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Abmahnwelle setzt kritische Journalisten unter Druck

Der Berliner Ch. Links Verlag sieht sich einer Abmahnwelle von rechts ausgesetzt. Im Juni ist dort das Buch „Völkische Landnahme" der JournalistInnen Andrea Röpke und Andreas Speit erschienen. Die beiden langjährigen BeobachterInnen der deutschen Neonazi-Szene beschreiben darin, wie Rechtsextreme sich oftmals unbemerkt im ländlichen Raum breit machen. Wie sie dörfliche Strukturen unterwandern, ökologische Landwirtschaft betreiben, sich für nationales Brauchtum und völkische Kindererziehung stark machen. Im Rampenlicht wollen die wenigsten solcher Neonazis stehen.

Doch genau dafür haben Röpke und Speit gesorgt. Die erste Auflage ihres Buches ist bereits vergriffen, eine aktualisierte Neuauflage ist in Arbeit. Das ARD-Kulturmagazin „Titel Thesen Temperamente" und das NDR-„Nordmagazin" widmeten der Szene der völkischen Siedler und der Arbeit der beiden JournalistInnen Fernsehbeiträge.

Mehrere Personen, die Röpke und Speit in ihrem Buch erwähnen, versuchen sich auf dem juristischem Weg gegen diese unerwünschte Aufmerksamkeit zu wehren und die Verbreitung des Buches zu stoppen. Eine ganze Reihe an Abmahnungen hat den Verlag in den vergangenen Monaten erreicht, wie er in einer Pressemitteilung erklärt. Alleine zwölf davon stammen demnach aus der Kanzlei des Kölner Rechtsanwalts Ralf Höcker.

In ihren Abmahnungen bemängelt die Kanzlei vor allem zwei Dinge: dass ihre MandantInnen als Teil einer Bewegung „völkischer Siedler" oder als rechtsextrem bezeichnet würden, und dass Röpke und Speit identifizierend über sie berichten, also beispielsweise deren volle Namen nennen.

Der Verleger Christoph Links und die AutorInnen sehen in diesen Abmahnungen einen gezielten Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Es gehe nicht um die Durchsetzung des Rechts, sondern um die Behinderung kritischer Berichterstattung. „Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, sich juristisch dagegen zu wehren, dass wir ihn in unseren Büchern nennen", sagt Andrea Röpke. „Ich bin mir meiner Sorgfaltspflicht als Journalistin bewusst."

Der Vorwurf der Lüge

Die Abmahner und die von ihnen beauftragte Kanzlei Höcker sehen das naturgemäß anders und machen den AutorInnen auch gegenüber Übermedien schwere Vorwürfe. „Das Buch skandalisiert, dass Menschen wohnen. Und zwar nah beieinander auf dem platten Land", teilt der Anwalt Ruben Engel mit. „Man kann sich fragen, was das soll, denn auch echte Rechtsradikale müssen irgendwo wohnen. Unsere Mandanten bestreiten aber ausdrücklich rechtsradikal zu sein."

Röpke und Speit würden „ihre dürre Geschichte leider mit einigen frei erfundenen Passagen" ausschmücken, behauptet der Anwalt. Die AutorInnen würden „glatte Lügen" verbreiten, das müssten sich selbst „echte Nazis" nicht gefallen lassen, „und auch die Leser dürften wohl ein Interesse daran haben, dass die Details im Buch stimmen." Es gehe aber vor allem um die Frage, „ob ganze Familien es dulden müssen, unter voller Namensnennung angeprangert zu werden, nur damit sich ein Buch besser verkauft."

Verleger Christoph Links hält den Vorwurf, ganze Passagen im Buch seien frei erfunden, für „arg verwunderlich, ja geradezu absurd". „So arbeiten unsere Autoren nicht, und Derartiges ist auch von der Kanzlei selbst in dieser Form nie an uns juristisch herangetragen worden", sagt er. „Die übermittelten Abmahnungen bezogen sich auf die Identifizierbarmachung rechter Aktivisten, ihre politische Bewertung, angeblich falsche Eindruckerweckungen und einzelne Tatsachenbehauptungen zu Details in den Biografien."

Andrea Röpke bestreitet auch, dass sie und ihr Autorenkollege jemanden zu unrecht benannt, oder gar angeprangert hätten. „Gerade wenn es um die völkische Szene geht, muss man sehr vorsichtig sein und kann nicht einfach eine ganze Familie über einen Kamm scheren", sagt sie.

