Nach der 2:4-Niederlage in Anaheim verschärft sich die Lage der Montréal Canadiens um einen weiteren Grad. Die Gründe für die schlechten Leistungen der Frankokanadier sind vielseitig.
Die Montréal Canadiens - Rekordsieger mit 24 Stanley-Cup-Titeln und Gründungsmitglied der NHL. Eine Traditionsmannschaft wie kaum eine andere. Von der vermeintlichen Eishockey-Hochburg ist jedoch in der aktuellen Spielzeit wenig beziehungsweise überhaupt nichts zu sehen. Das Team von Marc Bergevin liegt nach den ersten zehn Spielen mit nur vier Punkten auf dem drittletzten Tabellenplatz (divisionsübergreifend) und gewann lediglich zwei Partien. Nicht nur der Vorstand, sondern auch die Fans suchen nach Antworten auf die Frage, wohin das Team der letzten Saison verschwunden ist. Bei genauerem Betrachten wird deutlich: Die Fehler sind fast ausschließlich auf dem Eis zu finden.
Vorjahresfinalist
In der Vorsaison waren die Canadiens das Überraschungsteam schlechthin. Während man die Hauptrunde auf dem vierten Platz der North Division abschloss und sich somit in allerletzter Instanz für die Play-offs qualifizierte, erreichte man im Anschluss zum ersten Mal seit 1993 das Stanley-Cup-Finale, das schließlich gegen den Titelverteidiger aus Tampa verloren wurde. Trotz der großen Enttäuschung zeigte man sich in Montréal bezüglich der neuen Saison zuversichtlich. Man hoffte, den Status des Überraschungsteams zu verlieren und nach langer Abstinenz wieder regelmäßig im Rennen um den Cup mitzumischen - anders als die blau-weißen Nachbarn aus Ontario.
Schlechtester Start seit 26 Jahren
Auch wenn die Erwartungen hoch waren, ist das Team von Cheftrainer Bergevin ihnen bisher nicht ansatzweise gerecht geworden. Die Habs standen nach den ersten fünf Partien punktlos auf dem letzten Platz der Ligatabelle. So einen schwachen Start legte Montréal zuletzt 1995 hin, als die ersten fünf Spiele ebenfalls alle verloren gingen - zwei Jahre zuvor gewann man noch den bis dato letzten Stanley Cup. Speziell die Niederlage gegen Carolina verkörperte die Situation der Habs perfekt. Und das Team von Ron Francis erlaubte es sich sogar, den frankokanadischen Gegner nach dem 4:1 auf Twitter mit dem Spruch ,,Les Hurricanes triomphent" öffentlich zu verhöhnen. Diese Art der Häme war den Fans der Canadiens zuvor vermutlich nur aus den Lagern Toronto und Boston bekannt.
Inzwischen haben die Canadiens zehn Spiele absolviert, doch die Situation ist nach wie vor miserabel: Selbst die ersten Erfolge in dieser Saison gegen die Detroit Red Wings und die San Jose Sharks brachte nicht die erwünschte Wendung, sodass die Habs mit vier mickrigen Punkten auf Tabellenplatz 30 rangieren. Nur die Chicago Blackhawks und die Arizona Coyotes liegen dahinter.
Schwächen auf allen Positionen
Nun stellt sich, wie zuvor bereits erwähnt, die Frage, wo der Ursprung der Misere liegt. Fest steht: Wer Spiele gewinnen will, muss Tore schießen - und das haben die Canadiens bisher nur selten getan. 19 Tore in zehn Spielen sprechen eine deutliche Sprache. 1,9 Tore erzielten die Habs pro Spiel in dieser Saison. Vor allem Nick Suzuki, den die Canadiens mit einem Vertrag bis 2030 ausgestattet haben, findet nicht zu seiner Form aus dem Vorjahr zurück. Der junge Stürmer aus Ontario kam bisher auf fünf magere Punkte. Zum Vergleich: in den ersten zehn Spielen der Vorsaison hatte er bereits elf Punkte erzielt und hatte auch im weiteren Verlauf der Spielzeit maßgeblichen Anteil an den erfolgreichen Ergebnissen der Habs, die schließlich das Finale des Stanley Cups erreichten.
