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Manfred Zieran: Hassliebe zum Nordend

Der Lokalpolitiker und Journalist Manfred Zieran wünscht sich einen sozialeren Stadtteil. Gerade im Nordend gibt es kaum noch bezahlbare Wohnungen, was einen Austausch der Bevölkerung zur Folge hat.

Die Migranten sind alle weg", sagt Manfred Zieran und deutet auf einen frisch sanierten Gründerzeitbau. Die griechische Schneiderin, die türkische Familie, die Packerin aus Kroatien, die früher bei der Pharmafirma Merz gearbeitet hat - sie alle sind fortgezogen. Wahrscheinlich in einen günstigeren Stadtteil. Die Neuhofstraße zwischen Friedberger und Eckenheimer Landstraße ist exemplarisch für das Nordend: Hier steigen die Mieten, dadurch verändert sich die Nachbarschaft. Eigentlich sei sie komplett ausgetauscht, erzählt Zieran. Der 63-Jährige muss es wissen: Seit Mitte der 70er Jahre lebt er mit seiner Lebensgefährtin Jutta Ditfurth im Nordend. Hier hat er die Grüne Liste Hessen mitgegründet, gegen Atomkraft gekämpft und sich als Politiker und Journalist gegen die Auswüchse des Kapitalismus engagiert.

Dazu zählt auch die Spekulation mit Wohnraum. Zieran hat zu vielen Häusern im Nordend eine Geschichte parat, kann erzählen, wann die Besitzer wechselten und wie zäh der Kampf der Mieter gegen die jeweilige Sanierung war. So auch in der Neuhofstraße, wo Zieran lebt. Die Fassade eines Nachbarhauses wurde mit Styropor zugekleistert, ein Aufzug und eine steinerne Mini-Piazza gebaut. Und eine Tiefgarage mit betonierter Zufahrt. „Wenn jeder so was baut, sind die Vorgärten im Nordend weg", ärgert sich Zieran.

Das jüngste Kapitel in punkto Luxussanierung wird derzeit in der Keplerstraße geschrieben, wo sich die Bewohner eines Hauses gegen den drohenden Rausschmiss wehren. Als Zieran das Haus passiert, winkt ihm ein Bewohner zu. „Wir bleiben", ruft der Mann herunter. Man kennt sich. Doch Zieran zwickt die Augen zusammen. Kampfparolen hat er schon viele gehört. In den seltensten Fällen haben sie geholfen.

Augenzeuge der Verdrängung

Zieran verbindet mit dem Nordend eine Art Hassliebe. „Zum Wohnen ist es schön, aber das Viertel ist sozial nicht mehr, was es einmal war", sagt er. Und fügt hinzu: „Es wird zunehmend unangenehmer und es gibt hier so Einiges, das mich anekelt." Dass die Bäckerei Gehlfuß in der Eckenheimer Landstraße schließen musste zum Beispiel. 2014 wurde die Miete verdoppelt. Der Familienbetrieb machte dicht.

Was Zieran daran so ärgert, ist auch, dass das passiert, obwohl die Grünen in Frankfurt mitregieren. Er hat die Partei 1991 verlassen und die Ökologische Linke gegründet, für die er im Ortsbeirat 3 sitzt. „Seit Realogrün das Sagen hat, wird im Nordend verdichtet, was das Zeug hält", sagt er. Dann zeigt er einen Innenhof in der Humboldtstraße. Vor ein paar Jahren war dort ein Garten. Heute stehen hier Geländewagen.

Doch ein paar Überbleibsel des guten alten linken und sozialen Nordends gebe es noch, sagt Zieran lächelnd. Das Reformhaus Andersch in der Glauburgstraße etwa. Weil das Bio-Obst aus der Wetterau komme, sei es erschwinglich. Für Zieran ist der Laden eine „Institution", die sich „gegen die Großen behauptet". Manchmal trifft er hier auf den Theatermacher Michi Herl. Dass der das Stoffel-Festival etabliert hat, rechnet der Blues- und Rockfan Zieran ihm hoch an. Solch unkommerziellen Freiräume gelte es zu erhalten. Ein weiteres kulturelles Juwel sei das Café Odyssee in der Weberstraße.

Doch Zieran will sich Neuem nicht verschließen. So mag er zum Beispiel das Bio-Eis vom Rosa Canina in der Spohrstraße. Wer den Laden so besucht? „Die Hipster halt", sagt der Betreiber und schält mit seinem Löffel schwarzes Sesameis aus der Vitrine - 1,40 Euro kostet eine Kugel.

Mit dem Kampf gegen die Gentrifizierung ist das so eine Sache. Setzt man sich für weniger Autos und mehr Bäume ein - was Zieran unablässig tut - wird das Quartier attraktiver und die Mieten steigen. Zieran weiß das. Überrascht hat den Nordend-Kenner, dass der sanierte Matthias-Beltz-Platz und selbst die Sitzquader vor der Gethsemanekirche so gut angenommen werden. Das zeige, wie sehr die Bewohner des dicht bebauten Stadtteils nach Freiräumen lechzen. Deshalb müsse man auch dafür kämpfen, dass die Kleingärten östlich der Friedberger Landstraße bleiben.

Apropos Freiräume: Zieran wünscht sich, dass südlich des Merz-Bürobaus, wo bald ein kriegsversehrter Altbau abgerissen wird, statt teurer Wohnungen „eine Art Jugendsozialzentrum" entsteht. Ein bisschen wehmütig denkt Zieran da an den unteren Oeder Weg und das Volksbildungsheim und das Theater am Turm, die es beide nicht mehr gibt. Was noch da ist, ist die Naturbar - Frankfurts erstes vegetarisches Restaurant, das Zierans Bekannter Omar Laalou betreibt. Politische Diskussionen seien jedoch selten geworden, erzählt der. Und statt am langen Tresen sitzen die Gäste nun an Einzeltischen. „Die Leute wollen das heute so", sagt Laalou. Zieran zuckt mit den Schultern. Er kommt trotzdem noch gerne hierher.

Erschienen: 04.08.2015

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