Massagen sorgen für Muskelentspannung und heben darüber hinaus auch die Stimmung. Dosierte Streichungen können Schmerzen lindern und helfen bei der Regeneration nach Verletzungen. Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass diese Therapiemethode aber auch die Körperabwehr beeinflusst. Sie bändigt überschießende Reaktionen und aktiviert ein geschädigtes System bei AIDS- oder Krebspatienten. Immer klarer stellt sich dabei heraus, welche Signalwege der Körper dabei benutzt.
Massagetherapie hilft oft auch dort, wo Schmerzmittel versagen. Sie lockert und entspannt die Muskulatur und trägt zur Heilung nach Verletzungen bei. Ausserdem wirkt sie gegen Entzündungen und fördert den Blutfluss und die Beweglichkeit. Auch auf diesen vielfältigen Effekten beruht die schmerzlindernde Wirkung, hervorgerufen durch die Hände des Therapeuten. Besonders bei Traumata, bei denen mangelnde Durchblutung die Versorgung mit Analgetika behindert, spielt die Massagetherapie ihre Stärken aus.
Massage schützt Frühchen
Aber Massage kann noch mehr. Viele Studien liefern Hinweise darauf, dass Knetungen und Streichungen auch das Immunsystem anregen und damit Entzündungen hemmen oder eine lahmende Körperabwehr auf Trab bringen. So beobachtete eine brasilianische Gruppe von Kinderärzten aus Porto Alegre bei Frühchen weniger neonatale Sepsisfälle und generell einen kürzeren Klinikaufenthalt, wenn die Neugeborenen eine sanfte Massage bekamen (1). Jocelyn Y. Ang und ihre Kollegen aus dem amerikanischen Detroit bestätigten diese Beobachtungen kürzlich in einem „Pediatrics"-Bericht (2).
Die absoluten Zahlen an T- und B-Lymphozyten sowie NK-Zellen (Natürliche Killerzellen) unterschieden sich zwar nicht deutlich, jedoch stieg die Zytotoxizität der NK-Zellen unter der Gruppe mit Massagetherapie an. Diese Gruppe legte auch schneller Gewicht zu als die Kontrolle.
Boost fürs Immunsystem bei AIDS und Krebs
Besonders deutlich zeigen sich die Auswirkungen dieser Therapiemethode auf das Immunsystem bei HIV-infizierten Männern und Frauen. Patienten, die sich zusätzlich zur schulmedizinischen Behandlung für alternative Therapiestrategien entscheiden, wählen vorzugsweise - in fast zwei Drittel aller Fälle - die Massage. Eine Studie aus dem Jahr 2001 untersuchte jüngere Frauen mit AIDS und fand höhere NK-Zelltiter bei Patienten mit Massagebehandlung als bei jenen, die eine reine Entspannungstherapie vorzogen (3).
Auch ein Review der Cochrane-Library aus dem Jahr 2010 kam zu ermutigenden Ergebnissen. Er nahm zwölf Veröffentlichungen zum Thema „Massage für HIV-Infizierte" unter die Lupe. Nicht alle Studien fanden direkt messbare Verbesserungen bei der Funktion des Immunsystems. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl und zum Teil unvollständiger Randomisierung und Verblindung war die Aussagekraft einiger Untersuchungen nur begrenzt (4). Ziemlich sicher hat die Massage jedoch Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten, die sich damit verbessert. Unangenehme Nebenwirkungen sind bisher kaum bekannt.
Bei Krebspatienten steht das Immunsystem ebenso auf schwachen Beinen. Eine Massage könnte damit Abwehr wie auch Psyche wieder aufrichten. Tatsächlich zeigen Studien an Brustkrebspatientinnen, dass die Massage den NK-Titer wieder in die Höhe treibt. Auch die Lymphozytenzahlen steigen nach regelmäßiger Anwendung der Massagetherapie wieder schneller an als etwa bei einer Entspannungstherapie (5, 6). Brustkrebs steht dabei auch stellvertretend für andere Tumoren. Bei pädiatrischen Leukämieerkrankungen erhöht sich etwa neben der Leukozytenzahl auch der Titer an Neutrophilen (7). Schließlich veröffentlichten japanische Forscher vor zwei Jahren im „Journal of Anaesthesiology" erhöhte Immunglobulin A-Werte im Speichel nach Massage (8).
Förderung des angeborenen Immunsystems
Bereits 1997 untersuchten Günther Werner und seine Kollegen aus München, wie Massagen bei gesunden Probanden deren Immunsystem verändern. Während die spezifische Abwehr in Form von IgE, Interleukin-4 und -6 oder auch Interferon-g eher nachließ, förderten die Hände des Therapeuten die unspezifische Immunität. Leukozyten, Monozyten oder Mastzellen nahmen zu. Das deutet darauf hin, dass Massage auch gegen ein überschießendes Immunsystem etwa bei Allergien wirkt (9).
Fast bei allen erwähnten Untersuchungen half Massage gegen Angststörungen und depressive Stimmungen. Bei Jugendlichen lindert die Therapie auch ein übergroßes Aggressionspotential. Und das viel besser als etwa reine Entspannungsübungen. Wenn es vor allem um den Abbau von Ängsten und unkontrollierbaren Stimmungsschwankungen geht, bezeugen Studien der Massage eine heilende Kraft bei Burn-out, Asthma und nach kardiologischen Eingriffen, aber auch bei Migräne (10).
