Ist der Traum von einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Berufs- und
Privatleben trotz Erfolg realistisch? Nein, sagt Unternehmer Jochen Mai.
Unternehmensberaterin Alice Köpping hält dagegen. Ein Fall für zwei.
"Viel verdienen und trotzdem den Stift um Punkt fünf Uhr fallen lassen, das geht nun mal nicht.“
Jochen Mai ist Geschäftsführer der Consultingfirma GROWWW GmbH & Co. KG und Dozent für Kommunikationsund Strategieberatung an der TH Köln, an der Deutschen Presseakademie und der Zeppelin Universität. Mai leitete mehr als zehn Jahre das Ressort Management + Erfolg der „WirtschaftsWoche“ und ist außerdem Gründer und Herausgeber von Karrierebibel.de.
„Der Begriff Work-Life-Balance ist an sich schon irreführend. Er konstruiert einen Gegensatz, der so nicht existiert: Dabei wird suggeriert, wer arbeite, lebe nicht, und umgekehrt, weshalb beide Pole ständig ausgeglichen werden müssen. Wenn Arbeit so schlimm wäre, würde das aber im Umkehrschluss bedeuten, dass Arbeitslose wahnsinnig ausgeglichen sein müssten. Das Gegenteil ist der Fall: Arbeit gehört zum Leben und andersherum. Ich bin sogar davon überzeugt, dass Arbeit enorm sinnstiftend und erfüllend sein und zur Ausgeglichenheit der Menschen beitragen kann. Zugegeben: Durch die mobile Kommunikation hat sich die Grenze von Arbeit und Freizeit in den letzten zehn Jahren verschoben: Auf meinem Smartphone lese ich Mails auch zu Hause, bin die meiste Zeit erreichbar und schreibe oft noch mitten in der Nacht zurück. Das hat aber nicht nur Nachteile: Letztlich erlaubt mir die Technik auch, dann und dort zu arbeiten, wo ich es will. Das Medium ist nur so gut wie sein Nutzer, auch wenn es manche unter Druck setzt. Das liegt aber nicht an einer fehlenden Balance, sondern an falschen Statussymbolen und einer zu kurzfristigen Betrachtung des Problems. Ein Beispiel: In vielen internationalen Konzernen gehört es heute zum guten Ton, einen möglichst langen Arbeitstag zu haben. Anwesenheit als Indiz für Einsatzbereitschaft. Unter zehn Stunden geht da kein Leistungsträger nach Hause. Wer eine solche Karriere anstrebt, weiß das in der Regel aber vorher. Im Zweifel kann man schon im Bewerbungsgespräch erfragen, wie es das Unternehmen mit Überstunden, Ausgleich, Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit hält. Manche entscheiden sich dann sogar ganz bewusst dafür, weil sie die intensiven Arbeitsphasen als Erfolge erleben. Vor allem wissen sie: Es kommen auch wieder andere Zeiten. Nicht wenige wollen sich in den ersten Berufsjahren durch ein enormes Arbeitspensum genug Status und Vermögen aufbauen, um später davon leben zu können, sich mehr oder weniger darauf ausruhen zu können. Für ein hohes Gehalt und eine steile Karriere bezahlen sie anfangs mit ihrer Freizeit. Viel verdienen und trotzdem jeden Tag um Punkt fünf Uhr den Stift fallen lassen, das geht nun mal nicht. Die Jobs mit der besten Bezahlung haben auch die härtesten Arbeitszeiten. Ich stelle mir daher eher ein horizontales Lebenskonzept vor als ein vertikales: Es gilt, Leben und Arbeit im Längsschnitt einer Laufbahn auszugleichen. Gerade bei Juristen wird es immer Phasen geben, in denen man sich besonders intensiv mit einem Projekt auseinandersetzt. Das beansprucht dann alle Zeit und Kraft. Die Kunst ist, auf lange Sicht die ruhigeren Phasen nach den Projekten effektiv zu nutzen, aufzutanken und sein Leben auszugleichen. Überdies erzeugt das Work-Life-Balance-Konzept nur unnötigen Druck, nämlich genau den, jeden Tag nicht unter Druck zu sein. Im Arbeitsalltag eines Juristen kann das nicht klappen. Wer den Ausgleich sucht, sollte vielmehr nach seinem individuellen Rhythmus arbeiten statt nach starren Konzepten. Das kann eben auch bedeuten, insgesamt mehr zu arbeiten als andere. Seien wir ehrlich: Wer eine positive Einstellung zu seinem Job hat, seinen Beruf liebt und darin aufgeht, der arbeitet nicht nur, der lebt längst.“
„Nur wenn Menschen sich wohlfühlen und ausgeglichen sind, können sie auch etwas leisten.“
Alice Köpping ist Marketingbeauftragte und Personalmanagerin bei der Pixida GmbH. Im kununuRanking schneidet das Beratungsunternehmen mit seinem WorkLife-Balance-Konzept besonders gut ab.
