© Hartmut Naegele/laif ; Die große Moschee in Duisburg: Junge Muslime zieht es von hier in die Kriegsgebiete
Vor etwa zehn Jahren floh Ibrahim (Name geändert) mit seiner Familie aus seiner Heimat Tschetschenien. Sie wollten nicht mehr in einem Land im Kriegszustand leben, wo Meuchelmorde auf der Tagesordnung stehen. Nach einer langwierigen, nicht ungefährlichen Flucht landete Ibrahims Familie in Österreich. Damals war er noch ein Jugendlicher, fast ein Kind. In Innsbruck begann er mit seinen Eltern und Geschwistern, eine neue Zukunft aufzubauen. Ibrahim lernte schnell Deutsch und war gut integriert.
Oft leistete er Übersetzungshilfe für andere tschetschenische Flüchtlinge. Der junge Tschetschene holte nicht nur seinen Schulabschluss nach, sondern arbeitete auch nebenbei, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Sein Ziel war, so bald wie möglich zu studieren. Während Ibrahim viel über seine Zukunft und Bildung nachdachte, wurden ihm auch seine religiösen Wurzeln bewusst. Sein Glaube, der Islam, hielt ihn davon ab, zu rauchen, Alkohol zu trinken oder Drogen zu nehmen.
Auch der eine oder andere HardlinerIn einer lokalen Moschee, die mehr einem Hinterhofgebetsraum glich, traf man Ibrahim oft an. Dorthin kamen Muslime aus den verschiedensten Schichten und mit den unterschiedlichsten Hintergründen - somalische Flüchtlinge, afghanische und pakistanische Medizinstudenten, tschetschenische Bauarbeiter, arabische Ärzte und Anwälte. Dass in solch gemischter Gemeinde auch der eine oder andere Hardliner nicht fehlte, konnte kaum verwundern. Man darf deswegen nicht jeden Besucher dieser Moschee als „extremistisch" oder „radikal" abstempeln. Immerhin war auch ich unter ihnen.
Ibrahim kannte ich nur vom Sehen. Man grüßte sich, wie man dort freitags eben jeden grüßt. Erst im Nachhinein erzählte mir ein Freund, ein Landsmann Ibrahims, der ein guter Bekannter von ihm war, dessen Geschichte. Der Imam der genannten Moschee vermischte oft und gern Politik mit Religion. Den syrischen Machthaber Baschar al Assad hatte er längst verteufelt. Sätze wie „Lasst uns beten, dass Assad bald gestürzt wird" oder „Beten wir für den Erfolg der Mudschahedin in Syrien" gehörten zu den Standardaussagen. Die Meinungen zu den Ereignissen in der islamischen Welt waren stets einheitlich.
„Müssen Sie die Hölle so oft erwähnen?"Die Muslimbrüder sind die Guten, ebenso wie jene, die gegen Assad kämpfen oder Gaddafi hinrichteten. Und wer nicht seinen Pflichten nachgeht und nicht betet, kommt „natürlich" in die Hölle. Obwohl viele Menschen, die man als intellektuell, liberal oder freidenkerisch bezeichnen könnte, anwesend waren, wurde selten Widerspruch laut. Einmal - es war einer der seltenen Tage an dem die Khutba (die Freitagspredigt) - auf Deutsch übersetzt wurde, fiel ein älterer Mann dem Imam ins Wort und fragte ihn, was diese permanente Angstmacherei solle.
„Müssen Sie die Hölle so oft erwähnen?", meinte der Mann missbilligend. Eine Antwort bekam er nicht. Einige der Anwesenden beschwichtigen ihn und sagten, jetzt sei nicht die Zeit zum Diskutieren. Der Imam ruft die Anwesenden immer wieder auf, für Syrien Geld zu spenden. Manche sind skeptisch. Nur wenige wollen sicher sein, wohin das Geld fließen wird. Ibrahim und viele andere können kaum verstehen, was der Imam sagt, da dieser - wie schon angedeutet - vorwiegend Arabisch spricht. Manche sind darüber gar nicht unglücklich. Sie verrichten ihr Gebet und gehen dann ihrem Alltag nach.