Mit dem Schwein ist es wie mit einem Photon in der Quantenphysik. Indem man es beobachtet, verändert man sein Verhalten.
Die Frage lautet: Wie geht es dem Schwein, bevor es zur Wurst wird? Der Stall, in dem die Antwort zu finden ist, steht ziemlich sperrig da im Nieselregen Niedersachsens. Wer reingeht, scheucht die Tiere auf. Sie springen hysterisch hoch und grunzen wild durcheinander. Das wahre Leben der deutschen Hochleistungsschweine erkennt man nicht vis-à-vis, sondern nur aus der Distanz: Man muss vorsichtig von draußen durch das Fenster des Stalls hineinsehen, sodass die Schweine nicht merken, dass sie beobachtet werden. Dann sieht man die Wirklichkeit; die große Müdigkeit. Zweihundert Schweine liegen auf dem Plastikboden und schlafen. Jetzt. In einer Stunde. Zwei Stunden später auch. Nur manchmal fressen ein paar, manchmal kämpfen zwei gegeneinander.
Sie präferieren sonst offenbar die Wärme und das Träumen und schlafen dicht aneinanderliegend. Sie mögen es ruhig und warm und satt, die Schweine. Zumindest gegeben der Umstände, unter denen sie leben. Sie kennen das Leben ja überhaupt nicht anders. Sie kennen es nur ohne Bäume und Wühlschlamm, ohne Schneeregen, Erkältungen, Würmer und ohne andere Tiere, die sie ärgern wollen. Alle Unannehmlichkeit wird aus dem Leben herausgehalten, damit sie gut fressen und fett werden. Sie haben überhaupt keine Sorgen hier, in dieser tristen grauen Halle.
Auf dem Masthof im Südwesten von Niedersachsen leben etwa 2500 Schweine und 200 Sauen mit Ferkeln. Und ein Eber. Sie leben wie die meisten der knapp 30 Millionen deutschen Schweine. Bis zur Schlachtung haben sie sorglose 20 Wochen.
Das Leben beginnt im Ferkelstall. Da passieren auch mal Dramen. Wie das des Neugeborenen, das zur Mutter tapste und nach der verkehrten Zitze schnappte. Es erwischte eine verkümmerte Zitze, die schlaff war wie eine Trockenpflaume. Versuchte das Ferkel seitdem, an einer der vollen Zitzen zu trinken, wurde es von den Schweinchen, die gute Trinkstellen für sich reserviert hatten, mit Bissen verjagt. Einer Schweinemutter ist das egal. Der sind die Ferkel wurst. Das Kleine ist voller Kratzer. Es ist ein Einzelschicksal. Alle anderen sind rein rosa.
Etwa zweihundert Ferkel stehen in dem Sauenstall herum bei ihren Müttern in Parzellen. Dreizehn Neugeborene hat etwa die Sau Nummer 6078, welche selbst am 12.2.2011 geboren worden war in einem modernen Zuchtsauen-Erzeugungsbetrieb im Sauerland. Diese Ferkel hier sind, so steht es auf einem Zettel, der über der Sau 6078 von einem Bindfaden hängt, ihr vierter Wurf. Die Sau darf so lang leben, wie sie ordentlich wirft. Manche werden sogar fünf Jahre alt. Kommen weniger Ferkel, kommt die Sau in den Schlachthof. Sie steht unter krassem Leistungsdruck, aber sie kriegt davon überhaupt nichts mit.
Draußen schneite es am Tag der letzten Geburten, doch auch das merkte kein Schwein. Im Stall war es 20 Grad warm für die Sauen und 38 Grad in den allzeit beheizten Ferkelnestern. Wie immer. Die Lüftung pustete leise, die Sauen kreißten.
Hier in der Abferkelbucht wird die Sau, dreihundert Kilo schwer, von Eisenstangen fixiert. Sie kann einige Zentimeter vor, zurück und zur Seite tippeln. Sieben Prozent der Liegefläche Spalten, der Rest Boden, nach EU-Vorschrift. Das Eisenkorsett hat der Bauer nicht gemacht, um die Sau zu ärgern. Sondern, damit sie keines der kostbaren Ferkel in den ersten Tagen platt drückt. „Das ist praktizierter Tierschutz", sagt er ernst. Ganz wegsperren kann er den Tod aber nicht. Eines von zehn Ferkeln überlebt nicht.
Die anderen sind versorgt. Sie bekommen vier Impfungen, damit sie gesund bleiben. Die Männchen erhalten eine Betäubungsspritze, bevor ihr Hoden entfernt wird. Bald wird eine Narkose Pflicht werden. Die Kastration wird gemacht, weil Eberfleisch stinken kann.