Im Osten der Demokratischen Republik Kongo herrscht Krieg. Seit 20 Jahren. Immer wieder bekämpfen sich Rebellen und Regierungstruppen. Und beide Seiten setzen auch Kinder als Kämpfer ein. Das World-Vision-Projekt „rebound" hilft seit 2011 Jungen und Mädchen beim Ausstieg aus ihrem Dasein als Kindersoldaten oder Kinderprostituierte. Einer davon ist Patrice, der uns seine Geschichte erzählt hat.
Er ist erst 18 Jahre alt. Doch Patrice hat mehr erlebt, mehr erlitten und mehr Leid verursacht als in einem so jungen Leben Platz finden kann. „Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe", sagt Patrice. „Doch ich bin mir sicher, dass Gott mir verziehen hat. Und so will ich mir auch selbst verzeihen."
Seine Opfer können ihm nicht verzeihen. Sie sind tot. So wie die drei Nonnen, die Patrice ermordet hat. Die Soldaten der gegnerischen Milizen, mit denen er und seine Kameraden im ständigen Kampf lagen.
„Wie viele Menschen ich getötet habe, weiß ich nicht. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Und wir haben auch oft Drogen genommen."
Die ersten Menschen, die er sterben sah, waren seine Eltern. Mit ihnen war er auf dem Familienfeld, als mit Speeren bewaffnete Mai-Mai-Kämpfer ihr Dorf überfielen. Seine Eltern wurden hingemetzelt, Patrice, gerade neun Jahre alt, verschleppt. „Anfangs war ich für die Zubereitung von Hexenkräutern für die Kämpfer der Mai-Mai-Miliz zuständig. Ich hatte von meinen Eltern gelernt, wie man Heilkräuter macht. Die Kämpfer glaubten, davon würden sie unverwundbar."
Die Arbeit als Heiler machte ihn wertvoll für die Miliz. Dennoch sollte er lernen zu kämpfen, zu töten. „Wir haben dann an Gefangenen geübt. Die erfahrenen Kämpfer stachen mit Messern in die Körper der Gefangenen bis sie tot waren. Wir mussten die Messer rausziehen und noch einmal zustechen."
Dann kam der erste Einsatz. Er und ein paar Jungen sollten einen Deserteur suchen. Sie stießen auf eine kleine Gemeinschaft von Nonnen. Als diese ihnen nicht verraten wollten, wo der Deserteur steckt, zogen sie ihre Messer und töteten die Nonnen. „Danach war mir alles egal. Das Morden war wie Fußballspielen. Ich war innerlich tot."
Patrice schluckt seine Tränen herunter, während er spricht. Heute, als 18ähriger, trägt er noch immer eine Phantasieuniform. Eine verspiegelte Sonnenbrille. Von seinen Freunden wird er „Commander" genannt. „In ihren Augen war ich ein guter Soldat. Dabei waren wir nur wie Roboter."
Mal kämpfte seine Miliz gegen andere Rebellengruppen, mal gegen Milizen aus Ruanda oder Uganda, mal gegen Regierungssoldaten. Jahrelang ging das so weiter. Dann wurde seine Einheit von Regierungssoldaten besiegt und Patrice gleich wieder rekrutiert, diesmal auf Seiten der Regierung. Weitere zwei Jahre musste er weiterkämpfen, dann endlich gelang ihm die Flucht. Er versteckte sich bei Freunden, fand Unterschlupf bei Verwandten, lebte wochenlang im Busch. Doch er wollte raus aus diesem Getriebensein, Gefangensein in den Traumata seines Lebens.
„Freunde erzählten mir von „rebound", diesem Projekt von World Vision." Patrice wandte sich an die Mitarbeiter von „rebound", bat um Hilfe, erzählte von sich und seinen Erlebnissen. „rebound" ist ein Projekt zur Reintegration von Kindersoldaten und Kinderprostituierten. Jedes Jahr werden in Beni, einer Stadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo etwa 80 Kinder aufgenommen. Sie erhalten eine psychosoziale Betreuung, lernen Lesen und Schreiben und werden in einem Beruf ausgebildet. Anfangs war es hart für Patrice: „Ich wollte eigentlich nicht so viel über mich reden. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich nur dann mit der Vergangenheit leben und mir letztlich selbst verzeihen kann, wenn ich mich dem stelle, was ich getan habe. Und mir klar darüber werde, dass die wahren Schuldigen nicht wir Kindersoldaten sind."
Patrice lernte, Schuhe zu machen und vor allem zu reparieren. Heute hat er einen gut gehenden kleinen Laden an einer der Hauptstraßen von Beni. World Vision hat ihn mit einem kleinen Startkapitel und Grundkenntnissen in Buchführung ausgestattet. Er hat genug Kundschaft, um sein Leben eigenständig zu finanzieren, auch wenn er die Preise für seine Leistungen niedrig halten muss. „Viel wichtiger ist mir, dass ich einen sicheren und vor allem nützlichen Beruf habe. Vielleicht kann ich sogar eines Tages eine Familie gründen."
Um sein Geschäft herum stehen seine Freunde, die ihn immer noch „commander" nennen. Einer sagt: „Aber ein guter Schumacher ist er auch."
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