Doch auch die restlichen Offensivkräfte konnten noch nicht an die Leistungen der Vorsaison anknüpfen. Demnach haben Josh Anderson, Brendan Gallagher und Tyler Toffoli bisher nicht mehr als zwei Tore erzielt - für Flügel- bzw. Mittelstürmer sind diese Werte nach zehn Spielen deutlich zu niedrig. Einzig Mike Hoffman sticht mit vier Treffen heraus und die Hoffnungen der Habs könnten somit auf ihm ruhen. Auch in der jüngsten Partie gegen die Ducks erzielte der ehemalige Florida-Stürmer ein Tor.
Während die Tormaschine vorne nicht läuft, klafft auch in der Defensive der Canadiens ein großes Loch: Satte 34 Gegentore musste man bis zu diesem Zeitpunkt hinnehmen und auch hier waren nur die zwei letztplatzierten Teams schlechter. Im Durchschnitt bedeutet dieser Wert 3,4 Gegentore pro Spiel. Ben Chiarot und Jeff Petry sorgten bis dato für keine Stabilität in der Abwehr, obwohl vor allem Letzterer in der Vorsaison noch zu den Leistungsträgern gehörte. Was für die Verteidiger gilt, bezieht sich auch auf die Torhüter: Jake Allen und Sam Montembault parierten insgesamt 276 Schüsse (89 Prozent Fangquote) und es ist eher unwahrscheinlich, dass sich die Werte bis zur Rückkehr von Startorwart Carey Price sonderlich verbessern werden.
Führungsspieler fehlen
Apropos Price: der langjährige Goalie der Canadiens (93 Prozent Fangquote in den Play-offs 2021) ist nicht die einzige Leader, dessen Abstinenz auf dem Eis deutlich zu spüren ist. Auch das Fehlen von Shea Weber und Phillip Danault macht sich bemerkbar. Der ehemalige Kapitän brachte gerade die Stabilität in die Defensive, die heute so nötig ist. Sein Wert wurde auch deshalb deutlich, da er als Verteidiger trotzdem 19 Punkte in der Vorsaison erzielte. Wie schon auf der Position des Torhüters, ist auch hier eine Verbesserung in absehbarer Zeit kaum möglich: Webers Verletzung ist so schlimm, dass er die Saison 2021/22 womöglich komplett verpassen wird. In der Offensive ist vor allem neben dem Abgang von Danault auch der von Tomas Tatar spürbar geworden. Der Slowake erzielte im Vorjahr 30 Punkte und war ebenfalls maßgeblich am Erreichen des Finals beteiligt. Gleiches gilt für Danault, der 24 Punkte verbuchen konnte. Man sieht also, dass es nicht nur Leistungsträger, sondern tatsächlich charismatische Führungspersonen sind, die den Canadiens auf und neben dem Eis fehlen. Die Situation ist auch deshalb fatal, weil dieser Umstand im Tor, in der Verteidigung und in der Offensive herrscht. Im Vorjahr erreichte Montréal (mit ihnen) gerade so die Play-offs - wie soll es in diesem Jahr ohne diese drei Leader funktionieren?
Fazit
Der Wind hat sich in Montréal gedreht. Die vielen Probleme, die auf allen Positionen zu erkennen sind, können sowohl auf eine Formschwäche als auch auf das Fehlen der Starspieler wie Weber und Price zurückgeführt werden. Bedenkt man zusätzlich dazu noch, dass die Canadiens sich in dieser Saison mit vielen Strafen (durchschnittlich vier pro Spiel) das Leben selbst schwer machen, so ist zu diesem Zeitpunkt von einem negativen Saisonverlauf auszugehen. Und die schwierigen Gegner warten noch, denn bisher trat man noch gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte (Seattle, Los Angeles, Anaheim) an und auch diese Kellerduelle gingen verloren. „ On veut faire les series " wird man in Montréal daher vorerst nicht oft zu hören bekommen.