„Mit der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeiten hat sich auch in der Unternehmenslandschaft einiges getan: Gerade in mittelständischen Unternehmen, aber auch in Großkonzernen gehört eine gute Work-Life-Balance längst dazu. Bei der Gründung von Pixida haben wir uns deshalb mit den Mitarbeitern zusammen Gedanken darüber gemacht, wie dieses Konzept aussehen könnte. Aber nicht aus Trendbewusstsein, sondern weil wir gemerkt haben, dass es sowohl den Angestellten als auch der Firma selbst auf lange Sicht zugutekommt. Von Anfang an stand für uns die Frage im Mittelpunkt: Wie können wir das Arbeitsleben der Angestellten so angenehm wie möglich gestalten und trotzdem einen produktiven Projektalltag ermöglichen? Viele Firmen arbeiten mittlerweile nur noch in Projektstrukturen. Das gilt auch für die Juristen, die an den jeweiligen Projekten beteiligt sind und von denen Flexibilität erwartet wird. Flexibilität bedeutet aber nicht, dass Freunde, Familie und Gesundheit in diesen Phasen unter den Tisch fallen. Im Gegenteil: Nur wenn die Menschen sich wohlfühlen und ausgeglichen sind, können sie auch etwas leisten. Deshalb setzen wir auf das Konzept der Vertrauensarbeit. Am Anfang werden die Ziele des Projekts klar definiert. Wie sich die Beteiligten ihre Zeit dann einteilen, bleibt ihnen selbst überlassen. Am Ende zählt das Ergebnis. Und wenn es den beteiligten Personen hilft, zwischendurch zum Sport zu gehen oder eine längere Mittagspause zu machen, dann ist das in Ordnung, solange das Projekt nicht darunter leidet. Anstatt Stunden abzusitzen, sollen sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren. Das tun sie nur, wenn die Arbeitsatmosphäre genug Raum für individuelle Bedürfnisse und eben auch genug Freizeit zur Erholung lässt. Deshalb gibt es bei uns keine festen Kernzeiten. Wir haben zwar eine Vierzig-Stunden-Woche, doch die sollte auch nicht überschritten werden. Arbeiten darf nicht bedeuten: Arbeiten ohne Ende. Das macht die Menschen auf Dauer nur kaputt. Sobald man merkt, dass diese vierzig Stunden überschritten werden, bemühen wir uns auch, das zu ändern. Mit diesem Konzept können wir au- ßerdem unnötigem Konkurrenzdruck vorbeugen. Den zermürbenden Wettstreit um die längsten Arbeitszeiten gibt es bei uns nicht. Niemand muss den anderen etwas beweisen, indem er bis Mitternacht im Büro sitzt. Das wirkt sich im Endeffekt positiv auf das gesamte Betriebsklima aus. Bei Bewerbungen fällt auf, dass die Kandidaten beides wollen: einen guten Job und ein erfülltes Privatleben. Das Konzept der Vertrauensarbeit zeigt, dass sich dieser scheinbare Gegensatz nicht ausschließen muss. Wer zum Beispiel Kinder hat oder mal einen Arzttermin am Vormittag, kann sich seine Arbeitszeit flexibel einteilen und riskiert nicht gleich seinen Arbeitsplatz, wenn er mal eine Stunde später im Büro erscheint. Gerade Juristen sind diese Vorteile aus Großkanzleien oft nicht gewohnt, profitieren aber von solchen neuen Arbeitsstrukturen in der Unternehmensbranche wie alle anderen. Ein durchdachtes Work-Life-Balance-Konzept entspricht den gesellschaftlichen Anforderungen unserer Zeit: Junge Menschen wollen leben, brauchen Flexibilität und gleichzeitig Sicherheit. Und wir brauchen keine Maschinen, sondern Menschen, die gern und ausgeglichen zur Arbeit kommen.“
Original
"Viel verdienen und trotzdem den Stift um Punkt fünf Uhr fallen lassen, das geht nun mal nicht.“
Jochen Mai ist Geschäftsführer der Consultingfirma GROWWW GmbH & Co. KG und Dozent für Kommunikationsund Strategieberatung an der TH Köln, an der Deutschen Presseakademie und der Zeppelin Universität. Mai leitete mehr als zehn Jahre das Ressort Management + Erfolg der „WirtschaftsWoche“ und ist außerdem Gründer und Herausgeber von Karrierebibel.de.
