In einer mehrteiligen Fernsehreihe fragt der Journalist Constantin Schreiber nach demokratiefeindlichen Aktivitäten in deutschen Moscheen. Sein Report verrät mehr über die Vorurteile des Autors als über die von Muslimen
Was wird in deutschen Moscheen gepredigt und wie tragen sie zur Integration bei? Diesen Fragen will der ARD-Moscheereport (siehe Spahn: "Wir müssen wissen, was in Moscheen passiert") nachgehen.
Eigentlich wirkt der Autor und Moderator Constantin Schreiber wie gemacht für ein Format wie dieses. Schreiber spricht Arabisch, hat in vielen Ländern des Nahen Ostens gearbeitet. Mit seiner mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Sendung "Marhaba" erarbeitete er sich das Image eines Vermittlers zwischen Flüchtlingen und Deutschen. Im Minenfeld der Islamberichterstattung galt er bisher als gleichermaßen kompetent wie unverbraucht.
Bis zum vergangenen Montag. Da strahlte die ARD den ersten Teil von Schreibers "Moscheereport" aus. "Wer predigt dort, wer geht dort hin, was wird dort gepredigt und welche Rolle spielen Moscheen bei der Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft?", wollte der frisch ernannte Tagesschau-Moderator wissen und besuchte 13 der rund 2.500 deutschen Moscheen.
Fremd sei diese Welt, erklärt er zu Anfang und tut in den folgenden 15 Minuten alles, damit sie das für den Zuschauer auch bleibt. "Es ist eine Schwelle, die nur wenige Deutsche überschreiten", macht Schreiber gleich im ersten Satz die Fronten klar: Hier die Deutschen, dort die Muslime. Es ist ein Duktus, den Schreiber für den Rest der Reportage nicht wieder verlassen wird.
Schreibers erste Station ist die Hamburger Al-Nour-Moschee. Die Moschee nahe des Hamburger Hauptbahnhofs böte viel Material, um die Frage zu beantworten, was Moscheen zur Integration beitragen. Politiker priesen die Moschee immer wieder als Bollwerk gegen Salafismus. Als sich im Herbst 2015 Hamburgs Behörden mit der Menge neu ankommender Flüchtlinge überfordert zeigten, bot die Moschee jede Nacht hunderten Flüchtlinge Obdach und Verpflegung. Auch aufgrund ihrer erfolgreichen Integrationsarbeit hat sich die die Mitgliederzahl in den letzten Jahren mehr als versiebenfacht.
Doch von all dem erfährt der Zuschauer des Moscheereports nichts. Auch um den Inhalt der Predigt von Imam Samir El-Rajab geht es kaum. Zwar zeigt die ARD Ausschnitte aus einer Freitagspredigt inklusive deutschem Untertitel, doch eine Auseinandersetzung mit dem Gesagten findet kaum statt. Ein möglicher Grund: Die Predigt ist schlicht zu unspektakulär. El-Rajab erzählt allgemein von Gerechtigkeit im Umgang miteinander.
Für die meisten Außenstehenden dürfte die Predigt schlimmstenfalls langweilig sein. Problematische Inhalte schafft auch Schreiber nicht auszumachen. Nur als der perfekt Deutsch sprechende Pressesprecher der Moschee Abdallah Benhamou Teile der Predigt übersetzt, bemängelt Schreiber "brüchiges Deutsch". Was nicht fremd ist, wird fremd gemacht.
Mit der Attitüde eines Orientreisenden, der zum ersten Mal seinen Fuß in eine fremde und gefährliche Welt setzt, macht Schreiber weiter. Wie die Predigt bei den Gläubigen ankam, will er wissen. Aber statt die Moscheebesucher selbst zu befragen, überlässt er die Antwort der im Studio zugeschalteten Ethnologin Susanne Schröter. Der Rest des Gesprächs dreht sich um lediglich zwei Fragen: Warum beten Männer und Frauen getrennt? Und warum spricht der Imam nicht besser Deutsch?
Sicherlich wichtige Fragen, aber reichen sie aus, um die Bedeutung der Moschee für die über 2.000 Gläubigen zu bewerten? Die Antworten übernimmt Schreiber gleich selbst. Als der ebenfalls im Studio Anwesende Vorstandschef der Moschee, Daniel Abdin, darauf verweist, dass man für einen eigenen Frauenbereich schlicht keinen Platz habe, beeilt sich Schreiber zu entgegnen, dass "doch häufig genügend Platz da ist".
Ironischerweise hatte Schreiber selbst erst kurz zuvor im Interview mit dem Berliner Tagesspiegel darauf hingewiesen, dass alle von ihm besuchen Moscheen völlig überfüllt gewesen seien.
