Bartholomäus Grill ist Deutschlands bekanntester Afrika-Korrespondent. In den vergangenen 40 Jahren wurde er Zeuge, wie China seine Präsenz auf dem Kontinent kontinuierlich ausweitete. Vorurteile über chinesischen Neo-Kolonialismus hält er dennoch für falsch. Die Volksrepublik gehe im neuen „Wettlauf um Afrika“ weitsichtiger vor als die Europäer. Mit Grill sprach Fabian Peltsch.
Sie haben 40 Jahre als Korrespondent für Magazine wie ZEIT und SPIEGEL aus Afrika berichtet. Wie haben Sie persönlich die Expansion der Chinesen auf dem Kontinent erlebt?
Zunächst hatte mich gewundert, dass ich in abgelegenen Dörfern von den Kindern plötzlich nicht mehr als Mzungu oder Mlungu bezeichnet wurde, also als „weißer Mann“, sondern mir ein „China, China“ entgegen tönte. Seit der Jahrtausendwende tauchten immer mehr Chinesen auf. Chinesische Unternehmer, Händler, Migranten. Und ich hatte das Gefühl, dass der weiße Mann nun seine Schuldigkeit getan hat und abgelöst wird durch die Chinesen.
Enge Kooperationen afrikanischer Länder mit der Volksrepublik gab es schon in den 50er- und 60er-Jahren. Während des Kalten Krieges unterstützte China auch afrikanische Freiheitsbewegungen, etwa in Eritrea. Könnte man statt von Expansion auch von Kontinuität sprechen, wenn es um China und Afrika geht?
Der Genosse Mao hatte den Genossen Nyerere in Tansania unterstützt. Auch Jonas Savimbi, Widerstandsführer in Angola, war in chinesischer Schule gewesen. Das war die alte Solidarität: Brüdervölker müssen zusammenarbeiten, ähnlich wie das auch Moskau in afrikanischen Ländern propagiert hat. Heute spricht man von Süd-Süd-Kooperation und von Win-Win-Situationen. Die ideologischen Vorgaben der Kalten-Kriegs-Zeit passen so gesehen ganz gut zur neuen Strategie der Chinesen.
Im Westen fällt in diesem Zusammenhang noch immer gerne das Wort Neo-Kolonialismus. Wie bewerten Sie diese Terminologie als Journalist, der sich ausgiebig mit afrikanischer Geschichte während der Kolonialzeit auseinandergesetzt hat? Betreibt China in Afrika eine Art von Kolonialismus?
Das Wort Kolonialismus im Zusammenhang mit Chinas Expansion halte ich für unzutreffend, der Begriff und die Geschichte des Kolonialismus werden falsch verstanden. Die Kolonialmächte haben die Kolonien erobert, unterworfen und enteignet, sie haben die politische Macht an sich gerissen. Die Menschen hatten überhaupt nichts zu sagen, sie waren einfach nur Ausbeutungsobjekte. China mischt sich hingegen nicht in die inneren Angelegenheiten der Partnerländer ein. Man kann Peking keine koloniale Strategie unterstellen, sehr wohl aber eine imperiale: Eine imperialistische Macht strebt Weltgeltung und Weltherrschaft an. Das kann eine Kolonialmacht sein, das kann aber auch eine wirtschaftlich aggressiv expandierende Macht wie China sein.
Wollen ehemalige Kolonialmächte mit diesem Vorwurf möglicherweise die eigenen kolonialen Verbrechen relativieren?
Nein, das glaube ich nicht. Es sind eben die Ähnlichkeiten, die auffallen: Wenn Außenmächte heute nach Rohstoffen jagen, dann läßt sich das durchaus mit dem „Wettlauf um Afrika“ im 19. Jahrhundert vergleichen. Damals ging es auch um Bodenschätze, um Agrarerzeugnisse, um Plantagenprodukte. Auch China plündert die Ressourcen Afrikas. Und es setzt seine Billigwaren auf dem Kontinent ab. China sieht Afrika aber nicht als Risiko, wie viele westliche Staaten und Unternehmen, sondern als große Chance. Die Chinesen haben in Afrika weniger Berührungsängste als wir.
Sehen Sie durch Chinas massives Engagement auf dem Kontinent einen neuen „Wettlauf um Afrika“ heraufdämmern, oder befinden wir uns sogar schon mitten drin?
Es findet definitiv ein Wettlauf um die Rohstoffe statt. Die Ressourcen werden knapper, der Konkurrenzkampf wird schärfer. Das gilt aber nicht nur für Afrika, sondern für den gesamten globalen Süden. Überall sehen wir einen räuberischen Kapitalismus, der in China auch noch von einer kommunistischen Partei angetrieben wird.
Ist Europa in Afrika dabei bereits ins Hintertreffen geraten?
China hat die europäischen und nordamerikanischen Handelspartner längst überholt. Wie gesagt, Europäer haben im Gegensatz zu den Chinesen Vorbehalte gegenüber dem Kontinent, man sieht Investitionen noch immer als hohes Risiko. Aber man weiß auch, dass Afrika einiges zu bieten hat, zum Beispiel strategische Rohstoffe und Seltene Erden, die wir vor allem in den neuen Technologien brauchen: Kupfer, Aluminium, Columbit, Tantalit, Coltan und so weiter.
Laut Umfragen heißen viele Afrikaner die chinesischen Investitionen willkommen. Die Chinesen haben demnach in Afrika ein besseres Image als die Europäer.
