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Griesheim: Protest gegen Braunkohle

Das Unternehmen Weylchem will im Frankfurter Industriepark ein Kohlekraftwerk bauen. Es soll 2016 in Betrieb gehen. Während sich Widerstand in der Bevölkerung formiert, ist die Politik machtlos.


Die Liste der Sorgen, die sich die Griesheim er dieser Tage machen, ist lang. Das Unternehmen Weylchem will im Frankfurter Industriepark zwischen Stroofstraße und Bahntrasse ein Kohlekraftwerk errichten. Noch in diesem Jahr soll der Bau beginnen, damit ab Sommer 2016 durch die Verbrennung von Braunkohlestaub dort Dampf erzeugt werden kann. Demnächst will Weylchem den Genehmigungsantrag beim Regierungspräsidium Darmstadt stellen.


Doch gegen die Pläne formiert sich nun Protest. Unter Federführung von Ursula Schmidt wurde zu Ostern die Bürgerinitiative „mainGriesheim" gegründet. Die bislang rund zehn Aktivisten wollen in den kommenden Monaten und Jahren gegen das Kraftwerk vorgehen. Im Idealfall werde es gar nicht gebaut, erklärt Schmidt das Hauptziel der BI. Ihre „Minimalforderung" sei jedoch, dass Weylchem eine spezielle Filteranlage einbaue, damit sich die Luft im Frankfurter Westen nach Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks nicht allzu sehr verschlechtere.


Vorbild für den aufkeimenden Protest ist die Arbeit des Vereins Zukunft Fechenheim, dessen Mitglieder sich jahrelang in Form einer Bürgerinitiative gegen ein ähnliches Kraftwerk in ihrem Stadtteil eingesetzt haben und dagegen klagten. Der Vorsitzende des Vereins, Werner Scholz, bestätigt, dass ein „loser Infokontakt" zu der neuen Bürgerinitiative aus Griesheim bestehe.


Scholz' Tipp an die Griesheimer: Zügig „die Bürger aktivieren" und sich darüber bewusst zu werden, dass man für den Protest gegen Braunkohle einen langen Atem brauche. Scholz empfiehlt zudem, gegenüber Weylchem von vornherein Klagebereitschaft zu signalisieren und dafür auch schon Geld zu sammeln: „Die Errichter solcher Kraftwerke lassen sich anders nicht gängeln."


48 200 Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr

Konkret plant Weylchem in Griesheim auf etwa 1000 Quadratmetern ein Braunkohlestaubkraftwerk zu errichten, um mehrere Anlagen im Industriepark mit Dampf für Prozesswärme zu versorgen. Der Bau ersetzt eine alte Anlage. „Während wir unseren Strom aus öffentlichen Netzen beziehen, können wir den benötigten Dampf nicht so einfach auf dem Markt kaufen", begründet Weylchem-Geschäftsführer Rafael Reiser, warum das Kraftwerk benötigt werde. Zudem sichere die Investition die Sicherheit der 210 Arbeitsplätze am Standort Griesheim, wo vor allem Bestandteile für Pflanzenschutzmittel sowie Farbstoffe und Pigmente produziert werden.


Wohl auch angesichts des hartnäckigen Protests aus Fechenheim gibt sich Weylchem nun Mühe, in der Öffentlichkeit das Bild eines hochmodernen und sauberen Projekts zu zeichnen, von einer „sehr modernen Energieanlage", wie Reiser sagt. So könne das neue Werk in Zukunft auch mit Erdgas oder White Powder - einem Brennstoff aus Biomasse - betrieben werden. Momentan sei das jedoch zu teuer. Berechnungen zufolge wird das Kraftwerk pro Jahr 48 200 Tonnen CO2 ausstoßen - für Reiser ein „akzeptabler Wert". Zum Vergleich: Die bisherige Anlage stößt 7200 Tonnen weniger aus. Die Leistung der Anlage wird elektronisch auf 19,5 Megawatt begrenzt, um nicht am Emissionshandel teilnehmen zu müssen.


Einen Vorteil sieht Reiser darin, dass man den Braunkohlestaub nicht importieren, sondern aus dem Braunkohlerevier in der Kölner Bucht beziehen werde. Drei Lastwagen sollen pro Werktag Staub nach Frankfurt transportieren und je einer die Asche zur Renaturierung ins Rheinland.


