Nach dem Tod ihres Ehemanns kehrt Pop-Diva Céline Dion auf die Berliner Bühne zurück und spielt zwei ausverkaufte Konzerte.
Elisa von Hof
Zuerst ist da nur diese Stimme in der Dunkelheit, klar, fast zu sehr, und unverwechselbar. Kaum wirft der Scheinwerfer einen ersten Lichtkegel auf ihre blonden Haare, kriecht langsam hinunter zu Gesicht und Hals, lässt ihre Glitzerjacke glühen, tobt die Halle. Nach wenigen Sekunden stehen alle Zuschauer der ausverkauften Mercedes-Benz Arena. Alles bloß für sie, für die letzte Pop-Diva, für Céline Dion, die am Sonntagabend die erste ihrer zwei Deutschlandshows in Berlin gespielt hat. Die zweite wird am Montag stattfinden, auch in Berlin - weil sie sich hier so wohl fühlt, wie sie sagt.
Die Standing Ovations, mit denen Dion gleich während der ersten Zeilen von "Power of Love" empfangen wird, dieser tränenseligen Ballade von 1993, die sind keine Vorschusslorbeeren. Die sind ein Danke - dass sie an diesem Abend überhaupt hier ist. Dion stand zum letzten Mal vor mehr als acht Jahren in Berlin auf der Bühne, denn in der vergangenen Zeit widmete sie sich mehr ihrer Familie als dem großen Auftritt: Vor eineinhalb Jahren starb ihr Ehemann und Manager René Angélil an Krebs, wenige Tage später auch einer ihrer älteren Brüder. "Man muss immer wieder aufstehen und versuchen, stark zu sein", sagt Dion zwischen zwei Liedern. Vielleicht ist sie deswegen nun hier, immer eine Faust in die Höhe gereckt und das Kinn nach vorn.
"Wie geht es euch, Berlin?", ruft Dion und grinst. Hier in Berlin zu spielen, das sei ihr wichtig gewesen. Denn sie liebe die Stadt, das Einkaufen im KaDeWe, die freundlichen Menschen, und, ja, das vor allem, die wunderbaren Nürnberger Würstchen, die sie hier immer isst. Von deren Geschmack hat sie sogar ihre Mutter, die eigentlich Vegetarierin sei, überzeugt. Solche Anekdoten zu erzählen, zwischen zwei Liebesliedern und einer Tanzeinlage, das macht ihr Spaß. "Ich liebe singen", sagt sie, "aber ich liebe es auch, zu sprechen." Dion ist das Jüngste von vierzehn Geschwistern. Sich da zu Wort zu melden, ist wohl nicht einfach gewesen. "Wenn ich also ein Mikrofon in der Hand habe, dann rede ich auch", sagt sie und lacht, dass kleine Fältchen ihre grünbraunen Augen rahmen.
Gleich zu Beginn geht es zurück in die 90er-Jahre, dahin, wo ihre Weltkarriere begann. Dass es einige Jahre her ist, seit Dion von ihren Hits bis in die Chartspitze katapultiert wurde, das merkt man an diesem Abend nicht. Auch wer glücklich darüber ist, dass die 90er vorbei sind, mit ihnen auch die Ära der sentimentalen Pop-Balladen und ihrer Diven, Mariah Carrey, Whitney Houston und eben Dion, der kann sich nicht wehren gegen die Gänsehaut, die ein Ton von Dion provoziert - beim Stück "All by myself" zum Beispiel, diesem ungestümen Kampf gegen das Alleinsein. Da klettert Dions Stimme mühelos Oktaven hinauf, kostet jeden Ton, während sie die Arme ausbreitet, als wolle sie wirklich die Einsamkeit vertreiben. So wie in den vergangenen Monaten.
Jede Silbe sitzt in dieser Show und jede Bewegung. Dion ist Vollprofi, das machen Songs und Kostümwechsel - Dion begeistert sich für Haute Couture - deutlich. Die Kanadierin steht auf der Bühne, seit sie dreizehn ist, sang zuerst in ihrer Muttersprache, Französisch, und dann, später erst, auf Englisch. Sie ist in Kanada bereits ein Star, ehe sie mit dem Gewinn des Eurovision Songcontests und ersten, englischen Stücken weltweit Platten verkauft. Über 230 Millionen sind es bis heute.
Dass man auch jetzt noch, zwanzig Jahre nach ihrem größten Hit, dem "Titanic"-Titelsong "My heart will go on", zu ihren Shows kommt, das mache sie sehr glücklich, sagt Dion, schaut ins Publikum, das wieder steht, klatscht, Liebesschwüre schreit, und wischt sich eine Träne aus dem Auge. Das vergangene Jahr war, klar, eine schwierige Zeit für die dreifache Mutter. Nach dem Tod ihres Mannes habe sie nicht gewusst, ob sie singen soll oder nicht, weinen oder stark sein.
Geholfen habe ihr das Geschenk von Sängerin Pink, sagt sie. Denn die hat Dion ein Lied geschrieben, "Recovering", in dessen Zeilen sich Dion nun einhüllt wie in einen großen Mantel. Jeden Tag gehe es ihr ein bisschen besser, singt sie, Stück für Stück komme der Lebensmut zurück. Und wenn die 49-Jährige in Highheels und Glitzer-Outfit über die Bühne schreitet, so wie jetzt, die blonden Haare über die Schulter schwingt und der Band zuzwinkert, da wirkt sie nicht bloß um Jahre verjüngt. Da scheint Dion so frei und unbeschwert, als hätte das Stück tatsächlich ihren Schmerz gelindert.
Sowieso singt Dion an diesem Abend zwar für die 12.000 Zuschauer in der Arena, für die tanzt sie sogar in einem transparenten Overall, sie singt aber auch ein bisschen für sich. Oden ans Aufstehen und Weitermachen und Stark sein wie "I'm alive", mit dem sie 2002 ein kleines Pop-Comeback feierte, "My heart will go on" oder Queens "The show must go on" reihen sich wie die Perlen einer Kette aneinander. Dion will weitermachen, die Show soll weitergehen.
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