China investiert auf dem Weg zur Filmgroßmacht in nie gekanntem Ausmaß in Hollywood. Dort betreibt man im Gegenzug auch mal Selbstzensur, um auf dem florierenden chinesischen Filmmarkt Fuß zu fassen.
Ist Ihnen auch aufgefallen, wie oft die Chinesen in letzter Zeit die Welt oder zumindest den Amerikanern den Arsch retten? In Roland Emmerichs Katastrophenfilm „2012" überlebt die menschliche Spezies nur, weil China noch rechtzeitig gigantische Archen baut. „So was kriegen nur die Chinesen hin", sagt der Stabschef des Weißen Hauses mit offenem Mund, bevor die Kontinente unter den robusten Schiffen endgültig im Meer versinken. Im Weltraumdrama „Gravity" gelangt die von Sandra Bullock gespielte Wissenschaftlerin Dr. Stone nur zurück zur Erde, weil sie sich im letzten Moment in eine chinesische Raumkapsel flüchten kann. Und in „Der Marsianer", Ridley Scotts gefeierte Planeten-Robinsonade, rettet ein technisch überlegenes Raketensystem aus China das Leben des gestrandeten Astronauten Mark Watney (Matt Damon), nachdem eine Versorgungsrakete der NASA schon kurz nach dem Start explodiert war. Das hätte es im Hollywood des Kalten Krieges nicht gegeben.
Auch wenn sich die beiden Großmächte im wirklichen Leben zuletzt wahlweise als Menschenrechtsverletzer oder Heuchler bezeichneten, bewegen sich ihre Botschafter im Filmgeschäft längst freundschaftlich auf fremdem Territorium. In der im letzten Jahr im Westen kaum wahrgenommenen Großproduktion „Dragon Blade" spielen Adrien Brody und John Cusack tragende Hauptrollen, ein epischer Sandalenfilm mit chinesischer Prägung, der ein römisch-chinesisches Zusammentreffen zur Zeit der Han-Dynastie benutzt, um Chinas Harmoniestreben in einer global vernetzten Welt ins rechte Licht zu rücken. John Cusack gibt darin den Centurio Lucius, einen geflüchteten Römer mit barbarischen Sitten, der mit seiner Legion vom friedliebenden Kung-Fu-Kämpfer Huo An (Jackie Chan) aufgenommen wird und mit ihm von einer gemeinsam erbauten Festung aus die Seidenstrasse gegen den furios-bösen Tiberius (Adrien Brody) verteidigt.
Kitschiger Höhepunkt eines an kitschigen Höhepunkten nicht armen Films: Ein von Jackie Chan gesungenes pazifistisches Kriegerlied (!), das das Bündnis der ungleichen Truppen festigen soll: „In einer planlosen Welt voller Konflikte werde ich aus Tumulten Frieden schaffen und aus Feinden Freunde machen", knödelt Huo in Mandarin, während das Gesicht von Cusacks Lucius immer wieder in der Totale erscheint. Die hölzerne Darbietung des Zöpfe tragenden Chinesen berührt den Römer offenbar tief, in seinen mit Kajal umrandeten Augen bebt Respekt, seine Faust schlägt auf der reich gedeckten Festtafel entschlossen den Takt mit. Im Vorfeld der Dreharbeiten zu „Dragon Blade" hatte das Gerücht die Runde gemacht, Mel Gibson könnte die Rolle des römischen Generals übernehmen. „Alles, was ich sagen darf, ist, dass es sich um einen Ausländer handelt. Einen A-Promi aus Hollywood", bezog der aus Hong Kong stammende Regisseur Daniel Lee im Vorfeld auf einer Pressekonferenz Stellung. Die Botschaft: Hauptsache Ausländer. Roger Ebert echauffierte sich 2012 in einer seiner letzten Filmkritiken über Zhang Yimous Weltkriegsdrama „The Flowers Of War", weil dort ein Amerikaner während des Massakers von Nanjing eine Gruppe von Schulmädchen vor den Japanern rettet. „Gibt es einen plausiblen Grund, warum man einen weißen Charakter braucht, um diese Geschichte zu erzählen?", fragte er, irritiert darüber, ausgerechnet Christian Bale in Chinas bis dato teuerstem Blockbuster in der Hauptrolle zu sehen. Ein chinesischer Minderwertigkeitskomplex? Im Gegenteil: eher das Anzeichen eines äußerst selbstbewussten, großen Plans.
„Kung Fu Panda" war ein Schock für China„Wir leben heute in einer offenen Welt, wo die Künste auf einem länderübergreifenden Markt miteinander konkurrieren. Damit unsere sozialistische Kultur sich weiterentwickeln kann, müssen wir sorgfältig die besten ausländischen Werke studieren (...), aber nur übernehmen, was für das Volk nützlich ist, und sie darüber hinaus mit gesunden, fortschrittlichen Inhalten anreichern." Das Ausland, so der mit einer Schauspielerin verheiratete Staatschef, habe schließlich auch oft Inspiration in China gefunden: „Für ‚Kung Fu Panda', ‚Mulan' und andere Filme schöpfte Hollywood unsere kulturellen Ressourcen ab."
