Ein Auslandssemester gehört mittlerweile zum perfekten Lebenslauf. Sven, 24, hat sich dagegen entschieden. Darf man das überhaupt noch?
Dass ich nicht im Ausland war, habe ich nie bereut. Trotzdem gibt es immer wieder Situationen, in denen mir bewusst wird, dass ich anscheinend doch etwas verpasst habe. Zumindest wird mir das von meinem Umfeld vermittelt. Frü- her oder später kommt bei jedem Bewerbungsgespräch die Frage: „Ja, warum denn nicht?“ Die Kanzleien, die mich interessieren, arbeiten alle international. Dort wird erwartet, dass man Englisch verhandlungssicher beherrscht. Ein Auslandssemester kann dafür ein Beleg sein. Gleiches gilt für die Fähigkeit, sich in einer fremden Umgebung schnell zurechtzufinden, mit unterschiedlichsten Leuten auszukommen, und dafür, dass man sich auch au- ßerhalb seiner Komfortzone durchsetzen kann. Es war nicht leicht, dieses Manko zu überspielen. Nun hätte das als Antwort im Bewerbungsgespräch wahrscheinlich nicht ausgereicht, aber die Wahrheit ist: Es hat sich einfach nicht ergeben. Einige meiner Freunde sind zwischen dem vierten und sechsten Semester im Rahmen des Erasmus-Programms in die USA gegangen. Das war bei mir eine Zeit, in der ich insgesamt nicht so begeistert von meinem Studium war. Deshalb habe ich auch nicht groß darüber nachgedacht, es woanders zu versuchen. Ich hatte auch außerhalb der Universität viele Freunde, sodass es nicht weiter dramatisch war, wenn von zehn Uni-Leuten abwechselnd mal zwei bis drei für ein paar Monate nicht da waren. Mein Freundeskreis hat sich in dieser Zeit immer wieder verändert. Ab dem vierten Semester wurde auch der Stundenplan flexibler. In den Groß- veranstaltungen habe ich gar nicht gemerkt, dass so viele Leute weg sind. Das macht es leichter, guten Gewissens dazubleiben. Vielleicht ist das in kleineren Studiengängen oder im Bachelorsystem schwieriger, wenn alle zur gleichen Zeit verschwinden und der Vorlesungssaal plötzlich wie leer gefegt wirkt. Bei 400 Studenten pro Jahrgang wird man nicht persönlich von den Profs genötigt, ins Ausland zu gehen. Auch im Freundesund Familienkreis wurde meine Entscheidung nicht weiter hinterfragt. Ich war zwar zu der Zeit in einer Beziehung, aber wir hätten uns sicher ermutigt, ins Ausland zu gehen. Wir haben uns nur beide nicht dafür interessiert. Klar, die Geschichten, mit denen die Freunde heimkehren, machen einen wehmütig. Ein Kumpel hat in Schweden die klassische Erasmus-Erfahrung gemacht: Viel gereist und gefeiert, in einer internationalen Achter-WG gelebt und nebenbei noch eine neue Sprache gelernt. Das sind Erfahrungen, die ich so nicht mehr nachholen kann. Für das Studium hat er allerdings nicht viel mitgenommen. Die meisten meiner Kommilitonen und heutigen Kollegen bestätigen, dass ein Auslandsaufenthalt fachlich kaum etwas bringt. Da geht es um andere Kompetenzen, die man nicht aus Büchern lernen kann. Jetzt, nach dem Studium, ist es wesentlich schwieriger, diese Erfahrungen nachzuholen, auch wenn ich es mir mittlerweile gut vorstellen könnte. Zudem wird ein Auslandsaufenthalt nach dem Studium wesentlich teurer, weil ich keinen Anspruch auf eine Teilnahme am Erasmus-Programm oder auf den Bezug von Auslands-BAföG mehr habe. Ich müsste nebenbei arbeiten oder mir ein Stipendium suchen – und die sind heiß begehrt. Außerdem habe ich heute einen höheren Anspruch an mich selbst: Es sollte ein verantwortungsvoller Job sein oder ein Master of Laws, bei dem ich wirklich etwas lerne. Das habe ich so auch im Bewerbungsgespräch vermittelt. Ich glaube, meine Ehrlichkeit und nicht zuletzt meine guten Noten konnten die „Lücke“ im perfekten Lebenslauf ausgleichen. Au- ßerdem ist das Thema ja noch nicht vom Tisch. Ich finde, man muss die Erfahrung nicht erzwingen. Und jetzt wä- re einfach der bessere Zeitpunkt. Die nächste Frage im Bewerbungsgespräch war, ob ich mir vorstellen könnte, im Ausland zu arbeiten. Die kann ich heute ehrlich mit „Ja“ beantworten. Für meine Wahl gäbe es unterschiedliche Kriterien, die mich reizen würden: entweder eine renommierte Uni wie Berkeley – oder einfach irgendwohin, wo gutes Wetter ist. Aber das habe ich so natürlich nicht gesagt.