Noch realitätsferner ist der Rat der Ethnologin Susanne Schröter: Man solle doch einfach größere Moscheen bauen. Hier hätte ein gut vorbereiteter Moderator darauf hinweisen können, dass es in Deutschland nahezu unmöglich ist, größere Moscheen zu bauen, oder darauf, dass sich die Verantwortlichen der Al-Nour-Moschee seit mindestens acht Jahren um ein größeres Gebäude bemühen. Auch in die ehemalige Kirche im Hamburger Stadtteil Horn, in die die Moschee demnächst umziehen wird, passt nur ein Bruchteil der über 2.000 Gläubigen.
Auch der nächsten Station nähert sich Schreiber mit einer Mischung aus gespielter kindlicher Naivität und der Abenteuerlust einer Safari-Expedition: "Berlin Neukölln. Die Gegend gilt als Problembezirk", erklärt Schreiber, um dem Zuschauer sofort im nächsten Satz die passende Erklärung anzubieten: "70 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund." Mehrmals erfährt der Zuschauer, dass die Dar-As-Salam-Moschee vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Dass dies in der Berliner Politik als nicht unumstritten gilt, die Moschee immer wieder für ihre Jugendarbeit gelobt wurde, der Imam der Moschee für seinen Einsatz gegen Extremismus im Jahr 2015 den Verdienstorden des Landes Berlin erhielt, erfährt der Zuschauer hingegen nicht.
Stattdessen nimmt ein Großteil des weiteren Beitrags die Rede des Imams Abdelfattah Mourou ein. Der tunesische Gastprediger fordert seine Zuhörer auf, den Dialog mit Nicht-Muslimen zu suchen. Er erzählt, dass Gläubige in Deutschland mehr Religionsfreiheit genössen als in seiner Heimat. "Was wollt ihr denn mehr?", ruft er ins Mikro. Die leidenschaftliche arabische Vortragsweise mag für jemanden, der deutsche Kirchenpredigten gewohnt ist, aggressiv wirken.
Aber inhaltlich ist die Rede ein leidenschaftliches Plädoyer für Integration in Deutschland. Schreibers Kommentar hingegen: "Das klingt alles sehr liberal ... Ich frage mich, ob das anders ist, wenn keine TV-Kamera dabei ist." Es ist eine Logik, nach der die Muslime nur verlieren können: Entweder sie geben es zu oder sie verstellen sich, demokratiefeindlich sind sie in jedem Fall.
Erneut geht es im folgenden Studiogespräch nicht um die praktische Integrationsarbeit der Moschee, die weit mehr als 45 Minuten Freitagpredigt umfasst. Vielleicht weil sich in der Predigt kaum Anlass für Kritik finden lässt, widmet sich Schreiber der persönlichen Glaubwürdigkeit des Gastimams. Mehrmals erfährt der Zuschauer, dass Mourou "Gründungsmitglied der islamistischen El-Nahda"-Partei ist. Dass die Partei die erste demokratische Regierung in der Geschichte Tunesiens stellte und von vielen Experten als demokratisches Ergebnis des arabischen Frühlings gesehen wird, erfährt der Zuschauer nicht.
Stattdessen überlässt es Schreiber dem Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, der bisher eher durch seine islamkritischen Thesen als durch seine Tunesien-Expertise aufgefallen ist, Mourous Glaubwürdigkeit zu bewerten. Dessen verschwörerisches Urteil: "Wir haben es hier mit einem Gelehrten zu tun, der sagt nicht, was er denkt. Der sagt, das was die Zuhörer hören möchten."
Bezeichnend für die Qualität der Auseinandersetzung ist auch, dass die einzige Stelle der Predigt, die Schreiber im anschließenden Studiogespräch Anlass für ausgiebige Kritik gibt, sich später als Falschübersetzung entpuppt. Aus "150.000 Türken", die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, macht Schreiber "150.000 Soldaten". Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum die ARD den Beitrag mittlerweile kommentarlos aus ihrer Mediathek entfernte. (Ergänzung des Autors: Teil 1 des Moschee-Reports ist in der ARD-Mediathek verfügbar. Teil 2 - zu Neukölln - wurde im TV bis dato noch nicht aussgestrahlt, war aber schon in der Mediathek, wurde später wieder entfernt).
Rechercheergebnisse an den Verfassungsschutz weitergeleitet
Auch Schreibers sonstiges Auftreten gibt Anlass zu Skepsis, wie ernst es ihm mit einer vorurteilsfreien Bestandsaufnahme der Aktivitäten deutscher Moscheen ist: Am vergangenen Dienstag stellte Schreiber sein Buch zur TV-Reihe (oder umgekehrt) vor. Dessen Titel "Inside Islam" erinnert vielleicht nur zufällig an Jürgen Todenhöfers "Inside IS". Vielleicht auch nicht.