„Kung Fu Panda", DreamWorks' Animations-Abenteuer über den trotteligen Panda Po war ein Schock für Chinas Filmindustrie und gleichzeitig das große Aha-Erlebnis. Wieso hatten sie den sympathischen Kassenschlager nicht selbst gemacht? Und wie hatte Hollywood es geschafft, ihnen ihre eigene Kultur erfolgreicher zu verkaufen als sie selbst? Und überhaupt: ein Kung-Fu kämpfender Panda?! In Internetforen machte der Begriff des „Kulturraubs" die Runde. Beim dritten Teil der Reihe, der Anfang dieses Jahres anlief, sieht die Welt nun schon ganz anders aus. „Kung Fu Panda 3" ist die erste Großproduktion von Oriental DreamWorks, einem 2012 gegründeten Joint Venture aus dem kalifornischen Animationsstudio und drei teils staatsgeförderten chinesischen Medienunternehmen. „Er ist jetzt einer von uns" scheint nicht nur das Panda-Logo des in Shanghai ansässigen DreamWorks-Ablegers zu sagen, sondern auch der ungewöhnliche Produktionsaufwand, der dem Sequel dort zuteil wurde: Statt die Trickfiguren nur mit einer anderen Sprachspur zu synchronisieren, wurden Mimik und Mundbewegungen einmal für eine englische und einmal für eine chinesische Fassung neu angefertigt.
Jährlich nur 34 ausländische FilmeAuch interessant Für DreamWorks USA erwies sich die Zusammenarbeit gleich in mehrfacher Hinsicht als Erfolg. Das während des Frühlingsfestes (der durch die Feiertage traditionell besten Kinozeit) herrschende staatliche Aufführungsverbot für westliche Filme konnte durch die Kooperation mit den Partnern von DreamWorks Oriental (die wiederum eng mit der staatlichen Radio-, Film- und Fernsehkommission SARFT zusammenarbeiteten) umgangen werden. Als behördlich abgesegnete Co-Produktion fiel der Film außerdem nicht unter die von Hollywood so gefürchtete Einfuhrquote, die vorsieht, dass pro Jahr nur 34 ausländische Filme für den florierenden chinesischen Kinomarkt zugelassen werden.
Bereits 2011 hatte die US-Filmproduktionsgesellschaft Legendary Pictures, Schöpfer von in China äußerst erfolgreichen Blockbustern wie „Jurassic World“ oder „Pacific Rim“, mit dem Joint Venture Legendary East auf den Heimvorteil in der Fremde spekuliert. Im Januar 2016 bekam die länderübergreifende Kooperation dann plötzlich eine neue Wendung, als die auf vielen Geschäftsfeldern tätige Dalian Wanda Group die US-Produktionsgesellschaft für 3,5 Milliarden Dollar gleich ganz aufkaufte. Zur Vertragsunterzeichnung erklärte Legendary-Chef Thomas Tull, man wolle so „eine völlig neue internationale Unterhaltungsfirma schaffen“. Wanda-Chef Wang Jianlin, früherer Kommandant der Volksbefreiungsarmee und mit einem Vermögen von 24,2 Milliarden US-Dollar einer der reichsten Chinesen, sprach dagegen militärisch akkurat von „Chinas bislang größter grenzüberschreitender Übernahme im Kulturbereich“. Niemand treibt den Aufstieg zur Filmgroßmacht stärker voran als der 61-jährige Unternehmer aus Dalian. 2012 hatte sich Wanda unter seiner Initiative bereits Nordamerikas größte Kinokette AMC einverleibt, außerdem investiert der Konzern derzeit in einen gigantischen Filmpark, der im Frühjahr 2017 in Qingdao seine Tore öffnen soll.
„The Great Wall“ als Action-Spektakel
„东方影都“ steht dort bereits jetzt in großen Lettern über den Hängen zum gelben Meer geschrieben, gut sichtbar über einer Küstenlinie, die der kalifornischen gar nicht unähnlich sieht: „Kino des Ostens“. Jährlich sollen in der 374 Hektar großen Traumfabrik 100 chinesische und 30 „ausländische“ Filme entstehen und riesige Produktionsanlagen mit Hotels, Einkaufspassagen und einem Yachtclub selbst die verwöhntesten Superstars zum Verweilen einladen. Nicole Kidman, John Travolta und Leonardo DiCaprio erschienen im September 2013 bereits zur feierlichen Grundsteinlegung.
