Manche Eltern scheitern an einem zu hohen Anspruch an sich selbst. Der Kinder- und Jugendpsychiater Oliver Dierssen will ihnen den Druck nehmen.
Psychische Auffälligkeiten haben bei Kindern und Jugendlichen stark zugenommen. Wie ist die Situation in Ihrer Praxis?
Die Situation im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie ist dramatisch, so wie in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung. Es fehlt vor allem an Therapieplätzen. Viele warten so lange, bis die Krise entweder irgendwie überstanden ist oder sich ein akutes Problem in ein chronisches verwandelt hat. Dann ist oft eine Krankenhausbehandlung nötig.
Was muss sich ändern?
Es hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung und Sensibilität für psychische Erkrankungen schon viel getan, das begrüße ich sehr. Dennoch kann vielen Kindern und Jugendlichen nicht geholfen werden. Arztpraxen und Krankenhäuser stehen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck und sind auch jetzt wieder von Budgetkürzungen betroffen. Diese Kürzungen bedeuten, dass der einzelne Patient weniger Leistungen erhalten darf, da diese teils nicht mehr vergütet werden.Die Behandlung vor allem von Kindern und Jugendlichen muss verlässlicher vergütet werden. In Krankenhäusern fehlt vor allem Pflegepersonal. Hier ist es wichtig, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die man mit seiner Familie vereinbaren kann und die fair vergütet werden. Ansonsten kann die Versorgung nicht mehr gewährleistet werden.
Sie haben ein Buch darüber geschrieben, wie Eltern eine gute Beziehung zu ihren Kindern aufbauen können. Eigentlich wollten Sie kein neues Buch schreiben, steht auf Ihrer Website. Warum haben Sie es nun doch getan?
Ich habe ja schon mal Jugendromane geschrieben und gemerkt: Dabei muss man richtig abtauchen. Das ging ganz gut in meinen ersten Jahren als Klinikarzt, aber nicht mehr in unserer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Aber das neue Buch ist kein Roman, sondern ein Ratgeber für Eltern. Ich habe in der Praxis gemerkt, dass viele Themen wieder und wieder auftauchen. Daher wollte ich zunächst eine Broschüre schreiben, um sie den Eltern mitzugeben. Als ich dann mit dem ersten Kapitel fertig war, war mir klar, dass das mehr wird. Es ist ein richtiges Herzensprojekt geworden. ...