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"Du hast mich im Suff leidenschaftlich angebellt"

In der Uni-Bibliothek verguckt, aber den richtigen Moment verpasst? Die sogenannten "Spotted"-Seiten bei Facebook sollen Flirt-Feiglingen auf die Sprünge helfen - und sind ein Hit. Doch nicht jedem gefällt dieser Hype, und manche Angebetete fühlt sich plötzlich gestalkt.


2500 neue Fans - am Tag! Ungläubig starrten Marc* und Guido* auf die immer weiter steigende Anzahl an Likes: Ihre Seite auf Facebook Spotted: Stabi München sprach sich schnell herum unter Münchner Studenten. Die Macher lasen euphorisch die vielen Nachrichten, posteten bis zu 20-mal am Tag und leiteten Antworten weiter.

Fast jeder Student, fast jede Studentin kennt diese Situation: In der Bibliothek am Nachbartisch sitzt die Traumfrau, in der Mensa-Schlange steht der Traummann. Man müsste sich nur trauen, ihn ansprechen, sie fragen, ob sie Lust auf einen Kaffee hat. Und dann: zu spät! Wird man ihn oder sie je wiedersehen?

Studenten wie Marc und Guido wollen zu einem Wiedersehen verhelfen. Wer eine zweite Chance will, schreibt den Seitenbetreibern, und sie posten die Suchanzeige anonym auf der jeweiligen Spotted-Seite. Der Gesuchte schreibt bei Interesse den Seitenbetreibern, die wiederum leiten die Nachricht an den Inserenten weiter. In nahezu jeder größeren Uni-Stadt existiert bereits so eine: In Passau beispielsweise betreibt eine Studentin die Facebook-Seite, in Dresden ein Dreiergespann aus Studenten und Schülern.

Das Konzept ist nicht neu, bislang gab es das aber hauptsächlich im angelsächsischen Raum. Die deutschen Spotted-Seiten sind adaptiert von Seiten wie "Spotted: On Dublin Bus", die Passagiere verkuppeln will. Marc und Guido wählten die Staatsbibliothek München, weil sie unter Studenten schon lange als "Laufsteg des Lernens" bekannt ist. Der besondere Reiz an diesen Spotted-Seiten: In der Bibliothek dürfen Studenten tatsächlich nur gucken, sprechen gilt als äußerst unfein. Wer sich nicht daran hält, kassiert böse Blicke.

In der Prüfungszeit schlagen die Hormone der Lernenden Purzelbäume. Auf der Stabi-Seite wird unter anderem ein "schöner Brillenträger mit grünen New Balance Sneakers und James Bond Gangart" gesucht, dessen Entdeckerin gern sein Bondgirl sein möchte. Ein Besucher ist abgelenkt von der nach Aprikosen-Shampoo duftenden Blondine neben ihm - und möchte sich mit ihr dringend über die Themen Familienplanung und Partnerwahl unterhalten. Aber nicht nur schmachtende oder sympathisch-lustige Einträge schaffen es auf die Seite. "An die junge Göttin in blau, die an ihrem Kuli kaut und dabei lasziv in die Runde blickt: mehr Zunge bitte!" heißt es beispielsweise. Mehrere männliche Studenten suchen offen nach Bettgespielinnen.

Der Hype um das Spotted-Prinzip gefällt natürlich nicht jedem. Vor allem auf der Seite für das beschauliche Passau verlinken Freunde den Gesuchten oft direkt in den Kommentaren unter dem Post. Die meisten Studenten nehmen das zwar mit Humor - wie Larissa, die mit vollständigem Namen in einem Beitrag erwähnt wurde: "Ich hab herausgefunden, wer es war und fand's eigentlich ziemlich amüsant", sagt sie. Anders bei Nina, die weder ihren richtigen Namen noch ihre Uni nennen will, sie sagt: "Bei mir grenzte es schon an Stalking." Unbekannte schickten ihr, nachdem sie verlinkt wurde, massig Freundschaftsanfragen, bombardierten sie mit Nachrichten. Nach ein paar Tagen legte sich das wieder, trotzdem war Nina sauer auf die Freunde, die sie verlinkt hatten.

Spotted hat schon Konkurrenz bekommen

Auch Marc und Guido aus München freuten sich irgendwann nicht mehr über ihre explodierende Spotted-Seite: Die Kommentare wurden immer platter, die Seite verlor ihren Reiz. "Ein gut gemeinter Rat an alle, die diese Seite nutzen: Versucht es mal bei Friendscout, neu.de oder Elitepartner", schreibt eine Userin. "Wie schlecht", ist nicht selten unter Posts zu lesen. Am 11. Januar, zwei Wochen nach dem Start, inzwischen über 12.000 Fans, verkündeten die Macher via Facebook: "Schluss und aus. Wir hören auf! Spotted:Seiten verkommen zu akademischem Bubble-Tea." Sie hatten keine Lust mehr, was aber nicht das Ende der Seite bedeutete: Denn kurz darauf haben aber andere die Seite wiederbelebt. Und es wird an den Spotted-Seiten weitergebastelt: Das Dresdner Team entwickelt zum Beispiel eine App als professionelle Alternative zum aktuellen Spotted-Seiten-Chaos der verschiedenen Betreiber.

Die Seiten amüsieren, unterhalten und lenken Studenten vom Lernen ab, und trotz aller Kritik scheinen sie zumindest manchmal auch ihren eigentlich Zweck zu erfüllen: Die meisten Seitenbetreiber erzählen von zwei, drei Leuten, die eine verloren geglaubte Bekanntschaft wiedergefunden oder sich auf einen Kaffee getroffen haben. "Keine Ahnung, wie lange die Seite funktioniert. Aber solange die Studenten mitmachen, mache ich sie!", sagt die Initiatorin der Passauer Seite.

Und falls Studenten doch bald keine Lust mehr auf Facebook und Spotted haben, gibt es auch schon eine neue Seite, die eine ähnliche Idee verfolgt: Nik Myftari, 27, überzeugten die Spotted-Seiten nicht. "Was bringt es", fragt der Heidelberger Student, "wenn die Leute sich nicht direkt kontaktieren können?" Mit Kommilitonen gründete er deshalb Anfang Januar Bibflirt - hier können sich die Gesuchten direkt beim Inserenten melden, der aber selbst anonym bleibt. Noch diese Woche soll die internationale Bibflirt-Version www.spotteduniversity.com starten, es gibt erste Kooperationen mit deutschen Spotted-Seiten.

Die Bibflirt-Macher versuchen - wie auch einzelne Spotted-Seitenbetreiber - Beleidigungen einzudämmen, doch mittlerweile stoßen auch sie an ihre Grenzen. Er habe nicht mit einer so gewaltigen Resonanz gerechnet, sagt Nik Myftari. "Wir sind zwar erst vor gut einer Woche online gegangen, aber wir schlafen alle nur noch zwei bis drei Stunden pro Nacht." Trotz der Anfangseuphorie haben sie noch kein Geschäftsmodell und keine weiteren Pläne gemacht, behauptet Myftari. Er und seine Mitstreiter fänden einfach nur das Flirten an der Uni toll - und plädieren für mehr Liebe auf dem Campus.


* Namen von der Redaktion geändert



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