Einen Schluck Wasser trinken, sich anziehen, den Computer einschalten: All das geht für Brigitte T. nur mit Unterstützung. Sie hat eine Muskelerkrankung und sitzt im Rollstuhl. Nur die Unterarme kann sie eingeschränkt bewegen. Mit dem "Arbeitgebermodell" hat sie ihr Leben organisiert: Dabei wechseln sich sechs Assistenten ab und unterstützen sie im Alltag. "Das ermöglicht mir die größtmögliche Selbstbestimmung", sagt Brigitte T.
Vergleichsweise wenige pflegebedürftige Menschen entscheiden sich für dieses Modell - auch, weil es viel Bürokratie bedeutet. Frau T. suchte sich ihr Personal selbst aus, lernte es ein und kümmerte sich um die Dienstpläne. Dafür ist sie aber auch Arbeitgeberin. Die Assistenten sind bei T. angestellt, die Kosten trägt der Bezirk Oberbayern.
Personal zu finden wird immer schwierigerDoch für Betroffene ist es schwer, Personal zu finden. Das bestätigt auch der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Holger Kiesel: "Wir hatten noch nie ausreichend Assistenzkräfte." Auf entsprechenden Börsen gibt es meist deutlich mehr Gesuche als Angebote. Viele Assistenten sind Studierende oder Quereinsteiger, arbeiten nicht Vollzeit und steigen irgendwann aus dem Job aus.
Denn es ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, zu der auch Schichten am Wochenende, am Feiertag oder in der Nacht gehören - und sie ist oft anstrengend. "Ich habe viele Hebetätigkeiten, muss mich oft weit übers Bett beugen und mit Kraft arbeiten", erzählt Assistentin Sabine Weis.
Dass es wenig Assistenzen gibt, hat vor allem aber mit den Löhnen zu tun, vermutet Brigitte T. In teuren Städten wie München lohne sich der Job für viele nicht. Gerade qualifiziertes Personal würde zunehmend zu Pflegediensten abwandern, wo sie besser verdienen. Und durch Corona hat sich die Situation zusätzlich verschärft, aus Angst vor Ansteckung hören manche Assistenzkräfte auf. Für viele Betroffene bedeutet die Personalknappheit: Stress. Gerade kurzfristige Ausfälle ließen sich schwer kompensieren - etwa, wenn jemand krank wird.
Unterschiedlich viel Gehalt für Assistenzkräfte in BayernWie viel eine Assistenzkraft in Bayern verdient, ist unterschiedlich. Die Bezirke haben verschiedene Tarifmodelle. Außerdem gibt es einen Unterschied je nach Qualifikation. Das Beispiel Oberbayern: Dort liegt der Stundensatz etwa bei 13,04 Euro brutto für Laienhelfer, für Pflegekräfte 30 Cent mehr. Dazu kommen die Arbeitgeberanteile. Extra Zuschläge für Nacht-, Sonntags- oder Feiertagsarbeit gibt es in dem Bezirk nicht. Auf BR-Anfrage heißt es, diese seien schon in die Sätze einkalkuliert.
Die Stundensätze würden regelmäßig entsprechend der Tarifsteigerung angehoben. Sie liegen weit über dem gesetzlichen Mindestlohn und über dem Mindestlohn für qualifizierte Pflegehilfskräfte. Zudem könne man bei Personal-Problemen jederzeit ganz oder teilweise einen Pflege- oder Assistenzdienst beauftragen. Dieser muss sich dann bei einem Ausfall um Ersatz kümmern. Genau das will Brigitte T. aber nicht. Sie will ihr Personal selbst aussuchen und einlernen.
Sozialverband VdK spricht von bayernweitem ProblemDer Sozialverband VdK sieht die Personalknappheit als bayernweites Problem. Er kritisiert die unterschiedliche Bezahlung. "Eine einheitliche bayerische Regelung wäre sinnvoll", sagt Jan Gerspach - mit einem Zuschlag für Ballungsräume wie München. Die Argumentation des Bezirks Oberbayern überzeugt ihn nicht: Der Bezirk habe einen Sicherstellungsauftrag und könne sich nicht auf dem Argument ausruhen, man könne ja zu einem professionellen Dienst wechseln. Außerdem würden vielerorts in der Pflege Gehälter über dem Pflege-Mindestlohn bezahlt. Gerspach wünscht sich mehr Unterstützung der Bezirke bei der Suche nach Assistenzkräften.
Der Linken-Politiker Klaus Weber vermutet, der Bezirk Oberbayern wolle Menschen in Abhängigkeit von großen Leistungsträgern wie Pflegediensten bringen, mit denen sich leichter abrechnen lasse. "Die sind witzigerweise aber sehr viel teurer, als es die Assistenz ist. Der Bezirk müsste sogar mehr zahlen, aber er hätte weniger Arbeit und, denkt er, seine Ruhe vor den Menschen."
Bezirke sehen offenbar keine allzu großen SchwierigkeitenAuf BR-Anfrage schreibt der Bezirk Oberbayern, es seien zwar "in einzelnen Fällen" Probleme bei der Assistenz-Suche bekannt. Es beträfe aber vor allem Menschen mit 24-Stunden-Hilfsbedarf. Der Bezirk Oberpfalz gibt an, die Suche könne sich "im ländlichen Bereich durchaus schwierig gestalten". Unterstützung durch den Bezirk werde aber kaum nachgefragt.
Aus Mittelfranken heißt es, Probleme seien nur in Bezug auf qualifizierte Kräfte bekannt: "Speziell bei Menschen mit Autismus sind hier Schwierigkeiten häufiger." Und der Bezirk Unterfranken wird deutlich: "Es ist vom Gesetzgeber gewollt, dass der Leistungsberechtigte eigenständig das von ihm gewünschte Personal aussucht und anstellt. Ob und inwieweit sich im Einzelfall überhaupt geeignetes Personal finden lässt, liegt beim persönlichen Budget außerhalb des Regelungsbereiches des Leistungsträgers."
Behindertenbeauftragter: Es bräuchte Image-KampagneDer Behindertenbeauftragte Kiesel sieht zwar Möglichkeiten, sich über Vereine beraten zu lassen und über Assistenzbörsen Kräfte zu finden: "Aber die können natürlich kein Personal aus dem Boden stampfen." Neben einer besseren Bezahlung müsse der Beruf aufgewertet werden. "Man muss besser herausstellen, dass es keine Hilfsarbeitertätigkeiten sind - sondern sehr wertige, anspruchsvolle Tätigkeiten, die zum Teil viel pflegerisches und pädagogisches Gespür verlangen." Zudem sollte die Arbeit bekannter werden - auch das könnte mehr Menschen in den Job bringen.