Ingeborg-Bachmann-Preis
Der Berliner Schriftsteller Bov Bjerg hat mit seinem Roman „Auerhaus" einen Coup gelandet. Jetzt liest er beim Bachmann-Preis.
Elisa von Hof
Berlin. Eigentlich will er nicht. Dieses Gespräch, den Artikel und das Foto. Und die ganze Aufmerksamkeit. Es ist halt so, schreibt er vor dem Treffen, wie ein einziger, langer Seufzer in E-Mail-Form: Einerseits freue er sich ja, dass man ihn interviewen wolle. Andererseits sei in den vergangenen Jahren so viel über ihn geschrieben worden, dass er sich fragt: Warum immer er? „Warum scheißt der Teufel immer auf den größten Haufen?" Der größte Haufen, das ist der Berliner Schriftsteller Bov Bjerg. Und er schreibt so gut, dass der Teufel nicht genug von ihm kriegt.
Mit „Auerhaus" ist ihm vor drei Jahren ein Coup gelungen. Der Roman über eine Wohngemeinschaft von Schülern, die ihren suizidalen Kumpel retten wollen, vor der Welt, aber auch vor sich selbst, krallt sich auf der Bestsellerliste fest. Mehr noch: ist in einigen Buchhandlungen vergriffen, wird auf Theaterbühnen gehievt, soll ins Kino kommen. Macht Bjerg zum größten Haufen. Und der ist nun eingeladen - auch das noch - beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt zu lesen. Also auf der Bühne für deutschsprachige Nachwuchsautoren, von denen man noch hören wird. Bloß hat man von ihm ja schon gehört. Deswegen wollen wir ihn ja treffen. Deswegen fragt sich der Berliner: Warum immer ich?
Dass Bjerg sich das laut fragt - auch beim Treffen, das dann doch noch klappt -, das ist keine Koketterie. Er schlägt Kolleginnen und Kollegen vor, die man doch auch mal zeigen könnte. Bjerg will, dass alle etwas von der Aufmerksamkeit abbekommen, die der Teufel da immer über ihn ergießt. Vielleicht, weil er das Rampenlicht nicht sucht. Vielleicht auch weil er weiß, wie es sich anfühlt, wenn sich nicht so viele Leser für seine Kunst interessieren. Und der Teufel schon gar nicht. So wie vor zehn Jahren, vor „Auerhaus" und den Interviews. Da bewirbt sich Bjerg schon mal mit einem Text in Klagenfurt. Und wird nicht zum Vorlesen eingeladen. „Das war frustrierend", sagt er und schaut sich um in Prenzlauer Berg, wo er wohnt. Nie wieder würde er sich mit einem Text bewerben, das ist ihm danach klar, ohne ganz davon überzeugt zu sein, dass er gut ist. Nach „Auerhaus" will der Wettbewerb ihn dann lesen lassen, klar. Aber jetzt lehnt Bjerg ab. Mehrmals. „Ich wollte auf keinen Fall wieder so eine Watsche kassieren", sagt er. Nein, er will eine neue Geschichte erst an die Luft lassen und an das Publikum in Klagenfurt wohl auch, wenn sie fertig ist. So wie jetzt. Denn als Juror Klaus Kastberger ihn dieses Jahr zum Wettlesen bittet, sagt er zu. Obwohl er kein Newcomer mehr ist. Oder vielleicht deswegen.
„Vor dem Lesen bin ich wahnsinnig aufgeregt", sagt er. Dabei ist Bjerg kein Neuling, wenn es um das Lesen vor Publikum geht. Nicht, weil er dutzendfach aus „Auerhaus" gelesen hat, von Frieder und Höppner, Cäcilia und Vera und ihrer Freundschaft, die selbst der Tod nicht kleinkriegt. Sondern weil das mit Literatur nicht mit dem Schreiben von langer Prosa begonnen hat, sondern auf der Lesebühne. 1989 gründet er in Berlin die erste mit Kumpels, dem heute populären Kabarettisten und Schriftsteller Horst Evers und dem Liedermacher Manfred Maurenbrecher. Und das kommt an. Es folgen weitere Bühnen, das „Mittwochsfazit" zum Beispiel und die „Reformbühne Heim & Welt". Bjerg, Evers, Maurenbrecher und andere Autoren lesen in besetzten Häusern und überall da, wo man sie lässt. Oder ihnen zuhört.
„Bei uns ging etwas, das auf anderen Lesebühnen nicht gegangen wäre. Wir haben uns große Freiheiten gegeben. Wenn einer von uns etwas ausprobieren wollte, dann haben die anderen ihn getragen", sagt er. Bis Bjerg etwas ausprobieren will, das über die Bühne hinausgeht. Weil es sie sprengt. Weil es nicht auf den schnellen Lacher setzt, dem das Kabarett hinterherjagen muss. „Ich wollte nicht mehr nur meinen Alltag und das politische Tagesgeschäft auf Jokes abklopfen, sondern wollte in eine andere Richtung gehen", sagt er. Deswegen beginnt er, literarisches Schreiben in Leipzig zu studieren. Und Prosa zu schreiben. Sein Debüt, „Deadline", hat es nicht nach Klagenfurt geschafft. Auf die Bestsellerliste auch nicht. Seit eine große Marge in einem Lagerhaus in der Nähe von Leipzig abgebrannt ist, kann man es im Internet gebraucht für etwa 130 Euro erstehen. Was damals unpopulär war, ist jetzt eine Rarität.
Die Lesebühnen, sagt er, vermisst er nicht. Wenn, dann die alte Truppe und das Zusammensein. Jeder, der schon mal an einem längeren Text gesessen und Buchstaben über das Papier geschubst hat, der weiß: Schreiben macht einsam. Vor allem Perfektionisten wie Bjerg. Jedes Jahr steigen sie wohl deshalb mit der alten Leseclique wieder auf die Bühne, wenn auch für kurze Zeit: Immer um Silvester zeigen Bjerg und seine Kollegen den „Kabarettistischen Jahresrückblick", der es mittlerweile zur Institution im Berliner Bühnenwinter gebracht hat. „Wenn du vorliest, sind die Reaktionen der Zuschauer ein Teil des Lohns dafür, dass du deine Angst überwunden hast", sagt er. „Auch wenn ich das jetzt schon seit Jahrzehnten mache, bin ich jedes Mal so angespannt und aufgeregt, als würde ich es das erste Mal machen", sagt er. Ein bisschen also wie in Klagenfurt.
Auch hier weiß er natürlich nicht, wie sein Text bei den Juroren ankommt. Verraten will er über ihn noch nichts. Dafür sei er zu abergläubig. Außerdem entscheidet nicht bloß der Text, wer gewinnt, sondern die Performance beim Lesen, also der Überraschungsmoment. Das weiß man nicht erst, seit sich Rainald Goetz vor 35 Jahren beim Lesen die Stirn aufschlitzte, das Blut sich mit seinen Worten vermischte. Man darf nicht berechenbar sein. Vielleicht hat Bjerg deswegen etwas eingereicht, das mit „Auerhaus" gar nichts zu tun hat. „Ein Text", so viel verrät er dann doch, „der andere Qualitäten hat". Bloß eine wird er hoffentlich nicht fort geschrieben haben: den Bjerg-Sound, diese Mischung aus Melancholie und liebevollem Zynismus, aus dem sich die Pointen des Kabaretts hervorkämpfen, ohne mit dem Applaus zu verpuffen.
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