Die Entscheidung ist ihm unglaublich schwergefallen, er fühlte sich hin- und hergerissen. Mit niemandem wollte Nahed Mohammad über das Angebot sprechen. "Aber ich wäre doch wirklich blöd, wenn ich das nicht machen würde", erzählt er.
Mohammad sollte eigentlich zurück. Zurück nach Palästina, wo er geboren wurde - aber seit Jahrzehnten nicht mehr lebt. Er ist fest verwurzelt in Berlin und beim Fußballkreisligisten BSC Kickers 1900 im Bezirk Schöneberg, fast täglich steht er auf dem Platz: Hier ist er Co-Trainer der ersten Mannschaft, zudem Cheftrainer der A-Jugend und hat die Jugendteams im Blick.
Nun aber wartet der große Coup auf einem anderen Kontinent: Der palästinensische Fußballverband PFA hat Mohammad als Torwarttrainer der Nationalmannschaft verpflichtet. Nach vielen Gesprächen nahm er das Angebot des Fußballverbands an, im Juli fliegt er zum Trainingslager nach Jordanien.
Nach Palästina ziehen - wie es der Verband ursprünglich wollte - muss Mohammad nun nicht mehr. Die Funktionäre hatten am Ende ein Einsehen. "Mit meinem deutschen Pass hätte ich sowieso nicht wieder einwandern dürfen, das hat der Verband eingesehen", sagt er. Das palästinensische Team ist in der Qualifikation für die WM 2018 gerade gescheitert. Jetzt geht es um die Teilnahme an der Asienmeisterschaft 2019.
Mohammad freut sich auf seinen Job. Die Anfrage des palästinensischen Verbands kam kurz nach der Asienmeisterschaft 2015, für ihn völlig überraschend. "Ich hatte über Facebook Kontakt mit der Mannschaft", sagt er. Doch dass er plötzlich Teil des Nationalteams werden würde? Damit habe er nicht gerechnet, sagt der 41-Jährige.
Für ihn schließt sich ein Kreis, der Anfang der Achtzigerjahre begann. Mohammad, 1975 in Nablus im Westjordanland geboren, folgte damals mitsamt seiner Familie dem Vater nach Berlin. Für Fußball begeisterte er sich früh, mit neun Jahren wurde er Mitglied beim BSC Kickers. Sein erster Trainer sah in ihm einen Innenverteidiger, doch als der Torwart des Teams krank ausfiel, nutzte Mohammad die Gunst der Stunde: "Ich wollte schon immer ins Tor."
Den Platz zwischen den Pfosten gab der junge Palästinenser in den nächsten Jahren nicht mehr her. Mohammad trainierte hart, Anfang der Neunziger wurde er in die Berlin-Auswahl berufen. Derweil wandelten sich in Palästina die politischen Verhältnisse: In Folge der Osloer Verträge zwischen Israelis und Palästinensern wurde die palästinensische Autonomiebehörde eingerichtet. Der Fußballverband PFA plante, nach Jahren der Unsicherheit die palästinensische Nationalmannschaft neu aufzustellen.
Mohammad erfuhr in Berlin von diesen Plänen - und war begeistert. "Wir sind ein stolzes Volk. Es war auch für mich immer ein Traum, einmal in einem Trikot der Nationalmannschaft zu spielen." In Berlin, wo er Kontakt zu Landsleuten unterhielt, nahm er an einem palästinensischen Fußballturnier teil. 1994 kam schließlich die Zusage: Mohammad wurde ins Nationalteam aufgenommen.
Auch hier konnte er sich schnell durchsetzen. "Alles, was aus Deutschland kam, wurde damals mit großen Augen bestaunt. Ich also auch", berichtet Mohammad mit einem Schmunzeln. Im gleichen Jahr kam es zu seinem Debüt zwischen den Pfosten: Palästina gegen eine All-Star-Mannschaft aus Frankreich - auf einem Schotterplatz in Jericho, im Westjordanland.
Michel Platini, bis vor kurzem Uefa-Präsident, stand bei diesem Spiel ebenfalls auf dem Platz. Der dreifache Weltfußballer war damals 39 Jahre alt, seine Karriere lange beendet. Für Mohammad dagegen fing sie gerade erst an. "Am Ball konnten die schon was, aber läuferisch waren wir jungen Spieler einfach besser", sagt er heute mit einem Grinsen über das Spiel. Die jungen Palästinenser setzen sich gegen die Franzosen durch.
Insgesamt absolvierte Mohammad sechs Spiele für das Team, nach zwei Jahren war seine Nationalmannschaftskarriere schon wieder vorbei. Auf seinem Smartphone zeigt er ein Video aus dieser Zeit. Parade rechts, aufstehen, Parade links, aufstehen, Parade rechts.... Das Tempo ist hoch, der damals noch schlanke junge Mann flink und sicher. "Heute würde ich das keine 60 Sekunden mehr durchhalten", sagt er.
Die palästinensische Nationalmannschaft machte auch nach Mohammads aktiver Zeit kleine Fortschritte: Die PFA wurde 1998 Mitglied der Fifa. 2015 qualfizierte sich Palästina erstmals für die Asienmeisterschaft, verlor aber in Australien alle drei Gruppenspiele gegen Japan, Jordanien und Irak.
Es sind keine einfachen Zeiten. Sport ist in Nahost auch immer hochpolitisch - und damit nie frei von Problemen. Immer wieder sehen sich die Palästinenser durch komplizierte Ausreisebestimmungen der Israelis blockiert. "Vor allem die guten Spieler wurden ständig zurückgehalten und verpassten dann ihre Flüge", sagt Mohammad.
Im Mai 2015 eskalierte die Situation: Der palästinensische Fußballverband forderte den Ausschluss Israels aus der Fifa. Erst kurz vor der Abstimmung im Fifa-Kongress zog der Verband den Antrag zurück. Nun regelt eine Kommission des Fußball-Weltverbands die Bewegungsfreiheit der Spieler. "Seit einem halben Jahr ist die Situation tatsächlich besser geworden", sagt Mohammad. Die Spieler hätten nun keine Probleme mehr, vom Gazastreifen ins Westjordanland zu reisen.
Doch kommt damit nun der große Erfolg? Derzeit steht das Land auf Rang 113 der Fifa-Weltrangliste, in der insgesamt 209 Teams geführt werden. Mohammad ist Realist, er weiß, wie weit der Weg noch ist. "Die Mannschaft kann noch viel mehr erreichen", sagt er. Vor allem brauche es mehr Spieler aus Europa. Viele junge Talente habe man noch gar nicht entdeckt, manche Spieler selbst seien vielleicht skeptisch und meldeten sich nicht beim Verband, sagt er.
Ein Talent hofft er bereits gefunden zu haben. In der C-Jugend seines Berliner Vereins kickt ein junger Palästinenser. Es ist Mohammads Sohn. "Wenn ich ihm zuschaue", sagt er, "erinnere ich mich an meine Anfangsjahre." Mohammad Junior ist auch Torwart.
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