Um sich den Krieg vor Augen zu rufen, müssen Besucher der armenischen Hauptstadt Eriwan nur kurz ins Taxi steigen. Auf einem Hügel abseits des Stadtkerns mit seinen hippen Cafés liegt der Soldatenfriedhof Yerablur. Armenische Flaggen wehen über die Gräber, vereinzelt stehen Trauernde zwischen den weitläufigen Reihen, legen Blumen ab, weinen.
Die Grabsteine zeigen Porträts der toten Soldaten: junge Gesichter, viele waren kaum älter als 20 Jahre, als sie im Krieg gegen Armeniens Nachbarland Aserbaidschan starben. Ein unbefestigter Weg führt zu den neuesten Gräbern, die Erdhügel sind von Blumen bedeckt. Sie wurden erst vor wenigen Wochen ausgehoben.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion kämpften Aserbaidschan und Armenien mehrfach um die Region Bergkarabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, aber von Armeniern besiedelt war und für die armenische Nationalerzählung von zentraler Bedeutung ist. Im Jahr 2020 hatte Aserbaidschan im sogenannten 44-Tage-Krieg den Großteil der armenisch kontrollierten Gebiete eingenommen. Unter russischer Vermittlung wurde ein brüchiger Waffenstillstand ausgehandelt, dessen Einhaltung Moskaus Truppen sichern sollten. Doch Russland sah nur zu, als Aserbaidschan vergangenen September wieder eine Offensive startete und den Rest der Region unter seine Kontrolle brachte. Etwa 100.000 - und damit so gut wie alle der dort verbliebenen Armenier - verließen aus Angst vor aserbaidschanischer Gewalt überstürzt ihre Heimat.
Seitdem befindet sich die armenische Gesellschaft in einer Art Schockzustand...
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