Die Berliner Regisseurin hat ein Stück über „10 Gebote" konzipiert. Für sie ist das dritte am wichtigsten - um Pause zu machen.
Elisa von Hof
Sie ist mit Preisen dekoriert, für Shakespeares "Romeo und Julia" zum Beispiel, für ihren "Don Carlos" auch. Die Regisseurin Jette Steckel gilt als weiblicher Shootingstar der Theaterszene. Für ihr neues Stück "10 Gebote" im Deutschen Theater hat sie sich mit 13 Autoren und Musikern die Zehn Gebote der Bibel vorgeknöpft. Vor der Premiere am heutigen Sonnabend haben wir mit der Regisseurin gesprochen.
Jette Steckel: Nö, man muss gar nichts. Aber unsere Kultur wird gerade in Frage gestellt, zum Beispiel von einer kleinen Splittergruppe, die sehr gewaltvoll vorgeht und sich IS nennt. Orte, an denen wir leben, werden angegriffen. Und deswegen habe ich mich gefragt, welche Haltung oder welchen Ethos wir abstrahlen. Ob wir diesen abstrahlen wollen. Ob man da überhaupt noch von einem "wir" sprechen kann.
Wir kommen zu keinem Fazit. Solange ein Stück gespielt wird, ist Theater eben ein Prozess. Und hier merkt man, dass es so viele Haltungen wie Menschen gibt.
Einem Glauben zu folgen. Ich selber tue das aber nicht, ich bin nicht kirchlich geprägt oder groß geworden. Zwar trage ich eine Form des Glaubens in mir, aber der ist nicht christlich definiert.
Es gibt ja keinen Konsens mehr im christlichen Glauben im Sinne von: "Das ist unsere Religion, und der folgen wir alle." Wir, die in Deutschland aufgewachsen sind, wurden eher indirekt davon geprägt. Das hat letztlich auch damit zu tun, dass die Zehn Gebote in unsere Verfassung eingeflossen sind. Auf Grundsätze wie "Du sollst nicht töten", "Du sollst nicht stehlen" und "Du sollst nicht lügen" konnten wir uns einigen. Aber es ist auch so, dass wir eigentlich nichts davon befolgen.
Ja, das wirkt überholt, weil man heute in so vielen anderen Formen zusammenleben kann. Aber auch "Du sollst nicht töten" sollte man als Waffenexporteur lieber stecken lassen.
Da kommt es also auch auf die Moral an.Sollte denn das Theater wieder stärker eine moralische Anstalt sein?
Glaube ich nicht. Kommt darauf an, wie man den Begriff versteht. Wir sind ja auch nicht durch die eine Moral zusammenzufassen. Ich glaube, das Theater sollte eher ein moralfreier Raum sein. Also der Ort, der offenbart, was passiert, wenn man amoralisch wird.
In Hamburg haben Sie im Herbst "Die Zauberflöte" inszeniert. Dafür wurden sie auch kritisiert, weil sie Mozarts Oper veralbert hätten. Lässt Sie das kalt?
Nein, jede Kritik macht etwas mit einem, das ist normal. Ich habe immer auch schlechte Kritiken.
Diese Stück hat mit Veralberung gar nichts zu tun. Die Texte sind eher Denkanstöße. Ich habe auch "Die Zauberflöte" sehr ernst genommen.
Im Gegenteil. Ich glaube, es gibt keinen größeren zu erobernden Raum für die Menschen. Mein eigenes Bedürfnis schließe ich jetzt mal mit dem anderer kurz: Es muss nicht immer alles zweck-, effizienz- und damit marktorientiert sein. Man braucht auch mal einen Punkt, an dem man bloß dem folgt, was kommt, und eben mal nichts erwirtschaftet. Wir werden blind, wenn wir immer dem Geld und dem Ertrag folgen und gar nicht mehr darüber nachdenken, warum, wofür, wozu.
Ja, oder ins Bett zum Träumen, das ist ja ein ähnlicher Raum. Es muss die Möglichkeit geben zu reflektieren. Übrigens, mein Lieblingsgebot: "Du sollst den Feiertag heiligen." Die Pause. Theater ist ein Ort, an dem man ungebunden über Dinge diskutieren kann, die sonst an ein Ergebnis gekoppelt sind. Das ist der Grund, warum man kulturelle Orte schützen muss, es sind gesellschaftliche Seismographen.
Bei der Arbeit an "10 Gebote" ist es so: Da sind Texte entstanden, die konkret auf politische aktuelle Themen anspielen. Aber ich kann Theater generell nicht unpolitisch denken, denn da ist immer ein Mensch, der sich mit seiner Gegenwart auseinandersetzt. Selbst wenn er heute einen alten Text spricht, ist das ja politisch. Gerade das Fremde, Nicht-Konkrete und Nicht-Aktuelle birgt ja eine Chance im Theater.
Nein, für mich entsteht der Kern aus vielen unterschiedlichen Geschichten, die den Zuschauer auf sich selbst zurückwerfen. Wenn man zu einem Thema viele Perspektiven zur Kenntnis nimmt, findet man dadurch einen eigenen Standpunkt. Und je mehr Perspektiven wir sehen, desto genauer können wir unseren eigenen Standpunkt definieren. So kann man sich auch abstoßen. Der Kern ist für mich diese Wirkung.
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