Wir waren beim Wahlkampf-Auftakt der AfD in Essen
Im Mai finden in NRW Landtagswahlen statt. Vor allem im Ruhrgebiet will die AfD Stimmen gewinnen. Dabei galt die Region über viele Jahrzehnte als Kernland der SPD. Nun hat die AfD genau dort ihren Wahlkampf begonnen.
Und zwar mit Schlager: Auf dem Marktplatz in Altenessen stehen ein paar hundert Leute vor der Wahlkampfbühne und klatschen zu Songs wie "Du hast gewärmt wie alter Whiskey". Schlagersänger Marco Kloss versucht, für Stimmung zu sorgen. Vom Ballermann zu den Rechtspopulisten.
Der Ruhrpott war lange Zeit die Herzkammer der SPD. Für Bergleute und Malocher war klar, wen sie wählen. Heute ist das anders: Viele Menschen fühlen sich von den Sozialdemokraten nicht mehr vertreten.
Die AfD will genau das jetzt nutzen.
Ein Ex-SPDler als StimmenfängerDabei soll vor allem Guido Reil helfen. Reil war lange Jahre in der Essener SPD, war Stadtrats-Mitglied, Gewerkschafter. Er ist Bergmann, ein richtiger Ruhrpottler, das hört man schon am Dialekt. Mit der SPD hat er sich überworfen, nachdem er die Integration von Flüchtlingen in einem Interview für gescheitert erklärt hat. Er ist nach rechts gerückt, die Essener SPD wollte nicht mitziehen. Daraufhin ist Reil bei den Sozialdemokraten aus- und in die AfD eingetreten. ( WAZ)
Der AfD-Wahlkampfauftakt in Essen:Seitdem versucht er, Arbeiter im Ruhrgebiet von der AfD zu überzeugen. Die AfD freut sich darüber, jemanden an Bord zu haben, der zu den "einfachen Leuten" im Ruhrgebiet sprechen kann, jemanden der die Partei sozialer aussehen lässt.
Und das, obwohl von vielen Plänen der AfD vor allem Besserverdiener profitieren würden. Im Parteiprogramm steht ganz deutlich, dass der Sozialstaat zurückgebaut werden soll. Die Partei fordert weniger Regulierung für die Wirtschaft und einen Staat, "der dem Unternehmer keine bürokratischen Knüppel zwischen die Beine wirft." ( n-tv)
Gut für Unternehmen und Reiche, schlecht für "den kleinen Mann", für den sich die AfD angeblich so stark macht.
Um dieses Bild aufrecht zu erhalten, ist Guido Reil da. Einige Parteimitglieder sehen ihn als nützlichen Stimmenfänger. Trotzdem trauen viele AfD-Mitglieder Guido Reil nicht. Zur Landtagswahl darf er in Essen zwar als Direktkandidat antreten. Auf der Landesliste hat die Partei ihn aber nur auf Platz 26 gewählt. ( Correctiv)
Als Reil am Samstagmorgen mit seinem Wahlkampfmobil auf den Marktplatz fährt, applaudieren ihm ein gutes Dutzend Menschen. "Guido!" rufen sie ihm entgegen. Reil schüttelt Hände, unterhält sich mit seinen Anhängern und Wählern. Für sie ist er "einer von uns". Richtige Begeisterung kommt dabei allerdings nicht auf.
Als Frauke Petry eine Weile später auf dem Marktplatz eintrifft, ist die Menschentraube um sie herum viel größer. Mit ihr wollen alle ein Selfie. Ihr rufen sie Durchhalteparolen zu.
"Die etablierten Parteien machen eine Politik gegen das deutsche Volk."
Warum wollt ihr die AfD wählen?
Unter den Zuhörern sind einige junge Menschen. "Ich will eine Veränderung in Deutschland", sagt Alexander. Der 21-Jährige ist extra aus Köln nach Essen gekommen.
"Die etablierten Parteien machen eine Politik gegen das deutsche Volk", sagt er. Auch er glaubt an die Botschaft, die AfD würde sich für die Armen und Schwachen einsetzen: "Die etablierten Parteien sorgen dafür, dass meine Eltern später nicht mehr von ihrer Rente leben können. Die Politiker stecken Geld in ihre eigenen Taschen und lassen die Leute in Armut versinken", sagt er. Ob die AfD aber wirklich etwas verbessern würde, da ist er sich nicht sicher.
Doch es geht ihm nicht nur um das Sozialsystem. Ein anderes Thema liegt ihm offenbar noch mehr am Herzen: "Wir sind hier grad ausgestiegen und da ist eine Dönerbude nach der anderen. Immer mehr Deutsche ziehen aus solchen Vierteln weg."
