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KZ-Filmdokument - Leichenzug der Lügner

Die Antwort der Stadtbewohner überraschte die US-Soldaten kaum. "Während unseres Feldzuges hatten wir gelernt, Bekenntnissen der Zivilbevölkerung zu misstrauen", erinnerte sich Fuller. "Jeder Araber in Nordafrika war gegen die Nazis. Jeder Franzose schwor Gefolgschaft auf die Freien Französischen Streitkräfte. Sizilianer hassten Mussolini. Belgier hassten Hitler. Und immer mehr Deutsche waren nie NSDAP-Mitglied gewesen."

Eine ungewöhnliche Lektion

Aufgebracht und angewidert angesichts dieser so offensichtlichen Lüge bestellte Richmond die befragten Falkenauer für den kommenden Tag ins Konzentrationslager ein. Insgesamt 14 Männer. Wer nicht erscheine, ließ er verlauten, werde sich vor einem Erschießungskommando wiederfinden. Und dann fragte er Fuller: "Haben Sie noch die Kamera, die Ihre Mutter Ihnen geschickt hat? Holen Sie sie!"

Fuller, der vor dem Krieg erst als Polizeireporter für eine New Yorker Boulevardzeitung gearbeitet hatte und später als Drehbuchautor und Schriftsteller in Hollywood, ließ sich nicht lange bitten. Er hatte sich freiwillig zur Armee gemeldet und einen Schreibtischplatz dankend abgelehnt, weil er meinte, nur als Infanterist "der Wahrheit auf die Spur" zu kommen. Jetzt hatte er die Chance "das größte Verbrechen des Jahrhunderts aufzudecken". Nie zuvor hatte er einen Film gedreht. Dies war sein Debüt.

Am Morgen des 9. Mai machten sich 14 Falkenauer auf den kurzen Weg in das Lager. Schweigend durchschritten sie das Tor zwischen den beiden Wachtürmen, an dem das stählerne Schild mit der Inschrift "Konzentrationslager Falkenau" befestigt war. Richmond ließ sie im Kreis antreten und gab ihnen einen klaren Befehl: Kleidet die Toten an und begrabt sie. Er wollte, wie es der französische Kunstphilosoph Georges Didi-Huberman beschrieb, "eine Situation schaffen, die, wenn nicht das Verbrechen als solches (...) so doch wenigstens diese Lüge (des Unwissens) bestrafte. Und angesichts solch unermesslicher Würdelosigkeit eine Geste der Würde erzwingen." Die Bürger von Falkenau sollten nie wieder behaupten können, nichts gewusst zu haben.

Leichenkarren durch die Stadt

Fuller platzierte sich mit seiner 16mm-Kamera auf einem Erdwall und filmte das gesamte Begräbnisritual: Zwei Falkenauer tragen die erste Leiche an Armen und Beinen aus einer der dunklen Baracken. Die Überlebenden des Konzentrationslagers erheben sich andächtig. Ein abgezehrter Körper folgt dem anderen. Sie werden auf weiße Bettlaken gelegt. Dann gehen die 14 Männer zu einem alten Pferdekarren und holen Hemden und Hosen heraus. Fuller schwenkt auf einen Falkenauer, der vor einer ausgemergelten Leiche kniet und ein Hosenbein über den knochigen Fuß ruckelt. Der Kopf des leblosen Körpers kippt dabei erst nach rechts, dann nach links, und schließlich nach hinten. Der Mund und die Augen sind weit geöffnet, die Qualen des Todes unauslöschlich ins Gesicht geschrieben.

Schließlich ziehen die 14 Männer die Leichen auf Holzkarren zum Friedhof. Der Weg führt mitten durch ihre Stadt, vorbei an einheimischen Zuschauern, die sich am Straßenrand versammelt haben. Bedrückendes Schweigen. Auf dem Friedhof werden die Toten in ein Massengrab gelegt. Ein vielleicht 14-jähriger Junge, der noch in einer Uniform der Hitler-Jugend steckt, legt ihre Streichholz-dünnen Arme vor der Brust gekreuzt übereinander. Ein anderer Mann überdeckt die Leichen mit weißen Tüchern. Ein Geistlicher spricht ein knappes Gebet. Erde wird über die reglosen Körper geworfen. Die KZ-Überlebenden, die sich lange genug auf den Beinen halten können, halten eine Ehrenwache. Sie wurden "mit Würde beerdigt", schrieb Fuller fünf Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen.

Ihn selbst lässt die herzzerreißende Zeremonie am 9. Mai 1945 wie betäubt zurück.

Als Fuller 1946 in die USA zurückkehrt, vergräbt er die Filmrolle in der hintersten Ecke eines Schrankes, so als wolle er die Erinnerung an diese Tage in den letzten Winkel seines Herzens verbannen. Vier Jahrzehnte später kommentierte er seine erste Regietätigkeit mit den Worten: "Der Film mag aussehen wie die Arbeit eines Amateurs. Die darin gezeigten Morde aber waren von Fachmännern."

Zum Weiterlesen:

Fuller, Samuel: A Third Face. My Tale of Writing, Fighting and Filmmaking. New York, A. Knopf, 2002

Zum Weitersehen:

"Falkenau, the Impossible", Regie: Emil Weiss (1988)

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