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Eine Uni aus dem Nichts

Zwei Stipendiaten der Stiftung für die Freiheit haben eine Universität für Flüchtlinge gegründet, um die Ankunft in Deutschland zu erleichtern. Die Geschichte einer genialen Idee, die für viele Menschen eine Chance eröffnet, hat Stiftungsexperte Felix Schulz aufgeschrieben.


Flüchtlingskrise 2015. Wer das Elend der Geflüchteten hautnah erfährt, der wird entweder von Ohnmacht übermannt – oder motiviert. Diese Erfahrung machten auch Markus Kreßler und Vincent Zimmer, Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Sie haben mit den Geflüchteten gesprochen, mit ihnen gearbeitet. Viele von ihnen haben in den Ländern, aus denen sie flüchten mussten, studiert. In Deutschland können sie das zunächst nicht, es fehlen anerkannte Abschlüsse und Deutschkenntnisse. Arbeiten dürfen sie auch nicht. Sie wissen nicht, wohin mit ihrer Zeit. Sie wissen nicht, wohin mit sich. Markus und Vincent haben dieses Problem erkannt und nach Lösungen gesucht – und sie haben eine Lösung gefunden. Auf dem Konvent der Stipendiaten der Stiftung für die Freiheit entwickelten sie eine Idee, aus der Kiron wurde.

 

Kiron ist eine Plattform, die Flüchtlingen Zugang zu Universitätsbildung bietet – kostenfrei. Dabei können Zeugnisse nachgereicht werden, zunächst ist nur ein Nachweis über den Flüchtlingsstatus zu erbringen. Sobald das geschehen ist, können die Flüchtlinge ein einjähriges Studium Generale und eine Spezialisierung ablegen. Die Kurse finden in den ersten beiden Jahren online und hauptsächlich auf Englisch statt. Dabei können sich die Studentinnen und Studenten eines massiven Pools an Onlinekursen bedienen von Universitäten wie Harvard oder MIT. Alle Kurse sind frei zugänglich. Kiron kombiniert sie mit e-Learning-Tools und Vernetzungstreffen in Berlin, mit Teamwork-Projekten und Mentoringprogrammen. Unterstützt wird das Team von Kiron dabei durch Partneruniversitäten, zum Beispiel aus Aachen, Eberswalde, Heilbronn und Westafrika. Im dritten Jahr folgt die Spezialisierung auf einen der fünf Studiengänge wie etwa Business, Intercultural Studies oder Architecture – das sind die populärsten Studienentscheidungen von Geflüchteten. Das dritte Studienjahr erfolgt an einer der Partneruniversitäten vor Ort, bei denen sich die Studenten nach einem abgeschlossenen Studium Generale bewerben können. Bereits bei Kiron werden hierfür die notwendigen deutschen Sprachkenntnisse geschaffen.


Durch den Studiennachweis bekommen die Studenten automatisch ein Studentenvisum. Die Abschlüsse sind international anerkannt, so werden langwierige bürokratische Prozesse und Hürden umgangen. Während der Studienzeit steht Kiron den Studenten tatkräftig zur Seite, sei es durch psychologische Betreuung, Internetzugang, Vorbereitungs- und Sprachkurse. Dabei verfolgt Kiron den Weg, den aller nachhaltig sozialen Projekte: den Wunsch, in einer Zukunft zu leben, in der die soziale Unterstützung überflüssig geworden sein wird. Kiron finanziert sich noch durch Spenden und Förderungen von Stiftungen – es ist ein Flagship, das nahezu jede große Stiftung zu ihren Projekten zählen will. Um den sozialen Sektor zu stärken, um sich selbst monetarisierende, funktionierende Projekte zu ermöglichen, wurde zusätzlich „Kiron Ventures” gegründet, ein Start-Up-Inkubator. Das Ziel: Gründungen von und für geflüchtete Menschen sowie Projekte, die einen Bezug zum Thema Migration aufweisen, zu unterstützen.


Perspektiven ermöglichen, Hilfe zur Selbsthilfe und Selbstermächtigung durch Bildung – das sind die Leitsätze, die das Team von Kiron prägen. Denn Kiron ist kein Einzelprojekt. Gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern wie Werbe- und PR-Agenturen, Textern, Programmierern, Designern und anderen gestalten viele ehrenamtliche Mittzwanziger nach humanistischen Grundsätzen die Mindeststandards einer zivilisierten Gesellschaft dort, wo die Politik noch versagt. Markus und Vincent sieht man nicht an, was sie tun. Doch wenn man mit ihnen spricht, hat man das Gefühl, mit jungen Managern zu reden: Sie hetzen von Termin zu Termin, schlafen kaum bis wenig. Die Idee hat Form angenommen, und wie in einem großen Unternehmen müssen alle Abläufe koordiniert werden. Langfristig wollen sie mit Kiron Millionen von Geflüchteten weltweit das Studieren ermöglichen. Dafür arbeiten schon jetzt Teams in Deutschland, dazu in London, Paris, Istanbul und anderen Städten. Sie wissen: Leid ist allgegenwärtig. Der Wille, etwas dagegen zu tun, der Wille der Menschen, sich selbst zu verwirklichen, ebenso.

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