„Anachronistisch und unmoralisch"

Neben den zahlreichen ökologischen Nachteilen der Braunkohle muss sich Weylchem auch Fragen zur Filteranlage gefallen lassen. Eine solche stand auch schon im Mittelpunkt des Fechenheimer Protests. Reiser zufolge plane man den Einbau einer „zweistufigen Filteranlage mit Zyklonabschneider und Gewebefilter". Eine Rauchgasentschwefelungsanlage, wie sie in Fechenheim gefordert wurde, sei nicht geplant. Eine solche Anlage könnte zur Abscheidung von gasförmig auftretendem Quecksilber beitragen, argumentiert Werner Scholz. Bei Weylchem heißt es dazu nur, eine solche Anlage sei „nicht erforderlich, wenn die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden".


Grundsätzlichen Protest gegen den Bau eines Kohlekraftwerks mitten in der Stadt formulieren neben der Römer-SPD auch die Grünen im Ortsbeirat 6. Deren Fraktionsvorsitzender Thomas Schlimme hat für die kommende Sitzung des Stadtteilgremiums einen Antrag mit dem Titel „Bau eines Braunkohlekraftwerks im Industriepark Griesheim so schwer wie möglich machen" aufgesetzt. Darin fordert er unter anderem, dass die Stadt eine führende Rolle beim Protest gegen das Kraftwerk einnimmt und gegebenenfalls Klage einreicht. Statt Kohle soll in Griesheim lieber umweltschonenderes Gas zum Einsatz kommen. „Angesichts des rasant voran schreitenden Klimawandels kann der Bau eines neuen Kohlekraftwerks im Jahre 2015 nur als anachronistisch und unmoralisch bezeichnet werden", so Schlimme.


Auch die Stadt steht dem Projekt ablehnend gegenüber. Eine Klage habe jedoch „zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei rechtliche Grundlage", so Janina Steinkrüger, Referentin von Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Grüne). Zudem befände sich die geplante Anlage „leider in einer Größenordnung" für die keine Umweltverträglichkeitsprüfung benötigt werde. Das Umweltdezernat setze deshalb „verstärkt auf einen Dialog mit den Betreibern".


Alle wollen den Dialog verstärken

Darauf setzt allem Anschein nach auch Weylchem, zumindest hat das Unternehmen in den letzten Wochen eine wahre Kommunikationsoffensive gestartet. Nach einem Informationsabend im März wurden jetzt Gesprächseinladungen an „Politiker aller Fraktionen und unsere Kritiker" versandt, bestätigt ein Sprecher. Zudem wurde die Internetseite mit dem Namen „Zukunft Griesheim" eingerichtet, auf der allerlei - meist positive - Fakten über das geplante Kraftwerk einzusehen sind. Gerade diese Internetseite stößt aber den Mitgliedern von „mainGriesheim" bitter auf - vor allem ein Videobeitrag, in dem mehrere Griesheimer Geschäftsleute erzählen, wie wichtig der Industriepark für den Stadtteil sei. „Für wie blöd halten die uns denn?", fragt sich BI-Mitbegründerin Ursula Schmidt. Ihrer Meinung nach seien die meisten Menschen im Stadtteil gegen das geplante Kohlekraftwerk.

Konkret wird der Protest gegen Ende des Monats: Dann wollen die Gegner vor den Toren des Industrieparks gegen das Kraftwerk demonstrieren. Damit möglichst viele kommen, werden dieser Tage Broschüren und Unterschriftenlisten verteilt.


Kritisch begleiten wollen BI als auch Grüne und SPD zudem zwei weitere Neubauprojekte im Industriepark: eine Müllentsorgungsanlage und ein Gaskraftwerk. Besonders kritisch beäugt man aber die Pläne von Weylchem. Schlimme rät dem Unternehmen, Ernst zu machen mit der zugesagten offenen Kommunikation. Ansonsten werde letztlich „die gesamte Akzeptanz des Industrieparks in Frage gestellt".


Alles zum Thema Griesheim finden Sie auf unserer Themenseite Frankfurt Griesheim.

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