Die Abmahnungen greifen nicht nur das Buch selbst an, sondern auch Äußerungen, die Andrea Röpke bei Buchpräsentationen getätigt haben soll. „In einem Fall hat die ehemalige Bundesführerin des rechtsextremen Jugendbunds ‚Sturmvogel' die Kanzlei Höcker beauftragt, eine Unterlassungserklärung von mir zu fordern", sagt Röpke. „Sie hat mir vorgeworfen, ich hätte sie bei einer Buchvorstellung in der Nähe ihres Heimatorts namentlich erwähnt. Dabei stimmt das nicht einmal, dafür gibt es einen ganzen Saal voller Zeugen."

Hohe Kosten

Für die Journalistin hat die Abmahnwelle auch eine finanzielle Dimension. Ein großer Teil der Abmahnungen erreichte zwar den Verlag, mehrere seien jedoch auch an sie privat adressiert gewesen. „Was mich schockiert: Wie einfach es ist, uns horrende Kosten aufzubürden, auch wenn wir gar keinen Fehler gemacht haben", sagt sie. „Denn jedes Mal, wenn eine Abmahnung bei mir ankommt, muss ich einen Anwalt beauftragen, der dagegen vorgeht und eine Schutzschrift schreibt. Das kostet jeweils fast 2000 Euro." In Schutzschriften begründen AnwältInnen, warum sie eine Abmahnung für nicht gerechtfertigt halten. Sie werden bei Gericht hinterlegt, um den eigenen juristischen Standpunkt dort deutlich zu machen, bevor eine einstweilige Verfügung erlassen wird, was in der Regel ohne Anhörung der Gegenseite geschieht.

In einem Fall zeigte das bereits Wirkung: Eine der im Buch beschriebenen Personen hatte eine Berliner Kanzlei mit einer 15 Punkte umfassenden Abmahnung beauftragt. Der Anwalt Peter Scheibe verfasste im Auftrag des Verlags eine Schutzschrift; das Berliner Landgericht wies den Unterlassungsantrag in allen Punkten zurück. Weil die abmahnende Kanzlei Beschwerde eingelegt hat, geht der Fall nun vor Gericht weiter. Sollte es den Unterlassungsanspruch weiterhin ablehnen, muss der Abmahner auch die Anwaltskosten des Verlags übernehmen.

Andere Fälle landen jedoch gar nicht erst vor Gericht: Abmahnungen werden teilweise in der Hoffnung verschickt, dass AutorInnen, Verlage oder Redaktionen eine Unterlassungserklärung abgeben. Falls sie das nicht tun, belassen die Abmahner es dann dabei, wohl wissend, dass sie vor Gericht kaum Chancen hätten.

Auf den Kosten für eine Rechtsberatung oder bereits verfasste Schutzschriften bleiben die Abgemahnten in solchen Fällen sitzen.

Andrea Röpke und ihren Kollegen sind durch solche Abmahnungen bislang Tausende Euro an Kosten entstanden, nicht erst seit dem Erscheinen des Buches „Völkische Landnahme". „Gerade bei Freiberuflern kann man damit Existenzen ruinieren", sagt die Journalistin. Zumindest in diesem Fall ist sie jedoch erleichtert: Die JournalistInnengewerkschaft DJU in Verdi übernimmt ihre Anwaltskosten.

Röpke berichtet bereits seit den neunziger Jahren über Deutschlands Neonazis. Mit ihrer Arbeit ist sie einer Vielzahl von Rechtsextremen auf die Füße getreten, war immer wieder Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt. Mehrfach veröffentlichten Neonazis ihre Wohnadresse. Abmahnungen, die nicht an Verlage oder Redaktionen, sondern an sie privat adressiert seien, hätten deshalb oft noch eine weitere Funktion, meint sie: „Das ist auch eine Machtdemonstration, die einschüchtern soll. Die wollen zeigen: Wir kennen deine Privatadresse." Solche Abmahnungen würden häufig von Anwälten verschickt, die als „szenenah" gelten.

„Relotius-Jünger"

Dass Abmahnungen gegen kritische Publikationen über Rechtsradikale kein Einzelfall sind, zeigt auch eine Abmahnwelle, die den Rowohlt-Verlag getroffen hat. Dort ist im März 2019 das Buch „Das Netzwerk der Neuen Rechten" der „Zeit"-Journalisten Christian Fuchs und Paul Middelhoff erschienen. Sie zeigen darin auf, wer die Strippenzieher der in den vergangenen Jahren angewachsenen „neurechten" Szene in Deutschland sind, und wer die Scharnierstellen zwischen rechtskonservativen Kreisen, der AfD und rechtsextremen Organisationen wie der „Identitären Bewegung" besetzt.

