Roman aus dem Boxring Schmerz, Spucke, Schweiß, Blut
Robert Prosser hat längst bewiesen, wie mitreißend er erzählen kann. Doch sein neuer Roman "Gemma Habibi" zerfasert - obwohl er grandios beschreibt, was nur schwer in Worte zu bringen ist: Kämpfen.
Elisa von Hof
Geschwindigkeit, Konzentration und Wucht. Darauf kommt es an, diese Trias ist alles, was zählt. Zumindest wenn Lorenz im Ring steht. Dann reißt das Boxen ihn mit. Wie in einem Sog treibt es ihn auf den Gegner zu. "Als würde ich in einen Fluss springen, der mich auf die Kante eines Wasserfalls zuschleudert, durch Stromschnellen, gegen Steinbrocken, ein Untertauchen, Fortreißen".
Und als sei das tatsächlich so, tänzeln seine Beine im Überlebensmodus auf dem federnden Untergrund, sind hier und dort und dabei so flink, dass sein Kumpel Z ihn bloß die Spinne nennt. Wie eine Spinne bewegt sich Lorenz allerdings auch durch sein Leben außerhalb der Boxarena, durch das Wien der Gegenwart. Dort spielt Robert Prossers dritter Roman, "Gemma Habibi". Leider reißt seinen Protagonisten dort kein solcher Strom wie im Ring mit sich. Und auch der Leser muss rudern, um dem Roman zu folgen. Prossers Erzählfluss ist manchmal eher ein stehendes Gewässer.
Dabei beginnt die Geschichte sozusagen an der Kante eines Wasserfalls, unmittelbar vor einem Kampf. Sein Trainer Simon reibt Lorenz' Schläfen mit Vaseline ein, versetzt mit Adrenalin. Damit das Blut gleich nicht so hinaus schießt, wenn er getroffen wird. Und er wird getroffen, nicht bloß in diesem Fight. Dennoch fühlt Lorenz sich nirgendwo so lebendig wie hier, zwischen den Seilen.
Uppercut, Körperhaken, Schritt zur Seite, Jab, Leberhaken, links rechts Gerade, Ducken, Zielen. Den Kampf übersetzt Prosser in einen atemlosen Tanz, jede Schrittfolge in einen zwischen Lippen hervor gestoßenen Livekommentar. Worte werden dem Leser entgegen gekeucht. Keine Zeit für Interpunktion, keine Zeit für ganze Sätze. Da sind nur noch Puls, Schmerz, Spucke, Schweiß, Blut. Prosser macht den Kampf fühlbar.
Dass der Österreicher ein einfühlsamer Erzähler ist, der Zeiten ineinander schmelzen und das Tempo der Erzählung wie ein Cutter an der Filmspule beliebig fix variieren kann, hat er bereits mit seinem letzten Buch bewiesen, "Phantome". Vor zwei Jahren landete der Roman über den Jugoslawienkrieg auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Auch in "Gemma Habibi" - einer Mischung aus österreichischem Dialekt und dem arabischen Wort für "Liebling" - gelingt es ihm, das Boxmilieu klug auszuleuchten. Aber leider wollte er mehr.
Ein "fulminantes Porträt der Jetztzeit" schaffen nämlich, heißt es im Klappentext. Deswegen hat Prosser seinen Helden nach Syrien geschickt und an den Wiener Hauptbahnhof, als dort 2015 Geflüchtete strandeten. Er hat ihn auch nach Ghana entsandt, um eine Vodoo-Zeremonie mitzumachen. Als Kommentar zu den Geschehnissen der Jetztzeit taugt das alles jedoch nicht: Lorenz scheint nur zufällig überall hineinzutappen.
So ist es Prossers Romanfigur auch mit dem Boxen gegangen. Eigentlich wollte der Anthropologiestudent nur für eine Feldstudie recherchieren und über "Jo's Boxclub" eine Hausarbeit schreiben. Thema: Integration von Menschen verschiedener Herkünfte in einem Verein. Aber schnell spielt die Uni keine große Rolle mehr in seinem Leben, das Boxen dafür umso mehr.
Dass dieses Geschehen an dem Leser abperlt, kann auch daran liegen, dass der Roman mal Coming-of-Age-Geschichte sein will, mal Reisebericht und manchmal eben auch Sozialreportage. Der Text tänzelt zwischen den Genres wie dessen Protagonist im Ring. Bloß halten die Seile ihn nicht zusammen. Oder es liegt an der merkwürdigen Liebesgeschichte zwischen Lorenz und der Fotografin Elena, die einen unangefasst lässt. Vielleicht, weil eine Unruhe ihre Glieder nie ruhen und ihren Zeigefinger fortwährend über den Auslöser zucken lässt. Vielleicht, weil sie sich genauso spinnenartig durch die Welt bewegt wie Lorenz. Zwischen ihnen entsteht eine Distanz, die sich nicht mit Liebe füllt. Und das überträgt sich auch auf den Leser.
Einzig mit Z verbindet Lorenz mehr als mit Elena: Die beiden haben sich vor Jahren in Syrien kennengelernt, vor Zs Flucht nach Europa, vor dem Kämpfen. Aber auch die Beziehung dieser beiden Charaktere bleibt vage. Prosser lässt seine Figuren in der Luft hängen, statt sie zu erden.
Dabei versucht er es zum Schluss dann doch noch: Rechtsextreme greifen Lorenz wegen seiner Freundschaft zu Z an. Dieser Kampf hat nichts mit denen im Ring zu tun. Die Gewalt, der er sich freiwillig aussetzt, schmeckt nach Rausch, die auf der Straße nur nach Angst. Lorenz fühlt: seine Verzweiflung über den Angriff und den Rassismus, der die Tat motivierte - und über all diese ekelhaften Typen, die auch im Boxmilieu unterwegs sind. Das wäre eine treffsichere Erzählung über die Gegenwart. Schade, dass der Roman sie vertänzelt.