Die Kaffeefilter finden sich dann doch ganz hinten in einer Schublade. Als guter Gastgeber bietet Rudolf Hege wie selbstverständlich einen Kaffee an. Der passionierte Teetrinker weiß nur nicht, wo seine Frau die Kaffeefilter aufbewahrt. „Aber wer einen Kaffee möchte, bekommt den auch bei mir ", sagt er bestimmt und gießt langsam das Wasser in die Kaffeemaschine, schließt langsam den Deckel und stellt langsam die Kanne unter den Filter.
Rudolf Hege ist an Parkinson erkrankt. Schnelle Bewegungen fallen ihm schwer. Der Kaffee plätschert in die Kanne. Anlass genug, um über die Wirkungsweise von Koffein zu diskutieren. „Das ist doch ein Alkaloid." Nein, Biologielehrer sei er nicht gewesen. „Ich habe Mathematik und Wirtschaft unterrichtet", sagt Hege und vertieft sich redegewandt in das nächste Thema. Europa. „Die Europäer müssen wieder mit einer Stimme sprechen, sonst lacht am Ende nur Trump", analysiert der engagierte Pädagoge. „Doch eigentlich wollte ich über etwas anderes reden."
Mit schnellen kleinen Trippelschritten führt er ins Wohnzimmer. „Das ist typisch für Parkinson. Große Schritte werden schwieriger", kommentiert er sich selbst. Mit gekrümmten Rücken setzt er sich. Auf dem Tisch liegen akkurat sortierte Unterlagen der Steuer. „Ich brauche für Sachen, die ich früher in fünf Minuten gemacht habe, inzwischen deutlich länger", erklärt er, „das ärgert mich."
Seine Parkinsonerkrankung begleitet ihn nun seit sieben Jahren. Die Anfänge der Krankheit ließen sich aber nur im Nachhinein rekonstruieren. „Ich wollte eine Mathematikaufgabe an die Tafel schreiben, aber ich konnte meinen Arm nicht heben", erinnert Hege sich, „nach dem dritten Versuch war es so still in der Klasse, man hätte eine Fliege gehört."
Später im Urlaub wollte er schwimmen gehen und konnte die Armbewegung nicht mehr ausführen. „Das habe ich alles als Schwächeanfall abgetan. Ich hatte keine kausale Erklärung dafür", so Hege. Als er die Zeugnisse seiner Schüler unterschreiben sollte, brach sein Arm immer wieder aus: „Eigentlich habe ich eine ordentliche Schrift." Seine Kollegen schickten ihn zum Neurologen. „Das fand ich übertrieben", sagt der ehemalige Schulleiter, „ich bin doch nicht krank."
Marmelade, Leder, Gewürze. Der Neurologe präsentierte Rudolf Hege verschiedene Gerüche, die er unterscheiden musste. Ein verschlechterter Geruchssinn kann ein Frühsymptom der Parkinsonerkrankung sein. „Die Tests fand ich damals unspezifisch und lächerlich, wozu sollte ich an diesen Dosen schnüffeln?", so Hege. Nach mehreren verschiedenen Arztbesuchen erhielt er die Diagnose. Rudolf Heges Stimme senkt sich: „Das Wort Parkinson fiel halblaut, aber ich konnte damit überhaupt nichts anfangen."
Er liest sich in die Thematik ein und erfährt, dass Parkinson nicht geheilt, der Krankheitsverlauf höchsten verzögert werden kann. Wissbegierig flüchtet er nach vorne. Beinah als habe er selbst Medizin studiert, doziert er über das Krankheitsbild. „Bei Morbus Parkinson fehlt dem Gehirn zunehmend der Botenstoff Dopamin. Unsere Bewegungsimpulse werden über Neurotransmitter weitergeleitet. Wir sind ja keine Marionetten der Augsburger Puppenkiste." Die Krankheit wirkt sich bei jedem unterschiedlich aus. Der Verlauf ist unberechenbar. Grundsätzlich ließen sich aber zwei Grundtypen unterscheiden. Der Tremor, bei dem die Betroffenen unkontrolliert zittern und der Rigor, bei dem der Körper versteift. „Zu letzter Gruppe gehöre ich", sagt Hege. Inzwischen habe er außerdem Gleichgewichtsprobleme.
Genauso leidenschaftlich wie er über Politik oder seine ehemaligen Schüler sprechen kann, erzählt er von seiner Modelleisenbahn und möchte sie „en Detail" zeigen. Doch es geht erstmal nicht. Rudolf Hege will aufstehen und verharrt doch auf seinem Stuhl. „Das fühlt sich gerade an, als wären 15 Hosenträger über meine Brust und meinen Rücken gespannt, die mich nach unten drücken", erklärt er. In der Bahn bekommt er inzwischen sofort einen Platz angeboten. „Das ist schon nett", sagt er, „aber es tut auch weh zu wissen, dass ich selbst für Fremde wie ein kranker Mann wirke."
Aber Bewegung helfe. „Den Sport habe ich erst jetzt für mich entdeckt", sagt Rudolf Hege, „wenn man dann gegen jüngere Badminton spielt. Das gibt einem etwas - auch emotional."
Überhaupt die Physio-, Ergotherapeuten und Logopäden. „Diese Menschen leisten so eine wertvolle Arbeit, ohne die säße ich vermutlich schon im Rollstuhl", meint Hege und wird politisch. „Die sollten leistungsgerecht bezahlt werden. Dafür müssten sie sich aber erstmal organisieren", seufzt er. Rudolf Hege engagiert sich in der Parkinson-Regionalgruppe, verweist auf das Parkinsonnetz Münsterland und würde vermutlich persönlich für die pflegenden Berufe auf die Straße gehen - wenn sein Körper mitmachen würde.