Das Buch sorgte für ein großes mediales Echo - und wurde auch in rechten Kreisen aufmerksam rezipiert. So schrieb etwa die einstige DDR-Bürgerrechtlerin, anschließende Bundestagsabgeordnete und heutige Publizistin Vera Lengsfeld einen Verriss des Buches. Lengsfeld ist in den vergangenen Jahren stetig nach rechts gerückt und findet gleich an mehreren Stellen im „Netzwerk der Neuen Rechten" Erwähnung. In ihrem Blog bezeichnet sie die Autoren Fuchs und Middelhoff als „Relotius-Jünger". Sie wirft ihnen vor, unbewiesene Behauptungen aneinanderzureihen und vergleicht die kritische Berichterstattung über sich mit der Hexenverfolgung. Lengsfeld endet ihren Text mit der Aufforderung an alle im Buch erwähnten Personen, zu „prüfen, ob die ‚Recherche' der beiden Investigativ-Genies von der Qualität sind, wie die Fakes, die sie über mich publiziert haben, und es ihnen nicht durchgehen zu lassen."

Tatsächlich wollten gleich mehrere im „Netzwerk der Neuen Rechten" erwähnte Personen den Autoren und dem Rowohlt-Verlag diese Erwähnungen „nicht durchgehen lassen".

„Zahlreiche Abmahnungen und gerichtliche Verfahren haben den Verlag seit Erscheinen des Buches bereits eine fünfstellige Summe gekostet", sagt Autor Christian Fuchs. Dabei hätten der Rowohlt-Verlag und die beiden Autoren in der Vielzahl der angeblichen Angriffspunkte jedoch fast jede Auseinandersetzung gewonnen. Nicht einmal habe im Buch aufgrund einer Gerichtsentscheidung etwas Inhaltliches geändert werden müssen. Teilweise sei es nicht einmal um die Inhalte selbst gegangen, sondern auch „um reine Formalitäten, wie das Impressum unserer Website zum Buch", berichtet Fuchs. „Wir wurden gleich zweimal abgemahnt, weil dort eine Faxnummer fehlte." Auftraggeber dieser Abmahnungen: Zwei rechtskonservative Publizisten, die an der Schnittstelle zwischen dem bürgerlich konservativen und dem „neurechten" Milieu stehen.

Christian Fuchs sieht in solchen Abmahnwellen „eine bewusste Strategie, mit der kritische JournalistInnen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden sollen." Solche Abmahnungen seien zwar nichts neues, der Fall habe jedoch eine neue Qualität. „So massive Versuche, gegen ein journalistisches Produkt vorzugehen, haben wir vorher noch nie erlebt. Und das obwohl wir seit Jahren über alle möglichen berichten, die das nicht wollen: Geheimdienste, Extremisten, Sekten."

Fuchs glaubt, dass es einem Teil der Abmahner auch darum ging, an die Privatadressen der beiden Autoren zu gelangen. „Wir wissen aus der Vergangenheit, dass die dann teilweise auch veröffentlicht werden, um AutorInnen einzuschüchtern."

„Keinen Millimeter nachgeben"

Die Bundesgeschäftsführerin der DJU in Verdi, Cornelia Berger, sieht in solchen Abmahnungen ebenfalls eine Strategie von rechts, um unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. „Seit dem Start der Pegida-Demonstrationen 2014 haben rechte Drohungen und Schikanen gegen JournalistInnen massiv zugenommen und eine neue Qualität erreicht", sagt sie. Teil dieser Strategie sei es, gerade freie JournalistInnen durch juristische Mittel wirtschaftlich zu ruinieren.

Denen empfiehlt Berger, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Denn: In Fällen, in denen ein besonderes gewerkschaftliches Interesse vorliege, greife der Rechtsschutz. Vor allem wenn es um die Verteidigung der Pressefreiheit gehe, sei das der Fall. Und auch festangestellten JournalistInnen und Verlagen rät Berger dazu, bei ungerechtfertigten Abmahnungen auf keinen Fall klein bei zu geben. „Wenn man sich nicht zur Wehr setzt, entsteht auch eine Schere im Kopf", sagt sie. „Solche Abmahnungen sind aus meiner Sicht ein Rechtsmissbrauch und da dürfen wir keinen Millimeter nachgeben."

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