Alessandro Ford, 19, schrieb sich nach der Schule als einziger westlicher Student in Pjöngjang ein. Er war fortan nie mehr allein - und musste ohne Dusche, aber mit viel Wodka und ausgeprägtem Führerkult leben.
"Ich hatte keinen Plan, was ich nach der Highschool machen sollte. Backpacken wie alle anderen wollte ich nicht. Ich dachte an einen Sprachkurs in Afrika oder an ein Praktikum in Brüssel, wo ich aufgewachsen bin. Mein Vater drängte auf eine Entscheidung - andernfalls würde er mich nach Nordkorea schicken. Es sollte ein Witz sein.
Doch je länger ich grübelte, desto weniger abwegig erschien mir diese Idee. Mein Vater, ein ehemaliger EU-Politiker, hat sich früher um diplomatische Beziehungen mit Nordkorea bemüht und mich schon einmal auf eine zweiwöchige Reise dorthin mitgenommen. Mein Vater fragte also an, ob ich kommen könnte - und die Kim-Il-Sung-Universität in der Hauptstadt Pjöngjang sagte zu. Neun Monate lernte ich neben meinem Schulabschluss bereits in Brüssel Koreanisch, im September 2014 ging es dann schließlich los.
Was wirklich komisch für mich war: Ich war nie allein. Nicht einmal einen Wecker brauchte ich. Um sieben Uhr morgens fuhr ein Truck an den Fenstern unseres Wohnheims vorbei, aus blechernen Lautsprechern dröhnte nordkoreanische Weckmusik. Mein Zimmergenosse und ich gingen dann zusammen zum Frühstück, anschließend hatte ich drei Stunden Unterricht, dann Mittagessen, vier Stunden gemeinsame Hausaufgabenzeit, anschließend Sport und Sauna.
Elitär und diskriminierend
Sauna ist in Nordkorea ein großes Ding, vermutlich, weil es so kalt ist - im Winter schon mal 25 Grad minus. Es gab keine Duschen, nur ein großes Bad, in das wir alle gemeinsam gingen und wo wir uns mit kaltem Wasser wuschen - ohne Distanz oder Scham. So kam es auch vor, dass man sich gegenseitig anfasste und ausgiebig Muskeln bewunderte. Ein Freund fragte mich mal, ob ich sein Bein massieren könnte. Ich fand das komisch, das hat dort aber überhaupt nichts Sexuelles. Auch Über-20-Jährige sind in der Regel Jungfrau, voreheliche Beziehungen sind keusch, und Homosexualität sehen alle als 'Krankheit' an, die noch nicht herübergeschwappt ist.
Die Uni in Pjöngjang ist sehr elitär, nur die besten Schüler des Landes werden aufgenommen. Nur für Austauschstudenten, die vor allem aus China, Vietnam und Russland kommen, ist es etwas einfacher. 3000 Euro habe ich für die vier Monate an der Uni gezahlt, neben dem Koreanisch-Unterricht waren darin auch die Unterkunft und das Essen inklusive.
Vor mir gab es wohl schon Studenten aus Tschechien. Weil diese jedoch eine kommunistische Vergangenheit haben, zählen sie für die Nordkoreaner nicht als europäisch - ich war für sie der erste westliche Student und ein Experiment. Sie sahen mich fast als eine Art Diplomaten, wollten wissen, was wir über ihr Land denken, und baten darum, nach meiner Rückkehr positiv von Nordkorea zu berichten.
Die Menschen im Land sind wahnsinnig arm, aber für mich gab es immer extrem viel zu essen, damit ja kein falscher Eindruck entsteht. Als meine Mutter und meine Schwester mich besuchten, organisierte die Regierung eine Rundreise für uns. Einige Studenten wurden extra ausgewählt, um mit mir und anderen Austauschstudenten rumzuhängen.
Die USA sind an allem schuld
Die Nordkoreaner lieben Bier und Wodka. Am schönsten fand ich es, wenn ich abends mit meinen koreanischen Freunden getrunken habe. Sonst sind sie ja wahnsinnig ehrgeizig und diszipliniert, aber an solchen Abenden war alles sehr locker, manchmal machten sie Witze über mein Koreanisch. Wir haben Karaoke gesungen und konnten offen reden.
Für meine nordkoreanischen Freunde steht alles unter der Idee eines großen Anführers. Ein Wissenschaftler beschwerte sich etwa darüber, zum Militär zu müssen. Es kam ihm aber nicht in den Sinn, den Militärdienst oder das System an sich zu kritisieren. Stattdessen argumentierte er, er könne seinem Land doch in einem Labor viel besser dienen. Oft fallen bei solchen Beschwerden Floskeln wie 'Wenn das der Führer wüsste!' Den Personenkult finde ich gruselig, manche tragen sogar Anstecker mit kleinen Bildern der großen Führer.
Die amerikanische Regierung ist für Nordkoreaner grundsätzlich böse und an allem schuld: an der Armut, am kalten Wasser, an allem, was schiefläuft. Diese einseitige Sichtweise macht mich traurig. Ich hoffe, dass sich das Land etwas mehr öffnet, so wie es China in den vergangenen Jahren gemacht hat.
Ein paarmal war ich kurz davor abzubrechen. Die völlige Isolation und einsam zu sein, ohne je allein zu sein, haben mich fertig gemacht. Studenten dürfen nur in Ausnahmefällen das Internet benutzen und werden dabei überwacht. Normale Telefone funktionieren nur im Inland. Mit einem internationalen Telefon habe ich einmal in der Woche meine Mutter angerufen.
Kurz vor Weihnachten bin ich zurückgeflogen. Am Flughafen in Peking hat mich alles überfordert: Überall war Werbung, Menschen trugen verschiedene Kleidung, es war laut, hektisch und bunt, statt eintönig und trist. Zwei Tage habe ich mich in einem Hotelzimmer verschanzt. Zurück in Brüssel musste ich mich daran gewöhnen, auf der Straße nicht angestarrt zu werden, kein Exot mehr zu sein.
Bald fange ich an, in Bristol Philosophie zu studieren. Und obwohl die Zeit in Nordkorea voller Entbehrungen war: Ich werde auf jeden Fall wieder hinfahren. Allein schon, um meine koreanischen Freunde wiederzusehen - Kontakt haben wir nämlich keinen: Ein Brief würde drei Monate brauchen und auf jeden Fall kontrolliert werden."
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