Der Mensch will berührt werden, „innen und außen, sonst verkümmert er", sagt eine Stuttgarter Tanzlehrerin - Tango Argentino ist das Gegenteil von Social Distancing, beruht auf größter Nähe. Wie geht das in Pandemiezeiten?
Stuttgart - Behutsam zieht sie das Bein im Halbkreis über den Boden. Mann und Frau bewegen sich voneinander weg, gehen in die ganze Weite ihrer Umarmung. Dann hakt sie den Fuß an seiner Schuhsohle ein, schlingt sich eng um ihn, Wange an Wange, Hüfte an Hüfte, sie flippt ein Bein zwischen seine Beine. Das ist der Gancho, der Haken. Er hat eine berührende Dramatik, einen fließenden Lauf, doch auch etwas Neckisches. Liane Schieferstein, eine blonde, zarte Frau mit Brille und einem mädchenhaften Lächeln, lehnt sich in die Arme ihres Tanzpartners und strahlt. „Der Mann schickt mich raus, und ich kann wieder zurück in seine Umarmung", erklärt sie und schaut dabei in die Augen ihrer Schüler im Lalotango, einer Tanzschule im Stuttgarter Süden.
Sechs Paare verfolgen bei leicht gedimmtem Licht auf dem Parkett, wie Liane Schieferstein mit ihrem Tanzpartner Benedikt Krappmann eine der klassischen Tangofiguren vortanzt. Krappmann erklärt: „Der Mann fragt sich: Wie weit kann ich gehen?“ Und die Frau „tendiert dabei dazu, den Klammeraffen zu geben“.
Tango! „Der Herr knickt die Dame, nein, biegt sie, so beugsam die Dame, der Herr gibt sich steif. Zwei Körper, die eins sind“, schrieb Günter Grass. Dieser Tanz, der so machohaft wirkt und in Wahrheit viel gegenseitiges Verständnis einfordert: Er erscheint jetzt wie ein Seufzen in einer sehnsuchtsvollen Zeit. Tango, wenn es lateinisch gelesen wird, heißt: Ich berühre. Das Gegenteil von Social Distancing. Wie soll das gehen, wenn man einander nicht einmal mehr die Hand gibt? Geschweige denn, in den Arm nimmt?
[...]
(Vollständiger Text für Abonnenten)
Original