Vom gefeierten YouTube-Star zum Grammy-Gewinner. Jacob Collier hat gerade mit "Djesse" sein zweites Album veröffentlicht. Das Jazz-Wunderkind legt darauf deutlich an Reife und Struktur zu - und das, obwohl er erst ein Viertel seiner Möglichkeiten offenbart.
2011 war das Jahr des Jacob Collier. 2011 hat die ganze Welt mitbekommen, was der 17-Jährige im kleinen Musikzimmer seiner Eltern so macht. Musikvideos zum Beispiel. Und Musik für diese Videos. Am liebsten Coverversionen von Stevie Wonder und Co., bei denen er alle Instrumente selbst einspielt und Gesangsparts mehrstimmig aufnimmt. Im Video dann: sein jünglinghaftes Gesicht sechsfach nebeneinander. Ein bisschen verstörend das Ganze, aber auch ziemlich beeindruckend.
Über Nacht wird der Londoner Junge so zum Youtube-Star und wenig später auch zum inoffiziellen "Prince of Modern Jazz". Das ist jetzt acht Jahre her. Seither wurde Jacob Collier von Jazzlegende und Über-Produzent Quincy Jones unter Vertrag genommen, hat zwei Grammys gewonnen, an der Bostoner Tech-Institution MIT ein eigenes "Musikgerät" erfunden und die Royal Albert Hall zu seinem Wohnzimmer gemacht.
Jacob Colliers zweites AlbumJacob Collier - Djesse Vol.1 | Bildquelle: Universal Music Nun kam im Dezember letzten Jahres sein zweites Soloalbum heraus. Und: sein Stil und Auftreten haben deutlich an Kante zugelegt. Das Debütalbum "In my Room" hatte Jacob noch im Musikzimmer seiner Jugend aufgenommen. Auch "Djesse" hat in diesem zum Studio umfunktionierten Kinderzimmer angefangen, aber auf dem Weg zum fertigen Album dann deutlich professionellere Produktionsweisen durchschritten. Dies bringt dem Projekt mehr Struktur, mehr Reife. Gleichzeitig könnte die Platte nicht bunter und verspielter sein. Angefangen bei der Umsetzung auf Jacobs Homepage: Dort sieht der Besucher über die ganze Seite Colliers Gesicht, unterteilt in vier Flächen - oder Elemente: Feuer, Wasser, Kosmos und Natur. Bei jedem Klick auf ein Element wird ein zufälliger Schnipsel des Albums abspielt. Dieses Design ziert außerdem das Cover der Platte.
Das Motiv der Vierteiligkeit ist natürlich nicht ganz zufällig gewählt: auch "Djesse" selbst wird nämlich in vier Teilen über das Jahr 2019 hinweg verteilt erscheinen. Das "Jazz-Wunderkind" hat seit 2018 mal eben über vierzig Songs geschrieben und war in der ganzen Welt unterwegs, um sich mit ausgewählten Musikern aller Genres zusammenzutun. Auf "Volume 1" sind davon unter anderem Voces8, Quincy Jones, Steve Vai und der marokkanische Gimbri-Spieler Hamid El Kasri vertreten. Außerdem wird der inzwischen 24-jährige Musiker fast auf dem ganzen Album vom Metropole Orkest begleitet. Vor allem bei der innovativ-funkigen Nummer "With the Love in My Heart" kann die Formation ihre weltbekannte Intensität so richtig ausspielen.
Die erste Single-Auskopplung hat sehr viel Soul, wirkt mal repetitiv, mal getragen und bringt mit Sprüngen und Brüchen mehrere musikalische Themen unter einen Hut.
Jacob zusammen mit seiner MutterEmotionaler Höhepunkt ist wahrscheinlich das vorletzte Lied, bei dem Mama Collier, eine renommierte Dozentin und Dirigentin an der Royal Academy of Music, mit von der Partie ist. Zusammen schaffen Mutter und Sohn mit "Once You" ein besonders verträumtes, liebevolles Stück.
Unter dem Strich zeigt der erste Teil der Tetralogie "Djesse", dass das Londoner Multitalent ganz spezieller, unverkennbarer Sound auszeichnet. Und auch wenn Jacob Collier seine beeindruckenden Fähigkeiten noch nicht vollständig ausschöpfen kann, hat dieses Album seinen Platz unter den Großen des jüngeren, modernen Jazz verdient. Dafür sind zwischen der sphärischen, reduzierten a cappella-Eröffnungsnummer "Home Is" und den beiden äußerst eingängigen Coverversionen wie "Every Little Thing She Does Is Magic" - einfach zu viele Perlen gestreut. Außerdem erinnert es zu sehr an Legenden wie Frank Zappa oder George Duke. Doch Achtung, an alle Fans, die sich jetzt schon auf den Weg in den Plattenladen machen: Ihr müsst euch noch ein wenig gedulden. Erst wenn alle vier Teile von "Djesse" online erschienen sind, kommt eine Deluxe-LP-Box in haptischer Form in die Ladenregale.
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