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Köpfe aus der Kiste

Foto: Elena Winterhalter

Behutsam setzt Florian Moch das Messer am linken Nasenflügel an. Die scharfe Klinge gräbt sich bei geringstem Druck in das weiche Lindenholz. Die Werkbank und der Boden sind übersät mit gekringelten Spänen und feinem Holzstaub. Von Elena Winterhalter

Die Werkbank und der Boden sind übersät mit gekringelten Spänen und feinem Holzstaub. Behutsam setzt Florian Moch das Messer am linken Nasenflügel an. Die scharfe Klinge gräbt sich bei geringstem Druck in das weiche Lindenholz. Die Werkbank und der Boden sind übersät mit gekringelten Spänen und feinem Holzstaub. Mehr und mehr der angezeichneten Bleistiftlinien verschwinden unter dem Schnitzmesser und aus dem zehn mal zehn Zentimeter großen Holzklotz schält sich ein Gesicht.

Moch ist Puppenspieler bei der Augsburger Puppenkiste. Seit fünf Jahren zieht er hier die Fäden und hat bereits einigen Holzklötzen Charakter verliehen. Dabei ist ihm schon viel Prominenz untergekommen. Merkel, Gabriel, Bela B - sie alle gehören mittlerweile zum Fundus des Marionettentheaters. Die Politiker treten im Moment sogar jeden Abend beim Kabarett auf.

Aber wie wird aus einem Lindenblock ein Gesicht mit Wiedererkennungswert? „Unsere Marionetten sind eine Form der Karikatur. Deshalb ist es wichtig, die markantesten Merkmale der Person herauszuarbeiten. Die werden dann überspitzt in das Gesicht eingearbeitet", erklärt der 30-Jährige. „Bei Angela Merkel sind es vor allem die Falten in der Mundpartie und um die Augen."

Rund 15 Stunden sind nötig, um einen Puppenkopf zu schnitzen, weitere 35 Stunden nehmen Körper und Kostüm in Anspruch. „Die größte Herausforderung sind bekannte Persönlichkeiten und schöne, gleichmäßige Gesichter wie zum Beispiel Kinder oder Prinzessinnen", sagt Moch. „Bei einem Räuberhauptmann ist es dagegen egal, wenn das Grinsen ein bisschen schief gerät." An eine Skizze hält er sich dabei nicht. „Die sind für mich höchstens Merkzettel, damit ich Ideen nicht vergesse", erklärt er. Die Gesichtszüge entstehen im Laufe des Schnitzens mit Routine, Augenmaß und Gefühl.


Inzwischen hat er dem Lindenkopf den buchstäblich letzten Schliff verpasst. Das unbehandelte Holzgesicht wird jetzt bemalt. Eine Räuberhauptfrau soll es werden - dramatisch und wild. Zusammen mit den Scheinwerfern auf der Bühne verleiht die Ölfarbe der Holzoberfläche einen hautähnlichen Schimmer. Die fertig bemalte Räuberhauptfrau hat im Herbst ihren ersten großen Auftritt, wenn die Bremer Stadtmusikanten in der Kiste Premiere feiern. Das Drehbuch hat Moch geschrieben. Es ist bereits das zweite nach dem
Zauberer von Oz. Sein Handwerk hat er sich als Jugendlicher selbst beigebracht, indem er alles über das Schnitzen und Puppenbauen gelesen hat, was ihm in die Finger kam. Mit 19 Jahren schnitze er die erste eigene Marionette. Es folgten kleinere Projekte und ein Kurzfilm, bis er 2011 bei der Puppenkiste anfing.

Mit seiner Arbeit tritt der junge Mann in große Fußstapfen. Hannelore Marschall, die Mutter des Theaterleiters Klaus Marschall, hat nicht weniger  als 6000 Figuren ein Gesicht geschenkt und Sohn Jürgen Marschall setzte diese Tradition fort. Jim Knopf, Urmel, und der Hotzenplotz – ihr Stil prägt die Puppenkiste bis  heute maßgeblich. „Manchmal fragt man sich, ob nicht schon alle Gesichter geschnitzt sind“, sagt Moch. Es ist ein Spagat zwischen eigenem Stil und Puppenkistentradition.

Typisch für Marionetten ist zum Beispiel das markante Verhältnis zwischen Kopfund Körpergröße. Bei einem Menschen beträgt das Verhältnis eins zu sieben. Der Körper der Figuren ist dagegen nur fünfmal so groß wie der Kopf. Auf diese Weise sind die Gesichter der Figuren auch noch in den hinteren Rängen des Theaters gut zu erkennen. „Es kommt aber nicht nur auf den Kopf an“, weiß Moch, der einige seiner Puppen auch selbst spielt. Etwa Angela Merkel im aktuellen Kabarett. Letztendlich ist es der Puppenspieler, der die Marionette mithilfe vieler Fäden und den Vorgaben des Drehbuchs lebendig wirken lässt. Gestik und Bewegung sind also ebenfalls entscheidender Bestandteil des Charakters einer Figur.  „Deshalb kann unsere Merkel-Puppe die berühmte Raute bilden“, verrät Moch und zieht den entsprechenden Faden.
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