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Warum einem der ältesten Geschäfte im Bahnhofsviertel das Aus droht

Hilde Petersen-Weider und ihr Lebensgefährte Rolf Düring bangen um den Fortbestand ihres Tabakladens im Bahnhofsviertel. Foto: FNP/Rainer Rüffer

Seit fast siebzig Jahren steht der Name Weider in Frankfurt für Tabakwaren und Pfeifenbedarf. 1964 zog das Traditionsgeschäft in die Münchener Straße, vier Familiengeneration haben in dem Laden geschuftet. Jetzt wurde der Mietvertrag fristgerecht und ohne Nennung von Gründen zum Jahresende gekündigt. Die Familie bangt um ihre Zukunft.

VON FELIX HORMEL

Frankfurt. Ein Mann betritt das Tabakwarengeschäft Weider in der Münchener Straße 18 durch die geöffnete Tür, geht zu dem niedrigen Tresen gleich links und hält einen Stoffbeutel offen hin. Die rüstige, kleine Dame hinter der Verkaufstheke, gerade mit einem anderen Kunden im Gespräch, greift hinter sich nach einer Stange Reval ohne Filter. Mit der anderen Hand entnimmt sie einer schmalen Kassenlade ein paar Münzen und lässt die Zigaretten, immer noch im Gespräch, in den Stoffbeutel des Herrn gleiten. Der bezahlt mit Geldscheinen, die er ebenfalls schon parat hält. Hilde Petersen-Weider gibt ihm die Münzen, unterbricht ihr Gespräch jetzt kurz, lächelt den Reval-Herren durch ihre markante Hornbrille an, bedankt sich und wünscht einen schönen Tag.

Szenen wie diese belegen: Der Tabakladen Weider gehört zum Bahnhofsviertel wie der Bahnhof selbst. Mit langem Gesicht und hängenden Schultern hält Hilde Petersen-Weider jetzt einen Brief in der Hand. Unter dem knappen Titel „Fristgerechte Kündigung Mietverhältnis zum 31.12.2017" wird sie von der Hausverwaltung Hersch Beker gebeten, ihr Geschäft „im geräumten und vertragsgemäßen Zustand" zu verlassen. Warum? Das steht nicht in dem Brief, den ein Anwalt vor wenigen Tagen im Laden abgegeben hat. Hilde Petersen-Weider ist 85 Jahre alt und am Boden zerstört.

Existenz bedroht

Friedrich Weider, der Vater, hatte den Laden nach der Währungsreform 1948 an der Hauptwache eröffnet. Als er seinerzeit Lehrling bei der Offenbacher Tabakfabrik Bernard war, wurden noch keine Horrorbildchen auf Zigarettenschachteln gedruckt. Mit Zigarettenhaltern, Etuis und anderen teuren Accessoires wurde das Tabakgeschäft einst fetischisiert. „Damals ist niemand auf die Idee gekommen, dass Rauchen der Gesundheit schaden könnte. Sonst hätte man die Branche wahrscheinlich gar nicht so groß aufgebaut", so Hilde Petersen-Weider.

1964 zog das Familiengeschäft Weider um in die Münchener Straße. Und dort ist es noch heute. Drei Jahre nach dem Umzug verstarb Vater Weider, Mutter Emilie leitete fortan die Geschicke bis zu ihrem Tod im Jahr 1993. Seither macht die Tochter, Hilde Petersen-Weider Tabakkunden aus dem Viertel und aus aller Welt glücklich. Ihr ganzes Leben hat sie neben aberhunderten Pfeifen, Zippos und Zigarren in dem Geschäft verbracht. Das soll jetzt alles ein Ende haben.

Derweil scheint in dem Traditionsladen auf der Münchener Straße die Zeit stehen geblieben zu sein. Draußen brummt der Frankfurter Kiez. Drinnen sieht es ein bisschen so aus, als hätte Ollivander aus den „Harry Potter"-Büchern die Branche gewechselt, von Zauberstäben zu Rauchwarenbedarf.

