Berührung, Nähe, Dasein: Wenn jemand schwer krank ist oder im Sterben liegt, ist das besonders wichtig - in der Coronazeit aber auch besonders schwierig, gilt doch Distanz als Gebot der Stunde. Wie wird man Menschen am Lebensende in einer Pandemie gerecht? Der Forschungsverbund "Palliativversorgung in Pandemiezeiten" hat in neun Monaten über 1.700 Betroffene, Akteure im Gesundheitssystem und in der Politik befragt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen aus palliativmedizinischen Einrichtungen von 13 Universitätsklinken, darunter München, Erlangen und Würzburg. In ihren Ergebnissen ist die Rede von schlimmen Erfahrungen - aber auch von würdevollen Lösungen für einen menschlichen Abschied.
Oft einsames SterbenViele Schwerkranke oder Sterbende litten in der Pandemie darunter, keinen oder nur wenig Besuch empfangen zu können. Bei manchen Betroffenen konnten Angehörige erst in der allerletzten Phase des Lebens am Krankenbett sein. Einigen war selbst dieser letzte Abschied nicht möglich, etwa weil der Tod zu plötzlich eintrat, zu spät von Ärzten erkannt wurde oder es am Wochenende zu wenig Personal gab, um die Familie zu benachrichtigen. Familienmitglieder waren deshalb oft Monate nach dem Tod des Patienten noch traumatisiert.
Besuchseinschränkungen oft strukturelles ProblemBei den Besuchseinschränkungen lag der Fehler oft im System, so die Forschenden. Es fehlte an Schutzausrüstung, an Rückzugsräumen oder Personal zur Einweisung der Besucher. Auch zum Kontakthalten mangelte es an Tablets oder stabilem Internet. Die Pflegekräfte hatten wegen der hohen Belastung oft keine Zeit, um bei der Technik zu helfen. Genaue Besuchskonzepte waren oft nicht Teil von Pandemieplänen, schwammig formuliert oder wurden nicht umgesetzt. Gerade infizierte Angehörige oder mehrere Personen (etwa Kinder) konnten deswegen oft nicht zu Besuch kommen.
So erreichten den Bayerischen Rundfunk viele Berichte von Angehörigen, die sich nicht verabschieden konnten. Auf Anfrage hieß es von Bayerns Gesundheitsministerium aber explizit: Die Begleitung Sterbender sei "jederzeit zu gewährleisten". Sie war explizit von der Ausgangssperre ausgenommen. Einschränkungen, wie lange der Besuch dauern darf und wie viele Angehörige zugelassen sind, gebe es nicht. Ebenso wenig gelte die Abstandspflicht.
Nationale Strategie für die Betreuung von SchwerkrankenDie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsverbundes haben nun Empfehlungen für eine würdevolle Sterbebegleitung veröffentlicht - als Strategie auch für künftige Pandemien. Die 33 Handlungsempfehlungen gliedern sich in drei Teile: Es geht darum, Patienten und Angehörigen zu helfen, Mitarbeiter zu unterstützen und die Angebote der Palliativversorgung aufrechtzuerhalten. Beim Verdacht auf eine nahende Sterbephase solle man Familienmitgliedern im Krankenhaus oder Pflegeheim möglichst früh den Besuch eines sterbenden Menschen erlauben - und zwar bevor eine Kommunikation nicht mehr möglich ist. Außerdem sollten mehrere nahe Angehörige zu Besuch kommen können, gemeinsam oder gestaffelt.
Gelüftete Zimmer und letzte GeburtstageAls positive Beispiele erwähnen die Wissenschaftler etwa Einzelzimmer mit guter Lüftungsmöglichkeit, dass getestete Angehörige bis zum Tod am Bett bleiben durften, auch über Nacht und dass sie Feste wie den letzten Geburtstag mit dem Sterbenden feiern konnten - draußen oder im kleinen Kreis. Bei hochinfektiösen Patienten könnte das Pflegepersonal Angehörige beim Besuch begleiten - so wären die Hygieneregeln eingehalten und niemand müsste nachher in Quarantäne. Um Angehörige telefonisch auf dem Laufenden zu halten, sollten Kliniken feste Ansprechpartner und Zeiten festlegen. Palliativstationen sollten auch in einer Pandemie nicht geschlossen werden.
Gute Beispiele: Von Onlineberatung bis TelefonseelsorgeDie Forschenden betonen: In vielen Einrichtungen gab es während der Coronakrise kreative, würdevolle Lösungen und Wege, um Schwerkranke und Sterbende zu begleiten. "Es ist uns zunehmend wichtig geworden, Best-Practice-Beispiele zu sammeln, die die Empfehlungen mit Leben füllen sollen", sagt die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein vom LMU Klinikum München, die das Projekt mit einem Kollegen aus Köln leitet, bei der Präsentation der Ergebnisse. Auf solche Projekte könnte man in zukünftigen Pandemien zurückgreifen. Etwa Seelsorger, die am Telefon zuhören, oder Freiwillige, die sich vor Stationen mit Angehörigen treffen, indem Palliativdienste ihr Wissen per Telefon- und Videosprechstunden teilen oder Pflegende in einer offenen Sprechstunde über Beschwerden reden können.
Der Forschungsverbund plant eine Infoplattform zum Thema und will Materialien entwickeln, um trauernde Angehörige, Pflegekräfte und Ärzte zu unterstützen.