„Der Begriff Work-Life-Balance ist an sich schon irreführend. Er konstruiert einen Gegensatz, der so nicht existiert: Dabei wird suggeriert, wer arbeite, lebe nicht, und umgekehrt, weshalb beide Pole ständig ausgeglichen werden müssen. Wenn Arbeit so schlimm wäre, würde das aber im Umkehrschluss bedeuten, dass Arbeitslose wahnsinnig ausgeglichen sein müssten. Das Gegenteil ist der Fall: Arbeit gehört zum Leben und andersherum. Ich bin sogar davon überzeugt, dass Arbeit enorm sinnstiftend und erfüllend sein und zur Ausgeglichenheit der Menschen beitragen kann. Zugegeben: Durch die mobile Kommunikation hat sich die Grenze von Arbeit und Freizeit in den letzten zehn Jahren verschoben: Auf meinem Smartphone lese ich Mails auch zu Hause, bin die meiste Zeit erreichbar und schreibe oft noch mitten in der Nacht zurück. Das hat aber nicht nur Nachteile: Letztlich erlaubt mir die Technik auch, dann und dort zu arbeiten, wo ich es will. Das Medium ist nur so gut wie sein Nutzer, auch wenn es manche unter Druck setzt. Das liegt aber nicht an einer fehlenden Balance, sondern an falschen Statussymbolen und einer zu kurzfristigen Betrachtung des Problems. Ein Beispiel: In vielen internationalen Konzernen gehört es heute zum guten Ton, einen möglichst langen Arbeitstag zu haben. Anwesenheit als Indiz für Einsatzbereitschaft. Unter zehn Stunden geht da kein Leistungsträger nach Hause. Wer eine solche Karriere anstrebt, weiß das in der Regel aber vorher. Im Zweifel kann man schon im Bewerbungsgespräch erfragen, wie es das Unternehmen mit Überstunden, Ausgleich, Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit hält. Manche entscheiden sich dann sogar ganz bewusst dafür, weil sie die intensiven Arbeitsphasen als Erfolge erleben. Vor allem wissen sie: Es kommen auch wieder andere Zeiten. Nicht wenige wollen sich in den ersten Berufsjahren durch ein enormes Arbeitspensum genug Status und Vermögen aufbauen, um später davon leben zu können, sich mehr oder weniger darauf ausruhen zu können. Für ein hohes Gehalt und eine steile Karriere bezahlen sie anfangs mit ihrer Freizeit. Viel verdienen und trotzdem jeden Tag um Punkt fünf Uhr den Stift fallen lassen, das geht nun mal nicht. Die Jobs mit der besten Bezahlung haben auch die härtesten Arbeitszeiten. Ich stelle mir daher eher ein horizontales Lebenskonzept vor als ein vertikales: Es gilt, Leben und Arbeit im Längsschnitt einer Laufbahn auszugleichen. Gerade bei Juristen wird es immer Phasen geben, in denen man sich besonders intensiv mit einem Projekt auseinandersetzt. Das beansprucht dann alle Zeit und Kraft. Die Kunst ist, auf lange Sicht die ruhigeren Phasen nach den Projekten effektiv zu nutzen, aufzutanken und sein Leben auszugleichen. Überdies erzeugt das Work-Life-Balance-Konzept nur unnötigen Druck, nämlich genau den, jeden Tag nicht unter Druck zu sein. Im Arbeitsalltag eines Juristen kann das nicht klappen. Wer den Ausgleich sucht, sollte vielmehr nach seinem individuellen Rhythmus arbeiten statt nach starren Konzepten. Das kann eben auch bedeuten, insgesamt mehr zu arbeiten als andere. Seien wir ehrlich: Wer eine positive Einstellung zu seinem Job hat, seinen Beruf liebt und darin aufgeht, der arbeitet nicht nur, der lebt längst.“
„Nur wenn Menschen sich wohlfühlen und ausgeglichen sind, können sie auch etwas leisten.“
Alice Köpping ist Marketingbeauftragte und Personalmanagerin bei der Pixida GmbH. Im kununuRanking schneidet das Beratungsunternehmen mit seinem WorkLife-Balance-Konzept besonders gut ab.