Mit im Laden tätig ist Enkel Jörg-Björn Petersen. Er stand schon im Geschäft, als ihn die Verkaufstheke in der Höhe noch überragte. Der inzwischen 21-Jährige jobbt hier nicht bloß nebenbei für ein kleines Taschengeld: Der Nachfahre will das Geschäft des Urgroßvaters einmal fortführen. „Ich möchte den Laden um alles in der Welt halten." Ob er etwas verändern wolle? „Wieso, es läuft alles wie am Schnürchen." Sicher, eine Webseite wäre schön, mehr die Trommeln rühren, vielleicht ein, zwei Handgriffe, um den Staub aus dem Gebälk zu klopfen. Fertig! Womit der Geschäftsmann in spe ja auch recht hat. Was braucht ein Zigarettenlädchen mehr als Zigaretten und erstklassigen Service? Und das hat das Geschäft Weider - jetzt bangt die Familie bloß noch um ihre Zukunft, die dieser Tage so ungewiss ist wie noch nie.

Sichtlich aufgebracht

Bei diesem Gedanken wird auch Rolf Düring bang. Der langjährige Lebensgefährte der Hilde Petersen-Weider, ein stämmiger Mann von 77 Jahren, hat noch neun Finger und einen steifen Hals. „Ein Berufsunfall", informiert der ehemalige Trambahnfahrer knapp, der die letzten zwanzig Jahre seit Antritt seiner Frührente ebenfalls im Geschäft verbracht hat. Mehrmals weist er darauf hin, dass er im Laden noch Feuerzeuge repariert. „Wo gibt's das denn sonst noch in Frankfurt?" In Düring brodelt Unmut. Es ist kaum zu glauben, dass derselbe Herr, der so sichtlich aufgebracht über die Kündigung ist, mit der Genauigkeit eines Uhrmachers Millimeterschräubchen verstellt und defekten wie hochwertigen Handschmeichlern von Dupont & Co. ein zweites Leben schenkt.

Wegzug steht außer Frage

Der Blick von Hilde Petersen-Weider schweift durch den Laden. Sie wirkt jetzt wieder gefasster, sortiert ihre Gedanken. „In der kurzen Zeit, die bis zum Jahresende verbleibt, ist es unmöglich den Laden auszuräumen. Ich weiß auch gar nicht, wohin mit allem." Sie hätte sich vor allem mehr Vorlauf gewünscht. „Wo sollen wir auf die Schnelle eine neue Ladenfläche hernehmen?" Seit 1950 wohnt die gelernte Kauffrau im Bahnhofsviertel in der Mainluststraße. Schon deswegen kommt für sie ein Umzug in einen anderen Teil der Stadt nicht in Frage. „Das machen auch unsere Stammkunden sicherlich nicht mit."

Petersen-Weider hält fest: „Wenn ich jetzt zu machen muss und dann vierundzwanzig Stunden am Tag zu Hause hocke, gehe ich ein wie eine Primel. Der Laden ist mein Leben, unser aller Leben."

Es hängt eine graue Wolke über der Münchener Straße 18. Viele Fragen bleiben offen, die Hausverwaltung, die das Gebäude seit 1997 betreut, war für die Familie in den letzten Tagen nicht erreichbar. „Wir haben schon mindestens ein dutzend Mal versucht, jemanden ans Telefon zu bekommen", beklagt Hilde Petersen-Weider. Dabei kennt man sich seit Jahren gut. „Wenn Herr Beker mal vorbeikam, hat er immer nett gegrüßt", erinnert sich Düring.

Kooperationsbereit

Die Weiders sind indessen maximal kooperationsbreit. „Über die Pacht können wir reden, eine Verkleinerung wäre denkbar, sogar eine zeitweilige Schließung, etwa für die Dauer von Sanierungsarbeiten, wäre möglich", sagt Petersen-Weider. Sie will nur eins: Weitermachen.

Bis auf Weiteres jedoch quält jene, die dort seit Jahr und Tag gerne ihre Brötchen verdienen, eine große Ungewissheit und blanke Existenzangst.

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