"Emran, du kommst ja aus Afghanistan. Weißt du, warum die das gemacht haben?", das fragte mich meine Lehrerin vor versammelter Klasse. "Die", das waren Mohammad Ata und die anderen Attentäter der Anschläge des 11. Septembers 2001. Ich versuchte, zu antworten, stotterte: "Nein, leider nicht." Damals besuchte ich die Grundschule in Innsbruck, Österreich.
Erst heute fällt mir auf, wie absurd die ganze Situation gewesen ist. Mit ihrer Frage schloss mich meine Lehrerin vom Rest der Klasse aus. Da waren sie, die vermeintlich normalen Kinder aus der Gegend, und ich, dessen Eltern aus Afghanistan kommen, die nicht Gott sagen, sondern "Allah".
Heute würde ich sagen: Diese Szene von damals ist bezeichnend für die gegenwärtige politische Situation in Österreich. Wie meine damalige Lehrerin haben viele Menschen Angst vor dem Fremden und Anderssein. Norbert Hofer und seine FPÖ wissen, jene Angst zu instrumentalisieren und in Wählerstimmen umzuwandeln.
Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen belegte FPÖ-Kandidat Hofer den ersten Platz. Die Regierungsparteien, SPÖ und ÖVP ließ er weit hinter sich. Werner Faymann, bis vor Kurzem noch Bundeskanzler und SPÖ-Parteivorsitzender, ist bereits von seinen Ämtern zurückgetreten. Nun schauen alle auf den 22. Mai: An diesem Tag wird die Stichwahl entscheiden, ob Hofer oder Alexander Van der Bellen, ein Grüner und ehemaliger Wirtschaftsprofessor, gewinnt.
In der Fotostrecke: Wie sich die Kandidaten präsentieren
Für mich sind Hass, Rassismus und Rechtspopulismus nichts Neues - und trotzdem macht mir die gegenwärtige Situation Angst. Es geht nämlich nicht mehr um den mir bekannten Alltagsrassismus: Sollte Hofer tatsächlich der nächste Bundespräsident werden, würde der Rassismus in die Hofburg einziehen. Er wäre vom Wähler legitimiert und würde sich auf eine Art und Weise verbreiten, die es seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Das würde Österreich nachhaltig verändern.
Emran bei einer Wandertour (Bild: Emran Feroz)
Geboren und aufgewachsen bin ich im tirolerischen Innsbruck, seit einigen Jahren lebe ich in Deutschland. Tirols Landschaft ist wunderschön, das sagen mir Freunde und Verwandte aus dem Ausland immer wieder. Was ich nur für ein Glück habe, an einem solchen Ort aufgewachsen zu sein.
Ja, das stimmt. Das gilt aber eben nicht immer - vor allem dann nicht, wenn man schwarze Haare und einen fremd klingenden Namen hat. Ich habe mich niemals richtig heimisch gefühlt, niemals als echter Österreicher. Egal, wie gut ich den lokalen Dialekt spreche, sogar die Tiroler Landeshymne kann ich aufsagen, Wort für Wort.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Wahl
Dunkle Haare und dichter Bartwuchs reichen auf Innsbrucks Straßen aus, um angestarrt und angesprochen zu werden. Manchmal sage ich in solchen Situationen, dass ich lediglich den vollbärtigen Andreas Hofer imitieren wolle, Tirols Nationalhelden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zettelte er einen Bauernaufstand an und rebellierte gegen die bayrischen Truppen Napoleons. Er feuerte seine Bauern an, indem er ihnen Paradies und Märtyrertum versprach.
Die Politik, vor allem die Tiroler FPÖ, instrumentalisiert Andreas Hofer bis heute. „Andreas Hofer war beseelt vom Willen zur Freiheit", sagte etwa FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. "Seine Waffe: ein Gebet. Sein Bundesgenosse: Gott". Er fragte die Menge, was dieser "heilige, deutsche Charakter" wohl heute an "unserer Stelle" getan hätte.
Auch der FPÖ-Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache erinnerte schon an das Erbe Hofers: Allerdings, so suggerierte er, müssten heute keine Bayern oder Franzosen bekämpft werden, sondern Migranten, Flüchtlinge und Muslime.
Er redete an diesem Tag vor dem berühmten Goldenen Dach, dem Wahrzeichen der Stadt - ich empfinde es als Skandal, dass die FPÖ sich so prominent präsentieren durfte. In meinen Augen hat das wenig mit dem demokratischen Recht auf Meinungs- und Redefreiheit zu tun, wenn die FPÖ an einem derart symbolischen Platz öffentlich gegen Minderheiten und Migranten hetzen darf.
(Bild: epa/Filip Singer)
Das tut die Partei schon seit Jahrzehnten: "Daham statt Islam", "Abendland in Christenhand" oder "Isst du Schwein, darfst du rein". Schon mehrfach zeigten Recherchen von Journalisten, dass Spitzenpolitiker der FPÖ in rechtsextremen Kreisen verkehren und ihr Personal aus der Neonazi-Szene sowie dem deutschnationalen Milieu rekrutieren.
In seinem Buch "Strache im brauen Sumpf" stellt etwa der österreichische Journalist Hans Henning Scharsach ausführlich dar, wie der Einfluss rechter Burschenschaften innerhalb der FPÖ unter Strache stark zugenommen hat. Viele seien inzwischen in der Führungsebene der Partei vertreten, auch als Bindeglied zur Neonazi-Szene. (Mehr dazu steht zum Beispiel auf faz.net)
Trotzdem bezeichnen Medien die FPÖ als rechtspopulistisch. In meinen Augen ist die Partei rechtsextrem - und das sollte man auch genau so schreiben. Alles andere würde die Partei nur verharmlosen. Jahrelang hat sie keinen Hehl aus ihren extremen Positionen gemacht. Dass Norbert Hofer sich jetzt als seriöser Saubermann gibt, ändert daran nichts. Allerdings führt es dazu, dass vieles im öffentlichen Bewusstsein in Vergessenheit gerät - das ist gefährlich.
Ja, viele Österreicher sind von der großen Koalition enttäuscht, die jahrelang regiert hat. Einige haben Angst vor einem wirtschaftlichen Abstieg, andere fürchten sich vor den vielen Flüchtlingen, die Österreich aufgenommen hat. Und trotzdem: Muss man sich deswegen gleich für Hass und Rassismus entscheiden? Will Österreich wirklich ein Staatsoberhaupt, dessen Partei Menschen aufgrund ihrer Herkunft und Religion als minderwertig betrachtet?
Immerhin: Inzwischen setzen sich zahlreiche bekannte Österreicher, darunter Schauspieler, Künstler und Schriftsteller, für Alexander Van der Bellen ein. "Wer nicht wählt, darf sich nachher nicht beklagen", sagt etwa Christoph Waltz.
Auch meine Freunde, Verwandten und Bekannten, die sich kaum für Politik interessieren, wirken mittlerweile aufgerüttelt und besorgt. "Verdammt. Ich muss wählen gehen", sagte kürzlich ein Freund, der seit Jahren nicht gewählt hat. Nun mobilisiert er seinen gesamten Freundes- und Verwandtenkreis: Mit jedem, der unentschlossen wirkt oder gar zur FPÖ tendiert, redet er, bis er ihn umgestimmt hat.
All das macht mir Hoffnung. Und zeigt mir - trotz meiner negativen Erfahrungen: Österreich bedeutet nicht gleich FPÖ. Und nicht alle Menschen denken so wie meine Grundschullehrerin von damals.
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