Der Rundgang an diesem Wochenende ermöglicht Einblicke in das Schaffen der jungen Kunstschaffenden.
Wer die Städelschule betritt, merkt sofort: Dieser Ort steckt voller Kunst. An jeder noch so kleinen Ecke hat sie ihre Spuren hinterlassen - an den Wänden, auf dem Boden, in den Mülltonnen vor dem Haus. Die Kunst zieht sich wie ein roter Faden durch das verwinkelte Gebäude, sie ist an den Treppengeländern, im Innenhof, ja sogar auf den Toiletten. Doch am deutlichsten zeigt sie sich im Gespräch mit den Studierenden, die die Städelschule zu dem machen, was sie ist: eine der angesehensten Kunsthochschulen weltweit. Rund 150 junge Menschen lernen aktuell an der Hochschule, verteilt auf die Studiengänge Freie Bildende Kunst und Curational Studies. Viele von ihnen stammen aus dem Ausland, aus Südkorea, Kanada, Ghana oder Italien.
An diesem Freitag haben die Studierenden zu einem Rundgang eingeladen, um ihre Arbeiten der Öffentlichkeit vorzustellen. Einmal jährlich findet die Ausstellung statt, zuletzt musste sie wegen der Corona-Pandemie pausieren. Umso glücklicher stimme es sie, dass nun wieder ein Besuch in der Schule möglich sei, betont Rektorin Yasmil Raymond in ihrer Begrüßungsrede. Auch den Studierenden sieht man die Freude über die Veranstaltung an. Für viele ist der Rundgang eine der ersten Möglichkeiten, ihre Kunst vor Publikum zu präsentieren.
Elisaveta Braslavskaja hingegen gehört als Mitglied des letzten Jahrgangs bereits zu den erfahrenen Studierenden an der Städelschule. In den vergangenen fünf Jahren hat sie in der Frankfurter Kunstszene wichtige Erfahrungen sammeln können. Unter anderem waren Teile ihrer Arbeit im Auktionshaus Sotheby's zu sehen - ein großer Erfolg für die junge Künstlerin. Für den heutigen Rundgang hat Braslavskaja drei Kunstwerke zusammengestellt, die sich mit dem Thema Schmuck und Zierde beschäftigen. Bunte Stickereien treffen dabei auf filigrane Siebdrucke und Aquarelle, welche lediglich durch die verwendeten Fäden zusammengehalten werden. „Ornamente wurden in der Kunst lange Zeit kritisiert", erzählt die Studentin. In den Kulturen ihrer Eltern, der russischen und der iranischen, spielten die scheinbar überflüssigen Dekorationselemente jedoch eine wichtige Rolle. Das habe sie dazu bewegt, sich genauer mit ihnen auseinanderzusetzen und mit Hilfe traditioneller Techniken eigene, zweckentfremdete Ornamente zu erschaffen.
Am Samstag, 19. Februar, und Sonntag, 20 Februar, besteht erneut die Möglichkeit, am Rundgang der Städelschule teilzunehmen. Die Ausstellung ist jeweils von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Zwischen den zwei Standorten (Dürerstraße 10 und Daimlerstraße 32) verkehrt alle zwei Stunden ein kostenloser Shuttlebus. Außerdem gibt es ein Angebot im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum. Dort werden längere filmische Arbeiten der Studierenden präsentiert. Besucher:innen müssen vorab für jeden Standort ein zweistündiges Zeitfenster-Ticket buchen. Möglich ist dies via Internet unter staedelschule.de/de/calendar/rundgang-2022 Die Veranstaltung wird unter Einhaltung der 2G+-Regeln durchgeführt. Wer nicht geboostert ist, braucht einen tagesaktuellen Schnelltest. Zudem gilt in allen Gebäuden die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske. FR
Elisaveta Braslavskaja ist bei weitem nicht die einzige Künstlerin, die sich von landestypischen Denkweisen hat inspirieren lassen. Im Mittelpunkt der Arbeiten des Schweizers David Moser stehen die Normen Europas: Auf vier Blankopapieren im Format A4 hat der Student biometrische Passbilder angebracht. Die Werke hängen auf einer Höhe von 1,10 Meter, was der europäischen Norm für Lichtschalter entspricht. Weiter unten, 30 Zentimeter über dem Boden, verläuft ein grüner Laser - hier werden üblicherweise Steckdosen installiert. Ein Aspekt des Kunstwerks jedoch durchbricht die Standardisierung: Die Personen auf den Passfotos, der Künstler, seine Mutter und sein Vater, tragen Sonnenbrillen. Damit widersetzen sie sich den gängigen Ansprüchen und betonen Moser zufolge die zentralen Themen seiner Arbeit: Ideologie, Subjektivierung und Macht.
Neben Gemälden und Skulpturen sind in den Ateliers der Städelschule auch Sound- und Videoinstallationen zu sehen. Eine von ihnen stammt von Tomás Maglione. Auf ungewöhnliche Art und Weise hat der Student Menschen porträtiert, die am Bahnhof auf einen Zug warten. Seine Kamera richtete er dazu auf vorbeifahrende Schnellzüge, in deren Fenstern sich die Personen spiegelten. Laute, schnelllebige und leicht chaotische Clips sind das Ergebnis des Projekts.
Im benachbarten Atelier lässt sich eine handwerkliche Höchstleistung bestaunen. Aus unterschiedlichsten Materialien hat Béla Feldberg eine Art Haus konstruiert, mit Fenstern, Fliesen und einer Eingangstür. Es ist hellgrau gestrichen und wirkt düster und verlassen. Feldberg möchte mit seiner Arbeit eine „zeitgenössische Dystopie" erschaffen, die eine Schnittstelle zu den Darstellungen der Popkultur bietet. „In den letzten zwei Jahren hat sich die Welt sehr dystopisch angefühlt", erzählt der Student, „aber sie sieht nicht so aus, wie wir es beispielsweise aus Filmen kennen."
Mit einem Shuttlebus gelangen die Besucher:innen zum zweiten Standort des Rundgangs, den Ateliers an der Daimlerstraße 32. Hier hat unter anderem Juliet Carpenter Position bezogen, mit ihrem Roadmovie „Ego-Lane", das die Künstlerin auf die Frontscheibe ihres Autos projiziert. Es handelt von einer Frau, deren selbstfahrendes Auto nach ihrem Tod weiter durch die Gegend fährt. „Ego-Lane" ist der Name einer Software, die für die Weiterentwicklung solcher Fahrzeuge genutzt wird. Mit ihrem Film wolle sie „den Tod algorithmieren", erklärt Carpenter. Die Arbeit daran sei „eine ihrer aufregendsten Erfahrungen als Künstlerin" gewesen.
Im Obergeschoss der Daimlerstraße gibt es weitere Filme zu sehen. Gabbi Cattani präsentiert Aufzeichnungen seiner Performance „Ersatz", einer künstlerischen Nacherzählung des Buchs „Impressions of Africa", und Paul Haas zeigt in „Mechanics of Living" verschiedene Charaktere in einem modernen Musterhaus. So unterschiedlich die Studierenden der Städelschule sind, so vielfältig und divers sind auch ihre Arbeiten. Doch eines ist klar: Um die künstlerische Zukunft der Stadt Frankfurt muss sich nach diesem Freitagmorgen niemand mehr Sorgen machen.
Original