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Interview

Win-win für alle Beteiligten

Um Diskriminierung entgegenzuwirken, braucht es mehr als Elternzeit Rückkehrer*innen eine Teilzeitstelle anzubieten. Damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt, berät und zertifiziert das audit berufundfamilie Unternehmen, Institutionen und Hochschulen.

Sie beraten seit über 20 Jahren zum Thema Work-Life-Balance. Was hat sich seit den Anfängen Ihrer Dienstleistung geändert, wie ist der heutige Stand aus Ihrer Sicht?

Oliver Schmitz: Themen, die heute aktuell sind, waren damals noch kein Thema – zum Beispiel die Elternzeit für Väter. Die Wichtigkeit einer Balance zwischen Beruf und Familie wurde erkannt, aber zwischen Erkenntnis und Handlung liegen häufig immer noch Welten. Natürlich würde heute kein*e Personaler*in sagen, dass sie*er eine
junge Frau aufgrund einer potenziellen Schwangerschaft oder Elternzeit nicht einstellt. Trotzdem ist diese Denkweise in den Hinterköpfen zum Teil noch verankert. Besonders problematisch wird es immer da, wo Projektarbeit mit Zeitverträgen stattfindet, zum Beispiel in der Wissenschaft und Forschung. Wenn die Gelder für drei Jahre genehmigt
wurden, und dann fällt ein Teammitglied die meiste Zeit davon aus, hat das ja direkten Einfluss auf den Projekterfolg. Auch Behörden sind nicht immer ein rosiges Beispiel, weil dort ebenfalls oft mit Zeitverträgen gearbeitet wird.

Gibt es auch positive Entwicklungen?

Bei Unternehmen ist im Zeitverlauf insgesamt eine deutliche Abnahme der Diskriminierung von (potenziellen) Müttern zu beobachten. Gründe dafür sind zum Beispiel der Fachkräftemangel, bessere Betreuungsangebote für kleine Kinder und der gesellschaftliche Wandel dahingehend, dass sich die Care-Arbeit auf mehreren Schultern verteilen darf. Mit dem Wandel kommt mehr Partnerschaftlichkeit, und in 20 Jahren ist die hoffentlich erreicht und kein so großes Thema wie heute mehr.

Berufseinstieg und das „richtige“ Alter zum Kinderkriegen fällt für viele Akademikerinnen zusammen. Unternehmen wiederum brauchen Planungssicherheit. Wie kann man dieses Spannungsfeld entzerren?

Als Führungskraft in einem Unternehmen braucht man ein passendes Portfolio
an Gestaltungsmaßnahmen für seine Mitarbeiter*innen, und man muss mit diesem Portfolio richtig umgehen können. Wenn keine Flexibilisierung für Arbeitsort und -zeit besteht, wird es problematisch. Besteht Gestaltungsfreiheit, kann man zum Beispiel familiäre Einschränkungen berücksichtigen. Ein solches Entgegenkommen ist nicht nur Gutmenschentum, sondern eine unternehmensstrategische Entscheidung: Studien belegen, dass solche Zugeständnisse finanzielle Vorteile für das Unternehmen bringen. Hohe Fehlzeiten, Fachkräftemangel und der Verlust von Mitarbeiter*innen kosten das Unternehmen Geld. Gibt es hingegen jährlich beispielsweise 300.000 Euro für familienbewusste Maßnahmen aus, spart es gleichzeitig 375.000 Euro ein und erwirtschaftet so eine Rendite von 25 Prozent.

Welche familienbewusste Maßnahme legen sie Unternehmen für
das Audit beispielsweise nahe?

Ein Problem für Akademikerinnen ist oft, dass sie in Teilzeit nur Stellen mit wenig Verantwortung und weniger qualifizierten Aufgaben angeboten bekommen. Das heißt, Ressourcen werden verschwendet, und das schlägt sich negativ auf den Arbeitsmarkt nieder. Ein Lösungsansatz könnte Job-Sharing sein. Das bedeutet, eine Führungsposition wird in zwei Teilzeit-Stellen aufgeteilt und deckt damit einen ganzen Arbeitstag ab. Das bedeutet auch, es gibt nicht nur einen Ansprechpartner für ein Sachgebiet, der möglicherweise kurzfristig ausfällt und dann nicht erreichbar ist, sondern immer eine adäquate Vertretung. Und in den seltensten Fällen ist es tatsächlich nötig, dass eine Führungskraft in Vollzeit anwesend sein muss – das ist halt in unseren Köpfen so verankert. Wenn der Laden läuft, obwohl nur 80 Prozent oder weniger Führung stattfinden, ist diese Abkömmlichkeit oft vor allem ein Problem für die Führungskraft selbst.

Wie viele Organisationen sind in Deutschland von Ihnen zertifiziert?

Derzeit sind es knapp 1.000 Organisationen, davon etwa die Hälfte Unternehmen und die andere Hälfte Institutionen und Hochschulen. Es sind zum Beispiel alle Bundesministerien und viele obere Bundesbehörden zertifiziert. Die meisten Zertifikatsträger kommen von sich aus auf uns zu, entweder, weil sie von der guten Sache überzeugt sind und / oder, um sich als Arbeitgeber attraktiver aufzustellen. Der öffentliche Dienst kann, was die Gehälter angeht, mit der freien Wirtschaft oft nicht konkurrieren und braucht deshalb andere Vorzüge. 1.000 Organisationen klingt zunächst nicht nach wahnsinnig viel, aber es wird ja ein gewisses Engagement erwartet, und das Audit kostet etwas, es stellt eine bewusste Investition dar und hat eine Verbindlichkeit – wenn alle mitmachen würden, wäre es kein Alleinstellungsmerkmal mehr.