Unterstützt wurde er bei der Vorstellung von den beiden CDU-Politikern Düzen Tekkal und Jens Spahn, die beide - wie von jetzt an wohl auch Schreiber - in der Öffentlichkeit eher als Islamkritiker als Islamvermittler gelten. Letzter nutzte die Vorstellung auch gleich, um ein Moscheeregister zu fordern.
Im die Veröffentlichung begleitenden Deutschlandradio-Interview erklärte Schreiber, dass sämtliche von ihm besuchte Moscheen Orte seien, die der Integration in Deutschland entgegenwirken: "Der rote Faden war schon die Warnung vor dem Leben draußen in Deutschland. Es ging immer darum zu sagen: Wir, die Muslime, und die anderen, die Christen, die Ungläubigen."
Zumindest auf die bisher in der ARD veröffentlichten Auszüge trifft dieser Vorwurf jedenfalls nicht zu. An gleicher Stelle gibt Schreiber auch an, einzelne Predigten an den Verfassungsschutz weitergeleitet zu haben. Dass Journalisten ihre Rechercheergebnisse an Geheimdienste übermitteln, ist mehr als unüblich. Schreiber zufolge habe allerdings selbst der Verfassungsschutz in den Reden nichts Bedenkliches gefunden.
Dem Vorwurf der fehlenden fachlichen Einordnung und Bewertung der von ihm dokumentierten Predigten, entgegnet Schreiber in einem Gastbeitrag für Die Zeit. Unter der Überschrift "Niemand predigt Integration" schreibt er, er hätte keine Islamwissenschaftler finden können, die bereit gewesen wären, ihn bei seinen Recherchen zu unterstützen.
Stattdessen hätten sie ihm entweder Islambashing vorgeworfen oder ließen monatelang "Anrufe und E-Mails unbeantwortet". Doch einige dieser Islamwissenschaftler meldeten sich nach der Ausstrahlung des Moscheereports zu Wort.
"Ein kleiner Recherchefehler in solch einem Zusammenhang kann Existenzen bedrohen"
Mathias Rohe, Islamwissenschaftler an der Uni-Erlangen, würdigt im Deutschlandradio zwar Schreibers Bemühen, herauszufinden, was in deutschen Moscheen gepredigt wird. Rohe kritisiert aber Zahlenangaben Schreibers, wie z.B. dass in 80-90 Prozent der Moscheen antidemokratische Predigten gehalten würden. Davon Rückschlüsse auf die Einstellung von Muslimen in Deutschland zu ziehen, bezeichnet Rohe als "in höchstem Maße unseriös".
Schreibers Recherchen gäben "Anlass zu weiter Nachforschungen aber nicht Anlass zu Misstrauen gegenüber sämtlichen Moscheegemeinden", sagte Rohe.
Noch deutlicher wurde die Professorin für Islamwissenschaft an der Uni-Freiburg Johanna Pink. In einem offen Brief an die ARD-Chefredakteur, den der Tagesspiegel veröffentlichte, schreibt sie, dass der Moscheereport "verzerrend, insgesamt einseitig war und Fehler" enthielt.
Ein kleiner Recherchefehler in solch einem Zusammenhang kann Existenzen bedrohen, bis hin zu verweigerter Einbürgerung aufgrund der Mitgliedschaft in bestimmten Moscheevereinen.
Johanna Pink
Pink zeigt sich außerdem verwundert über Schreibers Behauptung, kein Islamwissenschaftler habe mit ihm zusammenarbeiten wollen: "Ich selber und viele mir bekannte Kolleginnen und Kollegen, die über die Webseiten ihrer Institute sehr leicht auffindbar sind, hätten Herrn Schreiber gern für Interviews zur Verfügung gestanden."
Ohnehin bietet die wissenschaftliche Literatur längst Antworten auf die Frage, was hinter den Türen von Moscheen passiert. So geheimnisumwoben wie Constantin Scheiber in seiner gefühlten Enthüllungsreportage den Anschein erweckt, ist das Thema bei weitem nicht: Wer wirklich daran interessiert ist, das fremde Leben seiner muslimischen Nachbarn zu verstehen, dem sei entweder die bereits 2010 veröffentliche Studie des Osnabrücker Religionssoziologen Rauf Ceylan "Die Prediger des Islam" oder ein Gang in die nächste Moschee empfohlen. Die Türen stehen offen - auch für "Deutsche".
Original