Die Presse: Sie haben rot-grün in Deutschland als unwahrscheinlich bezeichnet – ist das ein Schritt hin zu schwarz-grün?
Cem Özdemir: Da habe ich mir nur die gemeinsamen Umfragewerte angeschaut. Mein Ziel ist, für die Grünen möglichst viel rauszuholen. Wir müssen auf der Basis starker eigener Wahlergebnisse schauen, mit wem wir grüne Inhalte am besten umsetzen können. Was wir 2017 machen, entscheiden die Wähler, nicht die Debatten davor.
Und heute regieren CDU und Grüne erfolgreich in Hessen, und in Baden-Württemberg stehen wir kurz vor Abschluss einer grün-schwarzen Landesregierung. Und dass eine CDU-geführte Regierung die Wehrpflicht abschafft und den Atomausstieg vorantreibt, zeigt, dass die CDU, was grüne Positionen angeht, doch recht pragmatisch ist.
Auf dem Weg zum Idealen ist es manchmal hilfreich, durch Kompromisse, auch wenn sie schwierig sind, dem Ziel ein Schritt näher zu kommen. Die Präsidentschaftswahl in Österreich hat aber auch gezeigt, dass man mit nationalen Obergrenzen und Grenzkontrollen rechts außen nicht klein halten kann. Da finde ich unseren Weg erfolgreicher, dass wir Europa beisammenhalten und uns nicht hinter dem Nationalstaat verschanzen.
Gelöst ist gar nichts. Menschen werden sich weiter auf den Weg machen, solange wir uns nicht damit befassen, warum sie ihr Land verlassen. Neben Krieg, Not und Unterdrückung kommt auch der Klimawandel hinzu, der Ernteausfälle und Dürren mit sich bringt. Da müssen wir gegensteuern. Die Globalisierung lässt sich an der österreichischen Grenze nicht aufhalten.
Nur schlichte Gemüter glauben, dass das etwas bringt. Wir reden hier von Menschen in Not. Der erfolgversprechendere Weg ist, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Wenn wir beispielsweise aufhören, in Westafrika die Meere leerzufischen, dann können die Fischer dort von ihrer Arbeit leben und müssten sich nicht auf den Weg zu uns machen.
Wir müssen schauen, dass wir die Flüchtlinge, die hier sind, schnell integrieren. Bei der Gastarbeitergeneration hat sich die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt bewährt. Ein Versäumnis war aber, nicht genug auf die Sprache zu setzen.
Ich halte nichts von einer Zahlendiskussion. Wir müssen anders herum dafür sorgen, dass möglichst wenige ihre Heimat verlassen müssen.
Wir dürfen niemanden gegeneinander ausspielen. Wir sollten vielmehr die Anwesenheit der Flüchtlinge nützen, Dinge, die wir sowieso machen müssen, endlich in Angriff zu nehmen. Wir brauchen etwa Ganztagesschulen mit ausreichend Personal, die den Namen auch verdienen. Wir sollten aber auch dazu sagen, das gibt es nicht zum Nulltarif.
Mir fällt das Zitat ein: Wer glaubt, dass Bildung teuer ist, kann es ja gern mit Dummheit probieren. Ähnlich ist es mit Integration. Am Anfang kostet es, aber wenn man da investiert, spart man nachher viel ein. Wenn man es klug macht, profitieren wir auch wirtschaftlich von der aktuellen Einwanderung, weil wir ja einen Mangel an Arbeitskräften haben.
Ich höre so gut wie nie, dass die Leute keine Sprachkurse wollen, sondern dass sie nicht genug angeboten bekommen. Natürlich gibt es bei einer Million auch welche, die überfordert sein werden. Aber unter 80 Millionen Deutschen sind auch nicht nur Einsteins.
Viel in dieser Debatte hat mit Symbolpolitik zu tun. Wo es rechtlich angezeigt, verhältnismäßig und ethisch vertretbar ist, passiert das auch.
Es gibt kein Monopol auf Heimat von rechts. Heimat macht sich auch an der Frage fest: Wer macht Nationalparks, wer sorgt dafür, dass Artenvielfalt erhalten wird, und wo man sich zuhause fühlt. Das ist es doch, was unseren Reichtum ausmacht.
Da hätte ich kein Problem damit. Aber nicht im abwehrenden Sinn, sondern damit, dass jemand, der Cem, Shirin oder Abdoul heißt, das Gefühl hat, dass er dazugehört.
Ich hoffe sehr, dass sich die demokratischen Parteien zusammenraufen und geschlossen hinter Alexander Van der Bellen stellen. Von einem Sieg Norbert Hofers profitiert keiner, weder Österreich noch Europa.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)
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