„Mit der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeiten hat sich auch in der Unternehmenslandschaft einiges getan: Gerade in mittelständischen Unternehmen, aber auch in Großkonzernen gehört eine gute Work-Life-Balance längst dazu. Bei der Gründung von Pixida haben wir uns deshalb mit den Mitarbeitern zusammen Gedanken darüber gemacht, wie dieses Konzept aussehen könnte. Aber nicht aus Trendbewusstsein, sondern weil wir gemerkt haben, dass es sowohl den Angestellten als auch der Firma selbst auf lange Sicht zugutekommt. Von Anfang an stand für uns die Frage im Mittelpunkt: Wie können wir das Arbeitsleben der Angestellten so angenehm wie möglich gestalten und trotzdem einen produktiven Projektalltag ermöglichen? Viele Firmen arbeiten mittlerweile nur noch in Projektstrukturen. Das gilt auch für die Juristen, die an den jeweiligen Projekten beteiligt sind und von denen Flexibilität erwartet wird. Flexibilität bedeutet aber nicht, dass Freunde, Familie und Gesundheit in diesen Phasen unter den Tisch fallen. Im Gegenteil: Nur wenn die Menschen sich wohlfühlen und ausgeglichen sind, können sie auch etwas leisten. Deshalb setzen wir auf das Konzept der Vertrauensarbeit. Am Anfang werden die Ziele des Projekts klar definiert. Wie sich die Beteiligten ihre Zeit dann einteilen, bleibt ihnen selbst überlassen. Am Ende zählt das Ergebnis. Und wenn es den beteiligten Personen hilft, zwischendurch zum Sport zu gehen oder eine längere Mittagspause zu machen, dann ist das in Ordnung, solange das Projekt nicht darunter leidet. Anstatt Stunden abzusitzen, sollen sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren. Das tun sie nur, wenn die Arbeitsatmosphäre genug Raum für individuelle Bedürfnisse und eben auch genug Freizeit zur Erholung lässt. Deshalb gibt es bei uns keine festen Kernzeiten. Wir haben zwar eine Vierzig-Stunden-Woche, doch die sollte auch nicht überschritten werden. Arbeiten darf nicht bedeuten: Arbeiten ohne Ende. Das macht die Menschen auf Dauer nur kaputt. Sobald man merkt, dass diese vierzig Stunden überschritten werden, bemühen wir uns auch, das zu ändern. Mit diesem Konzept können wir au- ßerdem unnötigem Konkurrenzdruck vorbeugen. Den zermürbenden Wettstreit um die längsten Arbeitszeiten gibt es bei uns nicht. Niemand muss den anderen etwas beweisen, indem er bis Mitternacht im Büro sitzt. Das wirkt sich im Endeffekt positiv auf das gesamte Betriebsklima aus. Bei Bewerbungen fällt auf, dass die Kandidaten beides wollen: einen guten Job und ein erfülltes Privatleben. Das Konzept der Vertrauensarbeit zeigt, dass sich dieser scheinbare Gegensatz nicht ausschließen muss. Wer zum Beispiel Kinder hat oder mal einen Arzttermin am Vormittag, kann sich seine Arbeitszeit flexibel einteilen und riskiert nicht gleich seinen Arbeitsplatz, wenn er mal eine Stunde später im Büro erscheint. Gerade Juristen sind diese Vorteile aus Großkanzleien oft nicht gewohnt, profitieren aber von solchen neuen Arbeitsstrukturen in der Unternehmensbranche wie alle anderen. Ein durchdachtes Work-Life-Balance-Konzept entspricht den gesellschaftlichen Anforderungen unserer Zeit: Junge Menschen wollen leben, brauchen Flexibilität und gleichzeitig Sicherheit. Und wir brauchen keine Maschinen, sondern Menschen, die gern und ausgeglichen zur Arbeit kommen.“