmung. Manche schauen dabei neidisch zu den jungen Leuten in der anderen Ecke der Halle. »Da sind viele Frauen, dann ist da auch gute Stimmung«, sagt ein Rentner mit breitem ostfriesischen Dialekt. Am Ende liegen die Osnabrücker hinten, drei Sekunden vor Ende kommen sie noch mal an den Ball, versuchen den Ausgleich – ohne Erfolg. Das Spiel entscheiden die Red Dogs mit 56:55 knapp für sich.
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