Neben der Nachbildung einer New Yorker Straße findet man innerhalb der „Qingdao Oriental Movie Metropolis“ auch die lebensgroße Attrappe eines Abschnitts der chinesischen Mauer, Kulisse für das bislang größte Prestigeprojekt des chinesische Kinos, an dem hier gerade fieberhaft gearbeitet wird: „The Great Wall“ soll mit einem Budget von über 150 Millionen Dollar der teuerste Film werden, der je auf chinesischem Boden gedreht wurde. Ein effektreiches, in der Song-Dynastie angesiedeltes Actionspektakel über eine Gruppe chinesischer Krieger, die sich mit westlichen Händlern zusammentut, um die große Mauer vor einem Monster zu verteidigen. Regie führt abermals der einst wegen seiner sozialkritischen Arthouse-Filme mit Berufsverbot belegte Zhang Yimou („Leben!“, „Judou“). Seit der Regisseur 2008 Steven Spielberg als Choreograph für die megalomane Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele von Beijing ablöste, und dabei tausende Darsteller wie Farbtupfer in einem gigantischen Gemälde zusammenrührte, traut man ihm offenbar alles zu, was episch, prestigeträchtig und vor allem chinesisch ist. An der Seite asiatischer Megastars wie Andy Lau, Emma Wu oder dem angesagten Teenie-Popsänger Luhan sollen vier amerikanische Schauspieler „The Great Wall“ für ein westliches Publikum attraktiver machen: Matt Damon, Willem Dafoe, Pedro Pascal („Game Of Thrones“) und Mackenzie Foy („Interstellar“). „Das ist der größte Film, an dem ich je beteiligt war“, beglückwünschte ein Pferdeschwanz tragender Matt Damon auf einer Pressekonferenz in Beijing die chinesischen Filmambitionen höflich.
Ob „The Great Wall“, dieser chinesisch-amerikanische Testballon, nach seinem Filmstart im Januar 2017 auch außerhalb Chinas einen Erfolg landen wird, oder dort wie Zhangs „The Flowers Of War“ oder Lees „Dragon Blade“ eher untergeht, wird große Symbolwirkung haben. Ein internationaler Kassenschlager Made In China? Vielleicht ist die Welt doch noch nicht bereit dafür: Während junge Chinesen mit amerikanischem Kino aufwachsen und viele chinesische Schauspieler sich oft schon vor ihrer Karriere englische Zweitnamen zulegen, ist China für den durchschnittlichen westlichen Kinogänger nach wie vor kaum mehr als eine exotische Kulisse. Auch wüsste wohl kaum jemand, wo bei Fan Bingbing – eine der fünf bestbezahltesten Schauspielerinnen der Welt – der Vor- und wo der Nachname ist. Dabei hat sich das chinesische Popcornkino zumindest äußerlich dem amerikanischen bereits so sehr angenähert, wie es eben möglich ist, ohne die eigene „5.000-jährige Zivilisationsgeschichte“ zu verleugnen, wie Xi Jinping es ausdrückte. Filme wie „Red Cliff“ oder „Mojin“ können es in Sachen Action, Schlachtenwahnsinn und Digitaleffekt-Pomp mit „Herr der Ringe“ aufnehmen, der Klamauk von Filmen wie „Breakup Buddies“ oder „Goodbye Mr. Loser“ steht dem der „Hangover“-Reihe in nichts nach. Es mag nur noch am direkteren Einfluss des Staates liegen, dass chinesische Blockbuster pathetischer als ihre amerikanischen Pendants daherkommen, auch wird mit Blut und vor allem Sex bisher noch sparsamer umgegangen. Mit den steifen Propaganda-Filmen unter Mao hat das Kino für die Massen aber längst nichts mehr zu tun, selbst in erklärt patriotischen Filmen wie „The Founding Of A Party“ wird der sentimentale Nationalismus suggestiv in Action- und Romantikszenen eingeflochten. Aber auch das ist man ja schließlich bereits aus amerikanischen Produktionen gewohnt.
Änderungen in „World War Z“ und „Pixels“
Neben solch sarkastischen Stimmen oder reflexhaften Vorwürfen, dass die Kapitalisten von Hollywood aus Profitstreben auch Menschenrechtsverletzungen ausblenden würden, weist die „U.S.-China Economic And Security Review Commission“ in einem Bericht vom Oktober 2015 ganz konkret darauf hin, dass Chinas dünnhäutige Filmzensur die WTO-Regularien eines freien Marktes unterlaufe. Sie zwinge amerikanische Unternehmen, sich Regeln anzupassen, die „Kunst als eine Methode der sozialen Kontrolle“ betrachten, andernfalls drohten Verluste in Milliardenhöhe. Momentan sieht es jedoch nicht danach aus, als wolle sich irgendwer aus dem profitablen Abhängigkeitsverhältnis befreien. Wie der Römer Lucius schlagen die Hollywood-Produzenten auf der reich gedeckten Festtafel den Takt mit, während Jackie Chan mit quäkender Stimme sein Lied vorträgt: „Es bedarf keines Schwertes, um aus Gegnern Freunde zu machen. Gemeinsam schreiten wir voran … Hand in Hand!“