Es klingt wie in einem Krimi: Die Polizei knackt geheime Chats, in denen genau beschrieben wird, wann und wo Drogen- oder Waffenübergaben stattfinden werden. Auch Fotos der Beteiligten und deren Ausbeuten befinden sich in den Chats. Die Daten der Kriminellen konnten den Behörden regelrecht wie auf einem Silbertablett serviert werden.
So sind auch die Ermittlungsbehörden in der Hansestadt vielen Kriminellen auf die Spur gekommen: Vor Kurzem endete Bremens bislang größter Encrochat-Prozess vor dem Landgericht. Dabei wurden Daten des Messenger-Dienstes Encrochat, die von der französischen Polizei gehakt wurden, verwendet. Auch bei ähnlichen Verfahren gegen Drogen- und Waffenhändler waren diese Daten bereits hilfreich.
Sicherheitsbehörden sprechen von einer Art "Whatsapp für Kriminelle". Denn Encrochat war ebenfalls ein Messenger-Dienst - mit dem Unterschied, dass die Kommunikation verschlüsselt war. Das bedeutet, dass nur der gezielte Kommunikationspartner die gesendeten Daten wie Fotos, Text- oder Sprachnachrichten entschlüsseln kann. Da Encrochat als nicht zu knacken galt, war dieser Chat bei Kriminellen besonders beliebt. Zumindest bis der französische Geheimdienst verschlüsselte Nachrichten aus diesem Netzwerk geknackt hatte. Die sicher geglaubten Daten landeten bei der Polizei.
Gegründet wurde der in Europa ansässige Dienstleistungsanbieter im Jahr 2016. Neben dem Messenger wurden auch abhörsichere Mobiltelefone - sogenannte Kryptohandys - angeboten. Durch die Eingabe eines Codes wird eine versteckte Oberfläche sichtbar. Über diese läuft die verschlüsselte Kommunikation. Die Geräte wurden für rund 1000 Euro angeboten.
Mittels der Dienstleistungen haben Mitglieder Organisierter Kriminalität illegale Aktivitäten geplant und durchgeführt. Europol leitete zwischen März und Juni 2020 ein Ermittlungsverfahren gegen das Netzwerk ein. Französischen Ermittlungsbehörden gelang es, in das Encrochat-Netzwerk einzudringen. Sie haben ein Schadprogramm, also Malware, auf den jeweiligen Endgeräten installiert. Einige Monate später forderte Encrochat seine Kunden per Nachricht auf, die Handys zu entsorgen.
Das Unternehmen stellte im Juni vergangenen Jahres den Geschäftsbetrieb ein. Innerhalb kürzester Zeit kam es in den Niederlanden, Großbritannien, Schweden, Frankreich und anderen europäischen Ländern zu Festnahmen: Ermittler stellten Sprengstoff, Drogen, Schusswaffen und viele Millionen Euro Bargeld sicher. Die Daten mit Deutschlandbezug wurden an die deutschen Sicherheitsbehörden übergeben.
Mehrere Monate lang konnte die Polizei unbemerkt die Kommunikation von vielen Drogenhändlern verfolgen. Das löste eine europaweite Verhaftungswelle aus. Nach Informationen des NDR sollen die in Deutschland vorliegenden Chat-Nachrichten Details über große Rauschgiftgeschäfte sowie Handel mit Kriegswaffen, Sprengstoffen und anderen illegalen Substanzen beinhalten.
Laut Angaben des Bundeskriminalamtes hatte Encrochat zum Zeitpunkt seiner Schließung etwa 60.000 Abonnenten. Bis Juli 2020 gab es allein in Europa mindestens 800 Festnahmen, insgesamt wurden über 1000 Menschen festgenommen. Das Bundeskriminalamt habe laut eigenen Angaben mehrere hunderttausend Chatverläufe geprüft. Dabei werden Ermittlungen gegen etwa 3000 in Deutschland ansässige Nutzer geführt. Auch in den Niederlanden laufen Ermittlungen gegen zahlreiche Kriminelle.
In Bremen gibt es bisher insgesamt sechs Strafverfahren am Landgericht, weitere sind in Vorbereitung. Im vergangenen Jahr richtete die Polizei in der Hansestadt zur Aufarbeitung der Daten die Aufbauorganisation „Thor" ein. Bei dieser wirkten 40 bis 45 Ermittlungskräfte mit, die Daten aufzuarbeiten. Bis Mai dieses Jahres wurden rund 500 anonymisierte Encrochat-Handys ausgewertet. Wenn der Nutzer identifiziert werden konnte, wurden entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Bis Anfang September wurden 22 Haftbefehle erwirkt. Davon wurden 19 vollstreckt, drei Menschen sind international zur Fahndung ausgeschrieben. Bei Hausdurchsuchungen wurden Rauschgifte, Schusswaffen, Fahrzeuge, Bargeld und Elefantenstoßzähne beschlagnahmt. Von den kriminellen Enchrochat-Nutzern aus Bremen hatten 52 Personen Bezüge zur Clankriminalität.