Das chinesische Engagement hat in 20 Jahren wirtschaftlich mehr bewirkt als die westliche Entwicklungshilfe in 60 Jahren. Wir sprechen von Mega-Projekten, von Staudämmen, Flug- und Seehäfen, Mobilfunknetzen, Pipelines, Krankenhäusern und so weiter. Das wird von der Bevölkerung gesehen und auch honoriert. Umgekehrt gibt es aber auch wachsende Vorbehalte, weil die Chinesen oft weniger Arbeitsplätze als erhofft schaffen und viele eigene Leute aus China mitbringen. Der zweite Einwand, den ich immer häufiger höre, betrifft den Rassismus der Chinesen gegenüber schwarzen Menschen. Manche betrachten sie als Abart von Affen. Mir hat einmal ein Afrikaner gesagt: Euren weißen Rassismus, den sind wir gewohnt, mit dem können wir umgehen. Der chinesische Rassismus ist etwas neues. Aber letztendlich unterscheidet sich der Rassismus nicht.
Was halten Sie von dem Narrativ, dass China wirtschaftlich schwache Länder in eine Schuldenfalle lockt?
Ich war zuletzt in Sambia, ein Land, das mittlerweile ein massives Verschuldungsproblem gegenüber den Chinesen hat. Die Regierung hat sich übernommen, sie hat sich von den Chinesen jede Menge Großprojekte aufschwatzen lassen, die sich als „weiße Elefanten“ erwiesen. Große Sportstadien zum Beispiel, die nutzlos in der Landschaft herumstehen. Dadurch ist der Schuldenberg gewachsen. Mittlerweile sind die Chinesen vorsichtiger geworden. Die durch den Ukraine-Krieg heraufbeschworene globale Krise bremst auch ihren Expansionsdrang. Chinas Seidenstraßen-Initiative läuft nicht mehr mit der gleichen Wucht und Geschwindigkeit.
Werden solche Probleme und Gefahren vor Ort offen diskutiert?
In manchen Ländern mobilisiert sich die Zivilgesellschaft immer stärker gegen die Expansion der Chinesen. Die Auswirkungen sind auch in der Politik zu spüren: Der letzte Präsident von Sambia wurde unter dem Vorwurf abgewählt, er würde das Land an die Chinesen ausverkaufen. Man hat dort einen Regierungswechsel hinbekommen. Aber das Schuldenproblem bleibt.
Ist diese Kritik auch in anderen afrikanischen Ländern zu spüren?
Kritik hört man vor allem aus der Zivilgesellschaft, Politiker hingegen loben die Kooperation mit China, denn sie stabilisiert ihre Macht. Überdies ist das Modell der chinesischen Entwicklungsdiktatur in Ländern wie Ruanda und Äthiopien sehr attraktiv geworden. Denn das westliche Modell hat nicht den Wohlstand gebracht, den man sich versprochen hatte. West is best – das war einmal. Jetzt heißt die Devise vielerorts: Look East!
Wie schätzen Sie die militärische Präsenz der Chinesen in Afrika ein, etwa die Errichtung einer Marine-Basis in Dschibuti?
China ist auf dem Weg, die Weltmacht des 21. Jahrhunderts zu werden. Dazu gehört die wirtschaftliche Expansion, aber auch die Absicherung des Imperiums durch militärische Präsenz. Hinzu kommen die Instrumente von Soft Power.
An was denken Sie dabei?
China betreibt eine rasante Ausweitung seiner Medien in Afrika. CCTV hat eine Basis in Nairobi aufgebaut, wo um die 100 Mitarbeiter tätig sind. Sie kooperiert mit afrikanischen Medienanstalten, indem sie etwa kostenlose Programme zur Verfügung stellt, zumeist Propaganda. Über China soll nichts Negatives berichtet werden, und auch auf die afrikanischen Partner blickt man im Nachrichtengeschäft durch die rosarote Brille. Auch Konfuzius-Institute werden in ganz Afrika ausgeweitet. Das Tempo, mit dem die Chinesen vorgehen, ist atemberaubend. Mehr und mehr Afrikaner studieren in China. Der Austausch wächst wesentlich schneller als der mit Europa.
Was war die interessanteste Geschichte, die Sie über die chinesische Präsenz während Ihrer Zeit in Afrika schreiben konnten?
Die erschien im Spiegel und handelte von einem chinesischen Privatunternehmer in Sambia, der eine Technologie entwickelt hat, um Kupferrückstände aus alten Abraumhalden zu extrahieren. Zhang Mengtao hat auf diese Weise 1000 Arbeitsplätze geschaffen. Er war als chinesischer Gesprächspartner sehr offen, was ja auch nicht alltäglich ist. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er etwas verbergen will oder die westlichen Medien ablehnt. Zhang hat vor Ort etwa den Ausbau einer Schule gefördert und Computer gespendet. Dieser Mann war in meinen Augen einer jener Chinesen, die nicht nur nach Afrika gekommen sind, um zu nehmen, sondern auch, um zu geben. Er lieferte das Beispiel eines chinesischen Unternehmers in Afrika, der alle Klischees und Vorurteile widerlegt.
Bartholomäus Grill, 1954 in Oberaudorf am Inn geboren, ist Deutschlands bekanntester Afrika-Korrespondent. Vier Jahrzehnte lang arbeitete er als Journalist auf dem Kontinent. Seine Berichte erschienen in der Zeit und im Spiegel. Grill ist Autor des Bestsellers »Ach, Afrika« (2003). Zuletzt erschienen »Wir Herrenmenschen«, eine Abrechnung mit der deutschen Kolonialgeschichtsschreibung und »Afrika!« , ein Fazit seiner Korrespondententätigkeit der vergangenen 20 Jahre. Grill lebt in Kapstadt.
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