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Dass ich nicht im Ausland war, habe ich nie bereut. Trotzdem gibt es immer wieder Situationen, in denen mir bewusst wird, dass ich anscheinend doch etwas verpasst habe. Zumindest wird mir das von meinem Umfeld vermittelt. Frü- her oder später kommt bei jedem Bewerbungsgespräch die Frage: „Ja, warum denn nicht?“ Die Kanzleien, die mich interessieren, arbeiten alle international. Dort wird erwartet, dass man Englisch verhandlungssicher beherrscht. Ein Auslandssemester kann dafür ein Beleg sein. Gleiches gilt für die Fähigkeit, sich in einer fremden Umgebung schnell zurechtzufinden, mit unterschiedlichsten Leuten auszukommen, und dafür, dass man sich auch au- ßerhalb seiner Komfortzone durchsetzen kann. Es war nicht leicht, dieses Manko zu überspielen. Nun hätte das als Antwort im Bewerbungsgespräch wahrscheinlich nicht ausgereicht, aber die Wahrheit ist: Es hat sich einfach nicht ergeben. Einige meiner Freunde sind zwischen dem vierten und sechsten Semester im Rahmen des Erasmus-Programms in die USA gegangen. Das war bei mir eine Zeit, in der ich insgesamt nicht so begeistert von meinem Studium war. Deshalb habe ich auch nicht groß darüber nachgedacht, es woanders zu versuchen. Ich hatte auch außerhalb der Universität viele Freunde, sodass es nicht weiter dramatisch war, wenn von zehn Uni-Leuten abwechselnd mal zwei bis drei für ein paar Monate nicht da waren. Mein Freundeskreis hat sich in dieser Zeit immer wieder verändert. Ab dem vierten Semester wurde auch der Stundenplan flexibler. In den Groß- veranstaltungen habe ich gar nicht gemerkt, dass so viele Leute weg sind. Das macht es leichter, guten Gewissens dazubleiben. Vielleicht ist das in kleineren Studiengängen oder im Bachelorsystem schwieriger, wenn alle zur gleichen Zeit verschwinden und der Vorlesungssaal plötzlich wie leer gefegt wirkt. Bei 400 Studenten pro Jahrgang wird man nicht persönlich von den Profs genötigt, ins Ausland zu gehen. Auch im Freundesund Familienkreis wurde meine Entscheidung nicht weiter hinterfragt. Ich war zwar zu der Zeit in einer Beziehung, aber wir hätten uns sicher ermutigt, ins Ausland zu gehen. Wir haben uns nur beide nicht dafür interessiert. Klar, die Geschichten, mit denen die Freunde heimkehren, machen einen wehmütig. Ein Kumpel hat in Schweden die klassische Erasmus-Erfahrung gemacht: Viel gereist und gefeiert, in einer internationalen Achter-WG gelebt und nebenbei noch eine neue Sprache gelernt. Das sind Erfahrungen, die ich so nicht mehr nachholen kann. Für das Studium hat er allerdings nicht viel mitgenommen. Die meisten meiner Kommilitonen und heutigen Kollegen bestätigen, dass ein Auslandsaufenthalt fachlich kaum etwas bringt. Da geht es um andere Kompetenzen, die man nicht aus Büchern lernen kann. Jetzt, nach dem Studium, ist es wesentlich schwieriger, diese Erfahrungen nachzuholen, auch wenn ich es mir mittlerweile gut vorstellen könnte. Zudem wird ein Auslandsaufenthalt nach dem Studium wesentlich teurer, weil ich keinen Anspruch auf eine Teilnahme am Erasmus-Programm oder auf den Bezug von Auslands-BAföG mehr habe. Ich müsste nebenbei arbeiten oder mir ein Stipendium suchen – und die sind heiß begehrt. Außerdem habe ich heute einen höheren Anspruch an mich selbst: Es sollte ein verantwortungsvoller Job sein oder ein Master of Laws, bei dem ich wirklich etwas lerne. Das habe ich so auch im Bewerbungsgespräch vermittelt. Ich glaube, meine Ehrlichkeit und nicht zuletzt meine guten Noten konnten die „Lücke“ im perfekten Lebenslauf ausgleichen. Au- ßerdem ist das Thema ja noch nicht vom Tisch. Ich finde, man muss die Erfahrung nicht erzwingen. Und jetzt wä- re einfach der bessere Zeitpunkt. Die nächste Frage im Bewerbungsgespräch war, ob ich mir vorstellen könnte, im Ausland zu arbeiten. Die kann ich heute ehrlich mit „Ja“ beantworten. Für meine Wahl gäbe es unterschiedliche Kriterien, die mich reizen würden: entweder eine renommierte Uni wie Berkeley – oder einfach irgendwohin, wo gutes Wetter ist. Aber das habe ich so natürlich nicht gesagt.