Wirkung auf Dopamin, Serotonin und Kortisol
Warum wirkt Massage? Die Psychoregulative Massage oder „Slow Stroke Massage" zielt weniger auf das Bindegewebe, sondern auf das Organ „Haut" ab. Entsprechende Rezeptoren sorgen bei Berührung dafür, dass der Körper Oxytocin freisetzt. Das „Sympathie-Hormon" spielt bei der Mutter-Kind-Bindung, aber unter anderem auch im Geschlechtsverkehr eine bedeutende Rolle. Anscheinend gilt das auch für die Massagetherapie. Einige - aber nicht alle - Studien zeigen höhere Serotonin- und Dopaminkonzentrationen, während der Kortisolspiegel nach der Massage eher nach unten geht (10). Das unterdrückt einerseits depressive Stimmungslagen und beeinflusst andererseits die Wahrnehmung von Schmerzen. Die Ausschüttung dämpft aber auch ein überschießendes Immunsystem. Vor kurzem beschrieben Mark A. Tarnopolsky und seine Kollegen von der kanadischen McMaster University in der renommierten Fachzeitschrift „Science Translational Medicine" noch mehr molekulare Mechanismen, über die Massage seine vielfältigen Wirkungen ausübt (11). Dazu entnahmen sie bei Jugendlichen mit Muskelverletzungen Biopsien aus dem Oberschenkel vor und nach der Behandlung. Die Verletzung verursachte lokal eine deutliche Veränderung im Muster aktiver Gene. Die Massage wiederum aktivierte schon nach zehn Minuten Stoffwechselwege, die dem mechanischen Stress in der Muskulatur entgegenwirken.
Neue Zellkraftwerke mit Massage
Über die Rezeptoren in der Muskulatur bewirkt die Massage, dass die Zellen verschiedene Kinasen aktivieren, die Signale in den Zellkern leiten. Dort sinkt etwa die Konzentration des Transkriptionsfaktors NFkB, einem Entzündungsmarker. In der Folge nimmt dann auch die Konzentration so genannter „Heat Shock Proteine" ab, die Stress im Gewebe anzeigen. Gleichzeitig regen molekulare Botenstoffe die Zelle an, neue Mitochondrien zu bauen, Energiekraftwerke für die Reparatur von Verletzungsschäden. Entgegen vieler Theorien scheint aber Massage keinen Einfluss auf den Laktatspiegel zu haben. Gleiches gilt auch für den Energiespeicher in Form von Glykogen. Dass aber Massagetherapie den Muskeln von Sportlern zu besseren Leistungen verhilft, ist unbestritten.
Langsam aber sicher scheint sich das Bild aufzuhellen, wie Massagetherapie nicht nur für Entspannung sorgt, sondern auch die körpereigene Abwehr fit macht. Allerdings zeigen noch etliche Studien ein uneinheitliches und zuweilen sogar widersprüchliches Bild. Dazu tragen auch Faktoren wie geringe Teilnehmerzahl oder mangelnde Evidenz bei, weil die Untersuchung nicht ausreichend verblindet oder randomisiert war. Zukünftige Untersuchungen sollten auch unterschiedliche Massagetechniken bei verschiedenen Leiden berücksichtigen. Fest steht jedenfalls, dass Massage eine kostensparende Alternative zu etlichen teuren Pharmazieprodukten oder hochtechnisierter Gerätemedizin ist. Auch im Hinblick auf ihre Signale an das menschliche Immunsystem wissen wir immer besser, warum.
Literaturverzeichnis
Mendes EW, Procianoy RS: Massage therapy reduces hospital stay and occurrence of late-onset sepsis in very preterm neonates. Journal of Perinatology (2008) 28, 815-820 Ang JY, Lua JL, Mathur A et al.: A Randomized Placebo-Controlled Trial of Massage Therapy on the Immune System of Preterm Infants. Pediatrics (2012) 130, e1549-e1558 Diego M, Field T, Hernandez-Reif M et al.: HIV adolescents show improved immune function following massage therapy. Intern J Neuroscience (2001) 106, 35-45. Hillier SL, Louw Q, Morris L et al.: Massage therapy for people with HIV/AIDS. Cochrane Database of Systematic Reviews (2010), Issue 1 Krohn M, Listing M, Tjahjono G et al.: Depression, mood, stress, and Th1/Th2 immune balance in primary breast cancer patients undergoing classical massage therapy. Support Care Cancer (2011) 19, 1301-1311 Hernandez-Reif M, Ironson G, Field T et al.: Breast cancer patients have improved immune and neuroendocrine functions following massage therapy. J Psychosom Res (2004) 57, 45-52 Field T, Cullen C, Diego M et al.: Leukemia immune changes following massage therapy. Journal of Bodywork and Movement Therapies (2001) 5, 271-274 Noto Y, Kitajima M, Kudo M et al.: Leg massage therapy promotes psychological relaxation and reinforces the first-line host defense in cancer patients. J Anesth (2010) 24, 827-831 Werner GT, Bieger WP, Blum B et al.: Wirkungen einer Serie von Ganzkörpermassagen auf zahlreiche Parameter des Immunsystems. Phys Rehab Ku Med (1997) 7, 51-54 Baumgart S, Müller-Oerlinghausen B, Schendera CFG: Wirksamkeit der Massagetherapie bei Depression und Angsterkrankungen sowie bei Depressivität und Angst als Komorbidität - Eine systematische Übersicht kontrollierter Studien. Phys Med Rehab Kuror (2011) 21, 167-182 Crane JD, Ogborn DI, Cupido C et al.: Massage therapy attenuates inflammatory signaling after exercise-induced muscle damage. Sci Transl Med (2012) 4, 119ra13Dr. Erich Lederer Freier Medizinjournalist Säulenstraße 2 82008 Unterhaching erichlederer@web.de
Quelle: Fachzeitschrift Physikalische Therapie in Theorie und Praxis