Ausgerechnet Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn wollte nie Fahrverbote verhängen. Dass erst ein Gericht den Grünen dazu zwingen musste, verärgert seine Stammwähler.
Fritz Kuhn erfährt an diesem Dienstagnachmittag um 12.09 Uhr, dass sich die Verkehrspolitik seiner Stadt in Zukunft nun ändern darf und muss. Der Stuttgarter Oberbürgermeister sitzt in seinem Büro im Rathaus, als ihn der Anwalt aus Leipzig anruft. Die Richter haben ein Urteil gesprochen und Fritz Kuhn weiß, dass ihn von nun an für ein paar Tage die Presseanfragen überrollen werden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat für rechtens erklärt, dass Städte Fahrverbote verhängen können und müssen, damit die Luft in den Innenstädten besser wird. Damit widersprach das oberste Gericht der Haltung Baden-Württembergs und der Stadt: Beide fanden, Stuttgart habe keine rechtliche Kompetenz für Fahrbeschränkungen - zuständig sei die Bundesregierung, die eine Blaue Plakette einführen müsse. Das Leipziger Gericht sah das anders.
Kuhn muss nun reagieren. Um 12.28 Uhr klingelt das erste Kamerateam am Empfangsraum, um 12.45 Uhr kommen Kaffee und kalte Getränke für das Pressestatement. Kuhn berät sich mit Fachreferenten, zieht sich zurück. Ihm bleibt noch eine Stunde, um die richtigen Worte zu finden. Worte, die Dieselfahrern ihre Ängste nehmen. Die die Bemühungen der grünen Verkehrspolitik der letzten Jahre hervorheben. Die eine Aussicht auf das geben, was auf die Pendler der Region zukommen wird.
In einem Bundesland, in dem mehr als 200.000 Arbeitsplätze an der Automobilindustrie hängen, sind politische Momente dieser Art wie eine Autobahnfahrt ohne Sicherheitsgurt. Jedes falsch gewählte Wort könnte eine Krise auslösen. Und das ausgerechnet hier, in Baden-Württemberg, in Stuttgart, wo die Grünen Schlüsselpositionen innehaben: Winfried Kretschmann ist seit 2011 Ministerpräsident, Winfried Hermann ebenso lange Verkehrsminister, und der Oberbürgermeister Stuttgarts, Fritz Kuhn, ist seit 2013 im Amt - vier Jahre vorher wurden die Grünen stärkste Fraktion im Gemeinderat.
Mit bloßem Auge nicht zu erkennenKuhn führt eine Stadt, die auch wegen ihrer Lage in einem Talkessel seit Jahren Probleme mit schlechter Luft hat. Den Beleg dafür liefert ein unscheinbarer weißer Container, etwa zwei mal drei Meter. Daneben vier hüfthohe Boxen, zwei weiß, zwei silbern. Mehrere Messinstrumente ragen wie erhobene Zeigefinger aus ihnen hervor. Aus kleinen Plastikröhren an den Seiten der Kästen zischt es, Luft wird ausgetauscht. Doch das hört niemand, denn niemand hält sich hier länger auf als notwendig. Die Messstation steht neben sechs Fahrspuren grauen Asphalts, zwanzig Meter entfernt von einer Kreuzung.
Das Luftzischen verstummt unter dem Lärm der Stuttgarter Mobilität. Drei große Straßen treffen hier am Neckartor aufeinander, teils umgehen, teils durchziehen sie im weiteren Verlauf die Stadt. Sie sind Ein- und Ausfahrtsachsen für Pendler aus Ludwigsburg, Esslingen, Tübingen. Täglich fahren etwa 70.000 Autos an den weißen Kästen vorbei - 20.000 mehr als auf der Frankfurter Allee, einer der Hauptschlagadern Berlins.
Die Instrumente messen, was mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist. Zum einen Feinstaub: feinste Partikel, die in Motoren und Kraftwerken entstehen, vor allem aber durch Reifenabrieb und Kupplung. Zum anderen Stickstoffdioxid: ein giftiges Gas, das abgesondert wird, wenn Öl und Kohle verbrennen - oder eben Diesel in Autos. Was die erhobenen Zeigefinger mit ihren Trichtern und Röhrchen nicht einfangen, landet auf Fenstersimsen, auf Blättern, in der Atmosphäre und in den Lungenbläschen der Menschen. Vor allem für Kinder und Asthmatiker ist Stickstoffdioxid in höherer Konzentration eine Gesundheitsgefahr.
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