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IN ALLER RUHE SPIELEN

Stille ist in der heutigen Zeit sehr ungewöhnlich. Von allen Seiten werden schon Kleinkinder mit Reizen überflutet. Nicht so im Waldkindergarten, dort dürfen die Kinder noch Kinder sein, ohne überflüssiges Plastikspielzeug, ganz im Einklang mit der Natur und ganz ohne Lärm.


Am Morgen treffen sich die Kinder im Waldkindergarten in Frauenau. Wenn die Erzieherinnen rufen, dann wissen sie genau, dass der Vormittag in der Natur beginnt. Alle versammeln sich zum Morgenkreis beim Adlerhorst, einem Sitzkreis zwischen den Bäumen. Fräulein Ingrid erklärt, was heute gemacht wird und beginnt mit dem täglichen Üben von Zahlen. Die Kinder sollen durchzählen, wie viele sie sind. So werden sie in der Natur ohne Tafel auf die Schule vorbereitet. Auch ein bisschen Rechnen ist dabei, was für die älteren Vorschulkinder kein Problem ist.


Feste Regeln sind wichtig


„Auf zum Bach, Frühlingsboten suchen!“, lautet der Auftrag von Erzieherin Ingrid Schürer für den heutigen Vormittag. Die Kleinen laufen los. Dabei sind Stürze über Äste und Wurzeln vorprogrammiert. Doch keines der Kinder tut sich weh, denn der weiche Waldboden federt alle Stolperer ab. Verletzungen gab es in den neun Jahren, in denen Ingrid Schürer Erzieherin im Waldkindergarten ist, nur sehr selten. „Es gibt bei uns nicht viele Regeln, aber die wenigen, die wir haben, sind sehr wichtig.“ Eine Regel lautet: Niemand rennt mit Stöcken herum. Denn solche findet man im Wald genug. Das heißt für die Kinder: Den Ast fallen lassen, loslaufen und bei Bedarf einen neuen aufheben. Die wohl größte Herausforderung für die Erzieher ist es, die ganze quirlige Schar im Blickfeld zu behalten. Deshalb die zweite wichtige Regel: Die Kinder bleiben in Hör- und Sichtweite der Erzieherinnen. Am Kollerbergl in Frauenau gab es in diesem Punkt noch keine großen Zwischenfälle.



In der Natur kennt die Fantasie keine Grenzen.

 


Ein Stück Holz kann alles sein


Die kleine Selina zeigt auf eine gelbe Blume und ruft: „Da ist ein Frühlingsbote! Das ist eine Sumpfdotterblume.“ Stolz blickt sie auf und wartet auf die Bestätigung der Erzieherin. Als sie auf einer Lichtung ankommen, dürfen die Kinder alleine spielen und nach Herzenslust herumtoben. Ein Kindergarten ohne Tür, Wände und Spielzeug fördert die Kreativität enorm. Das wird deutlich in den unterschiedlichen Rollen, die die Kinder beim Spielen einnehmen. Ganz ohne Spielzeug strotzen sie nur so voller Spiel-Ideen, Ein Stück Holz kann zu allem werden. „Ingrid, magst du ein Limo?“, sagt der dreijährige Max und reicht ihr ein Stöckchen. Bei Selina gibt es zum Kaffee einen Blumenkuchen und bei den Anderen stehen heute Nudeln mit Tomatensoße auf dem Speiseplan. Alles schön angerichtet mit kleinen Wurzeln, Gräsern und Steinchen. In der Natur kennt die Fantasie keine Grenzen.

 

 

In der Natur gibt es keinen Lärm


Das Ausleben des Bewegungsdranges sowie das bewusste Erleben der Natur stehen in dieser Art von Kindergarten im Vordergrund. Es gibt genügend Platz zum Kindsein. „Wenn ein Kind schlecht gelaunt ist und eine Stunde lang auf den Boden stampft, stört uns das keineswegs“, so die Erzieherin. In einem Regelkindergarten wird so ein Vorfall zum lauten Problem. In der Natur gibt es keinen Lärm. Lärm wird für die Waldkinder erst zur Qual, wenn sie zur Schule gehen. Auch an das Stillsitzen müssen sie sich dann erst einmal gewöhnen.


„Mein Kind ist viel gesünder“


Ramona Steiml, Mutter von zwei Kindern, ist vom Waldkindergarten begeistert. Ihre Tochter hat zuvor einen Regelkindergarten besucht und ist seit dem Wechsel in den Waldkindergarten viel zufriedener. „Sie ist seit dem auch gesünder“, sagt die Mutter. „Im Umgang mit der Natur ist die Kleine wesentlich aufmerksamer geworden und bastelt mit allen möglichen Naturprodukten.“ Ramona Steimls Sohn ist seit seinem ersten Lebensjahr für den Kindergarten angemeldet, denn die Plätze sind sehr begehrt. „Es gibt eine Warteliste“, erklärt Ingrid Schürer. Frauenauer Kinder werden in der Regel bevorzugt aufgenommen. In der Gemeinde verteilen sich die Sprösslinge so ziemlich gleich auf Regel- und Waldkindergarten.


Bauwagen als Schutzhütte


Als es zu regnen beginnt, ziehen die Kindergartenkinder ihre Kapuzen über den Kopf. Einige verziehen sich unter Bäume, die ihnen Schutz geben und andere spielen unbeirrt weiter. Der Bauwagen, der ihnen zur Verfügung steht, wird meist nur im Winter und bei ganz schlechter Witterung genutzt. „Eine große Herausforderung für die Betreuer ist es, dass man sich spontan auf alles einstellen muss. Das Wetter macht einem da oft einen Strich durch die Rechnung.“, so Schürer.

Am Ende des Tages treffen sich alle noch einmal zum Sitzkreis, um über den Tag zu sprechen und sich zu verabschieden. Dann werden die Kinder wieder von ihren Eltern abgeholt und freuen sich schon auf den nächsten Tag im Waldkindergarten.