Der Debütroman „Die Punkte nach dem Schlussstrich" der Berlinerin Laura Lackmann erzählt von Luzy und ihrem gewaltigen Problem. Männer.
Elisa von Hof
Kaputte Mädchen haben es ihr angetan. Mit denen kennt sie sich aus. Die Berlinerin Laura Lackmann hat in diesem Jahr gleich zwei Debüts: im Kino - dahin brachte sie die Verfilmung von Sarah Kuttners Bestseller "Mängelexemplar" - und jetzt als Schriftstellerin. Heute erscheint ihr erster Roman.
Den könnte man, wäre man nicht so kreativ wie Lackmann, die ihren Erstling "Die Punkte nach dem Schlussstrich" nennt, ebenfalls mit "Mängelexemplar" betiteln. Davon handelt er nämlich. Er setzt der titelgebenden Heldin aus Kuttners Romanvorlage noch eines drauf. Viel verkorkster als Luzy geht eigentlich nicht.
Die Ich-Erzählerin Luzy hat ein Problem. Männer. Ohne geht nicht, mit aber auch nicht. Denn "ein Leben ohne Freund führt zu Voldemort im Herzen". Damit es so weit nicht kommt, bricht sie ihrem Freund Jonas, als er sich trennen will, kurzerhand den Arm. Denn, klar, "wenn Gefühle schon einfach in einen reinrauschen, dann ist es nur gut, wenn sie wenigstens eindeutig geäußert werden. Man will ja verstanden werden."
Das ist ausnahmsweise mal nicht ihr Problem. Luzy versteht man sofort. Ihren Hunger nach Liebe, ihre Sucht nach Zuneigung, die masochistische Lust an der Selbstaufgabe. Seit 15 Jahren führt sie ein Theaterstück auf, eine echte One-Woman-Show. Sie wechselt die Identitäten wie andere die Unterhose, um ihren jeweiligen Mann zu halten. Ist er Musiker, interessiert sie sich für Musik, ist er Fotograf, schießt sie Fotos, ist er Schnapskenner, will sie selbst welchen brennen. Luzy ist eine Berufsfreundin.
Und da sie elternseits sehr reich ist, muss sie auch nicht arbeiten. Sie ist eine leere Hülle. "Ich habe keine Hobbys, keine Interessen, keine Meinung." Wer da genervt seufzt, weil Luzy ein Geschlechterklischee verkörpert, das schon vor 100 Jahren antiquiert, chauvinistisch und überhaupt so diskriminierend war, dass es jetzt unmöglich von einem Frauenhirn wieder aufgewärmt worden sein kann, der möge den erhobenen Zeigefinger gleich wieder einfahren. Denn Luzy weiß das alles selbst. "Ich ekele mich selber an", ist im Roman zu lesen.
Ihr geht es nicht anders als Bill Murray und dem Murmeltier: Sie weiß genau, was geschehen wird, hat es unzählige Male mitgemacht, und es passiert wieder und wieder und wieder. Sie kann nicht loslassen, hält auch tote Beziehungen durch Stalken aufrecht: "Ich bin die Christiane F. der Beziehungen. Ich komme nicht los." Murray kann seinen fürchterlichen Kreislauf irgendwann durchbrechen. Luzy nicht.
Wie in Zeitlupe muss der Leser ihr stetiges Scheitern am Leben beobachten. Über 319 Seiten verwandelt man sich in einen Voyeur, der Luzys Memoiren mit ein wenig Ekel und Scham verfolgt. Die beginnen mit ihrer verhunzten Kindheit. Da gibt es einen ausgestiegenen Pornostar als Mutter und einen lebensmüden Maler als Vater, die nach ihrer Trennung eine Mauer durch ihr Haus ziehen und Luzy in den Keller verfrachten. Natürlich braucht der Leser kein Psychologiediplom, um dahinterzukommen, dass da eine Menge schiefgelaufen ist.
Lackmanns Sprache ist zynisch, derb, zersetzt von Jugendslang und der nüchternen Perspektive ihrer Protagonistin, einer echten Misanthropin. Sie betrachtet die Welt auf eine sehr eigene Art, ihre klugen Beobachtungen lassen einen oft laut auflachen. Jeder bekommt da sein Fett weg, allen voran Berlin. Das "Soho House" zum Beispiel, auch nur "eine andere Art Jugendherberge", denn "ein armes reiches, peinliches Schwein soll es auch schön haben dürfen".
Zwar schreckt Lackmann vor keiner bissigen Bemerkung zurück. Sie legt Luzy aber auch wunderbare Metaphern in den Mund - "Ich bin eine Zecke, die lieber ein Schmetterling wär". Lackmann spielt mit Sprache wie mit den Sympathien der Leser. Mal ist man ganz sicher, dass man die (Anti-)Heldin mag, mal findet man sie peinlich. Am unangenehmsten wird es, wenn man sich selbst in ihrer Verrücktheit wiedererkennt.
Lackmann, Jahrgang 1979, hat wohl einen Faible für Frauen kurz vor der Zwangseinweisung. Vielleicht hat sie das durch die Arbeit am Drehbuch von Kuttners "Mängelexemplar" entwickelt, vielleicht als sie dabei Regie führte. Auch bei Kuttner kämpft eine Mittdreißigerin, Karo, mit Angstattacken, Depressionen, gescheiterten Beziehungen - vor allem mit der zu ihrer Mutter.
Karo und Luzy haben also nicht nur beide zweisilbige Vornamen, sie sind Zwillinge im Geiste. Sie erzählen von einer Generation, die nicht so recht weiß, was sie mit sich anfangen soll. Nicht so politisch wie die 68er, nicht so grün wie die frühen 80er, nicht so hart am Raven wie die 90er.
Die heute 20- bis 40-Jährigen, optimistisch als "Generation Y" ausgerufen, drehen sich vor allem um sich selbst, zeigen aktuelle Romane. Klar, das taten andere auch schon. Was Lackmanns Luzy-Roman aber demonstriert: Man weiß darum. Dass man an der Mitwisserschaft um den eigenen Narzissmus erkrankt, die eigene Beziehungsunfähigkeit feiert. Dass man sich darin verliert.
Wie das momentan auch der Berliner Michael Nast in seinem Bestseller "Generation Beziehungsunfähig" (Nummer eins der Spiegelliste, mehrere Auflagen, ausverkaufte Lesungen) propagiert. Oder Ronja von Rönne in ihrem klugen Romandebüt "Wir kommen". Die Liste ließe sich fortsetzen. Eine ganze Generation legt sich vor den Leser auf die Couch.
Es hilft nichts. Die Suche nach dem eigenen Glück wird pathologisch. Und wenn man es gefunden hat, treibt es einen weiter. Wie Luzy. Es sind "die Punkte nach dem Schlussstrich", die keine Ruhe lassen. Lackmann hat das klar erkannt. Und genau das wird zum Problem ihres Romans.
Zum Schluss geht ihm die Puste aus. Und dem Leser auch. Denn trotz Sprachwitz und der clever, fast filmisch inspirierten Dramaturgie der Geschichte wird Luzys Kampf mit sich und den Männern, ihren Eltern und der Welt zum Ende hin ermüdend. Das Buch darf aber auch kein Ende finden. Das widerspräche seinem Titel.
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