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Türken im Spagat zwischen alter und neuer Heimat

Berlin. Sie sind ein wenig aus dem Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. Natürlich, über die Türkei selbst und ihren Präsidenten, da wird gerade viel gesprochen. Doch die türkischstämmige Bevölkerung in Österreich und Deutschland wird derzeit eher in Ruhe gelassen. Heute stehen wegen der Flüchtlingssituation andere Gruppen im Fokus - Syrer, Afghanen und spätestens seit den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht auch Menschen mit Wurzeln in Nordafrika. Und auf einmal fühlen sich Österreicher und Deutsche den Türken näher. Sie kennt man schon. „Ihren" Türken, den haben sie ohnehin längst akzeptiert. Den Mann hinter dem Kebabstand, den Bäcker, der auch am Sonntag geöffnet hält. In manchen Vierteln Wiens hat „der Türke" die Funktion des Nahversorgers übernommen, die früher der Greißler gehabt hat.


Doch Euphorie, dass alles wunderbar ist, ist nicht angebracht. Denn in einigen Bereichen gelten Menschen mit türkischen Wurzeln als besonders problematisch. In der Schule liegen sie bei Leistungstests nicht nur hinter einheimischen Kindern, sondern meist auch hinter Schülern mit anderen ausländischen Wurzeln. Was unter anderem auch daran liegt, dass Bildung stark vererbt wird - bis die Kinder und Enkel der als Gastarbeiter aus ländlichen Regionen gekommenen Türken den sozialen Aufstieg schaffen, ist es ein weiter Weg.

Das schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. In Österreich lag die Arbeitslosenquote von türkischen Staatsbürgern im Vorjahr bei 19,8 Prozent, ähnlich hoch wie auch in Deutschland. In beiden Ländern liegt die Arbeitslosigkeit über dem Gesamtschnitt. Zu diesem Teufelskreis aus niedrigem sozialen Status, wenig Bildung und Arbeit kommen zum Teil auch noch spezielle Probleme. Dass etwa in manchen konservativeren Familien wenig Wert auf die Ausbildung der Töchter gelegt wird, weil sie ja ohnehin bald heiraten sollen.


Halb Österreicher, halb Türke


Einen Fehler darf man aber nicht machen, nämlich die statistischen Befunde auf sämtliche türkischstämmige Menschen umlegen. Längst haben viele den Sprung geschafft, sind gut ausgebildet, beruflich erfolgreich und in der Gesellschaft verankert. Gerade sie leiden unter dem oft negativ gezeichneten Bild der Türken in Europa. Die Generation, die schon in Österreich oder Deutschland geboren und aufgewachsen ist, wird dadurch in manchen Loyalitätskonflikt gedrängt. „Der Türke" ist längst Staatsbürger, hat vielleicht den Militärdienst absolviert, fühlt sich in Österreich verankert - hat aber noch eine Verbindung zur Heimat der Vorfahren. Logisch, schließlich gehören auch die Wurzeln zur Identität. Im österreichischen Integrationsbericht 2015 fällt die Frage nach der Identität zwischen Österreich und der Türkei mit 50:50 aus. Allerdings: Knapp 45 Prozent der Türkischstämmigen fühlen sich in Österreich sehr, weitere 37 Prozent eher heimisch.


Im Fall der Türkei wird die Diaspora vom Mutterland ganz aktiv gehegt. Über Vereine versucht man, die Verbindung nicht zu locker werden zu lassen. Bei Besuchen mahnt der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, seine „Landsleute", wie er sie nennt, sich nicht zu assimilieren. Die Zugehörigkeit zum Türkentum, so die Botschaft, kennt keine Landesgrenzen. Und natürlich ist die türkischstämmige Community auch ein wirtschaftlicher und politischer Außenposten der Türkei, mit dessen Hilfe das Land seine Interessen mit öffentlichem Nachdruck vertreten kann. Dass Erdoğan bei Auftritten bejubelt wird, wird dann wieder als Indiz dafür gesehen, wie sehr gerade die Türken an ihrer alten Heimat hängen - so wie auch die Jubelcorsos nach Siegen des türkischen Fußballteams.


Salatschüssel statt Schmelztiegel


Im Stadtbild dominiert in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem das deutlich Sichtbare. Das sind dann eben Frauen mit Kopftuch oder Geschäfte mit türkischen Namen. Sei es auf dem Brunnenmarkt in Wien, sei es auf der Adalbertstraße in Berlin-Kreuzberg. An Stellen wie diesen scheint der soziologische Begriff des Schmelztiegels nicht zu passen, sondern eher jener der Salatschüssel, in der es ein Miteinander in klar abgegrenzten Kulturen gibt. Was die einen als Zeichen der Vielfalt feiern, verdammen die anderen als Parallelgesellschaft.

Auf dem Wiener Brunnenmarkt war die Mischung aus - vornehmlich türkischen - Zuwanderern und günstigen Wohnungen der Humus für einen Boom, der Studenten und Kreative anzog. Und auch in Berlin gelten einst türkisch dominierte Bezirke wie Kreuzberg oder Neukölln heute als Trendviertel. Doch nicht überall springt der Motor vom türkischen Bäcker zum Trendbezirk an. Gerade in sozial schwächeren Gegenden wird statt Bereicherung eher Bedrohung gesehen.


Die Zeiten, in denen die Türkei als eine der wichtigsten Zuwanderernationen gegolten hat, sind mittlerweile allerdings vorbei. In Österreich geht das Wanderungssaldo seit 2002 deutlich zurück - 2014 wanderten insgesamt nur mehr 84 Menschen mehr von der Türkei nach Österreich als umgekehrt. In Deutschland hat die Türkei seit 2006 sogar ein negatives Wanderungssaldo, weil viele mittlerweile in der Türkei bessere berufliche Perspektiven für sich sehen. Damit bleibt die Zahl der Türkischstämmigen in Deutschland und Österreich weitgehend stabil. In Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit vor allem auf den vielen Flüchtlingen ruht, fallen sie damit derzeit einfach nicht mehr so sehr ins Gewicht.


("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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