Und er wird noch deutlicher: "Man sieht ja, wie viele Probleme wir mit Ausländern haben, die kriminell sind und Drogen verticken. Ich bin hier, um zu zeigen, dass ich deutsche Stadtteile haben will. Da dürfen natürlich auch Ausländer bei sein. Aber es darf keine Stadtteile geben, die zu 80 oder 90 Prozent muslimisch sind", sagt er. In der Hand hält er eine kleine Deutschlandfahne.
Was er nicht erwähnt: Der Migrationshintergrund hat in Alexanders Heimatstadt Köln kaum eine Auswirkung auf die Kriminalitätsrate. ( Kölner Stadtanzeiger)
"Würde es die AfD nicht geben, hätte ich die Linke gewählt."
Auch Marcus, der eigentlich anders heißt, wird im Mai die AfD wählen. Der 20-Jährige unterstützt die Partei vor allem wegen ihrer Islamfeindlichkeit.
Dabei sieht sich Marcus eigentlich eher als politisch links: "Würde es die AfD nicht geben, hätte ich die Linke gewählt." Einen großen politischen Abstand zwischen den beiden Parteien sieht er nämlich gar nicht. "Beide sind zum Beispiel EU-kritisch und heißen die Aggressionen gegen Russland nicht gut", erklärt Marcus.
Die Linke will er aber wegen ihrer Einwanderungspolitik nicht wählen. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik, sagt Marcus, sei ihm die AfD eigentlich zu wirtschaftsliberal. "Arbeitslose sollten mehr Geld bekommen und ich bin auch gegen Sanktionen für Langzeitarbeitslose." Geschlossene Grenzen und eine Feinseligkeit gegenüber dem Islam sind ihm jedoch wichtiger.
"Wir müssen eine Sprache finden, die die Menschen verstehen"Zu der Wahlkampfkundgebung sind am Samstagmittag auch Gegner der AfD gekommen. Einige von ihnen stehen ganz hinten auf dem Marktplatz und versuchen, die Redebeiträge mit lauten Rufen zu stören. Sie haben Transparente und Plakate gegen die AfD dabei. Als sie sich aufstellen, kommt es zu einem kurzen Gerangel mit AfD-Ordnern und ein paar jungen Neonazis, die sonst eher gelangweilt herumstehen und nicht den Eindruck machen, als würden sie die Reden der AfD-Politiker aufmerksam verfolgen.
So sah die Gegendemonstration aus:
Ein paar der Demonstranten suchen allerdings die Diskussion mit AfD-Mitgliedern. Einer von ihnen ist Filip. Der 20-Jährige kommt aus Mülheim an der Ruhr und ist Mitglied der SPD. Demonstrativ trägt er eine rote Jacke mit dem Wahlkampfmotto der Partei.
Noch im vergangenen Jahr waren Guido Reil und Filip "Parteigenossen". "Wenn ich ihn mir anhöre, ist der aber in der AfD deutlich besser aufgehoben", sagt Filip. "Die nutzen den jetzt natürlich als Idol, um Stimmen zu bekommen. Das könnte auch durchaus funktionieren, die Leute lassen sich von ihm blenden. Aber die AfD will natürlich etwas ganz anderes, als Guido Reil auf der Bühne kundtut."
Filip, 20, Mitglied der SPD aus Mülheim an der Ruhr
Dass sich viele Menschen von der SPD nicht mehr angesprochen fühlen, kann Filip aber verstehen. "Das hat viel mit der Politik der Agenda 2010 zu tun", sagt er. "Die hat viele Menschen verunsichert und in Existenznöte gebracht. Meine Eltern sind beide gehörlos und haben lange von Hartz IV gelebt. Darum weiß ich, dass das keine vernünftige Regelung ist. Dass jemand, der 30 Jahre gearbeitet hat, nach zwei Jahren nur noch Hartz IV bekommt, ist ungerecht. Darüber wird ja auch offen geredet. Wir müssen aber wieder eine Sprache finden, die die Leute erreicht. Eine Sprache, die die Menschen verstehen."
Die Leute ansprechen, sagt Filip, das könne die AfD. Allerdings seien die Inhalte hinter ihrer leicht verständlichen Sprache "völlig abstrus".
Die Leute erreichen - genau das ist das Ziel von Guido Reil. Und er weiß, auf was die Zuhörer reagieren: "Im Ruhrgebiet leben ehrliche und gerade Menschen. Darum will ich auch nirgendwo anders leben, als bei euch", ruft er ihnen zu. Seinem Publikum gefällt das.
Wie viele am Ende aber für ihn stimmen, wird sich im Mai zeigen. Reil sagt dazu: "Wenn wir im Ruhrgebiet verkacken, dann hat die AfD verkackt!"