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Meine Angst vor einem Kind mit Behinderungen - DER SPIEGEL - Familie

Bis vor zwei Jahren dachte ich, ich sei mutig. Ich bin die Frau, die zu Fuß über die Anden läuft, ohne Karte. Aber das hier macht mir Angst: schwanger zu werden. Eine eigene Familie zu gründen war immer ein Wunsch - jetzt ist er möglich. Die Selbstständigkeit ist aufgebaut, der richtige Mann endlich gefunden. Familie und Freunde beobachten bereits aufmerksam, ob ich noch Alkohol trinke.

Und ich? Als die Angst mein Leben kapert, bin ich 38. Was, wenn ich ein behindertes Kind bekomme?

Für meine Freundinnen kein großes Ding: Es gibt ja die Pränatale Diagnostik. Ich habe das immer abgelehnt, aus Überzeugung. Weil mein Bruder das Downsyndrom hat. Weil ich will, dass es diese Menschen weiterhin gibt in unserer Gesellschaft. Ich hatte eine schöne Kindheit, nicht trotz, sondern mit meinem besonderen Bruder.

Und doch hämmert diese Frage in meinem Kopf: Wenn ich schwanger wäre, welche Art von Diagnostik würde ich machen?

Allein diese Frage zu stellen fühlt sich an wie Verrat. Die Angst macht sich breit. Schon bald jagt ein Hexenschuss den nächsten. Einige Monate später bin ich krankgeschrieben: doppelter Bandscheibenvorfall. Ich mache der Welt und auch mir selbst vor, dass alles halb so schlimm ist. MRT, Physiotherapie, Reha. Nichts hilft. Andeutungen der Ärzte, das Ganze könnte psychosomatisch sein, finde ich empörend. Noch weiß ich nicht, dass ich neun Monate lang kaum werde schlafen können. Sitzen und Liegen sind unmöglich, nur im Laufen lassen die Schmerzen nach. Es gibt Nächte, in denen ich weinend durch Neukölln laufe und Angst habe, verrückt zu werden.

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