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An den Grenzen dessen, was man rappen darf

Ben Salomo war eine der zentralen Figuren des deutschen Battlerap. Dann kehrte er der Szene den Rücken. 



Das große Dilemma des Ben Salomo spiegelt sich in einer kleinen Szene in einem verrauchten Berliner Klub im Hochsommer 2017. Für diesen Abend ist die lang erwartete Show angekündigt, das Bi Nuu am Schlesischen Tor ist bis zum Anschlag gefüllt.

Das junge Publikum starrt gebannt auf die Bühne, auf der Salomo zwischen zwei Künstlern steht. Ssynic und Mighty Mo. Den Finalisten von „Rap am Mittwoch“, einem Battlerap-Format, in dem es darum geht, den Gegner auf der Bühne möglichst kreativ zu degradieren. Verbaler Kampfsport. Die Veranstaltung wird live im Internet übertragen.


Beide Rapper sind Publikumslieblinge, beide sind routinierte Künstler. Gute 45 Minuten haben sie einander gerade a cappella erniedrigt, keine Beats, bloße Verbalaggression. Dann versucht Mighty Mo seinen Gegner mit dem Hinweis auszustechen, dass dieser ja eigentlich viel zu nett für Rap sei und sowieso in der Hip-Hop-Szene nicht viel verloren habe.

„...weil du probierst, dich in einem Bereich breitzumachen/ in dem du absolut nichts zu suchen hast/ und damit machst du es verdammt noch mal genauso / wie das israelische Judenpack“, rotzt er in sein Mikrofon. Kurze Pause. Im Publikum wird es für wenige Sekunden ruhig. Dann geht die Show weiter. Am Ende des Abends entscheidet die Jury, dass Mighty Mo das Battle gewonnen hat.


Ben Salomo, selber Jude und Veranstalter der Show, muss ihm das Preisgeld überreichen. Es ist nicht so, dass es in der Vergangenheit im Battlerap nicht zahlreiche Lines gegen Juden gegeben hätte. Oder gegen Frauen. Oder gegen Behinderte. Oder gegen Muslime. Es ist nicht so, dass bei „Rap am Mittwoch“ nicht ständig moralisch grenzwertige Lines gebracht worden wären. Dass da nicht gerappt wurde, dass jemand „außer Kontrolle gerät wie der Gaszähler von Hitler“.


Einmal hat ein Rapper auch angekündigt, dass er die muslimische Mutter seines Kontrahenten „Doggystyle Richtung Mekka vögeln“ wolle. Die Grenzüberschreitung war immer Teil der Show, weil die Grenzüberschreitung, die Verächtlichmachung des Gegners zum Grundprinzip des Battlerap gehört. Ben Salomo hat das oft verteidigt.

Aber nicht dieses Mal. Dieses Mal geht ihm die Beleidigung zu weit. Am Rande der Bühne lobt er Mighty Mo für das ansonsten gelungene Battle. Aber ein Wort habe ihn gestört. „Judenpack. Das ist für mich ein rassistischer Begriff“, erklärt Salomo. „Das entspricht nicht meiner Hip-Hop-Ethik.“


Er distanziere sich von solchen Aussagen. Mighty Mo nimmt das Mikrofon in die Hand, zieht die Augenbrauen hoch und antwortet relativ gelassen: „Ich kann nur sagen, ich weiß leider nicht, was Ethik bedeutet.“ Er meint damit nicht, dass ihm ethische Grundsätze egal wären, sondern dass er wortwörtlich nicht weiß, was Ethik bedeutet. Er hat das Wort wohl vorher einfach noch nie gehört.


Ben Salomo wurde zu einem Aussteiger

Zwei Jahre später sitzt Ben Salomo in einem Berliner Café, hat einen dicken Schal um den Hals gebunden und ist sichtlich angeschlagen. Er hat eine Erkältung und eine lange Promo-Woche hinter sich. Gerade ist sein erstes Buch erschienen. „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ heißt es, und es ist die Konsequenz einer Entscheidung, die er vergangenes Jahr getroffen hat. Ben Salomo hat der Hip-Hop-Szene den Rücken gekehrt. Nicht wegen der Dinge, die auf der Bühne passiert sind. Sondern wegen der Dinge, die hinter der Bühne passierten. Aber das eine hat zwangsläufig auch etwas mit dem anderen zu tun. „Rap am Mittwoch“ jedenfalls ist Geschichte und Ben Salomo, der bürgerlich Jonathan Kalmanovich heißt, nun eine Art Aussteiger.


So wird er auch behandelt. Die Hip-Hop-Szenemedien ignorieren ihn konsequent, während sich die bürgerliche Presse um ihn reißt. Sie erhofft sich einschlägige Headlines, in denen das bestätigt wird, was man ja eh schon immer dachte. Hip-Hop sei antisemitisch. Hip-Hop sei frauenfeindlich. Hip-Hop sei menschenverachtend. Und Ben Salomo soll der Kronzeuge sein. Er muss es ja wissen. Schließlich war er ein Teil dieser Szene. Doch ist das alles wirklich so? Ist Hip-Hop, die größte, vitalste und einflussreichste Jugendkultur der Welt, wirklich so werteverfallen, wie sie scheint?


So einfach ist es nicht. Und auch Salomo differenziert sehr genau, wenn man ihm zuhört. Er weiß, wovon er spricht. Er war immerhin der Gründer und das Gesicht der erfolgreichsten deutschen Battlerap-Konzertreihe, die zahlreiche Künstler hervorgebracht hat: In der Frühphase standen dort Sido oder Frauenarzt auf der Bühne, später Karate Andi und Capital Bra, der gegenwärtig erfolgreichste Rapper des Landes, der die Chart-Rekorde der Beatles und von Abba knackt. Battlerap war ihr aller Sprungbrett. Eine Kunstform, die die verbale Erniedrigung des Gegners zelebriert, um die Gewalt von der Straße in die Kunst zu transformieren. Um die Aggression in etwas Produktives umzuwandeln. Ben Salomo war jemand, der das immer verteidigt hat. Dafür wurde er in der Szene geliebt.


„Erst wenn wir gelernt haben, über uns alle gegenseitig zu lachen, und dabei keine kleinen Eier bekommen, erst dann haben wir Normalität in diesem Land und in unserer gemeinsamen Hip-Hop-Kultur erreicht“, sagte er einmal nach einem kontroversen Battle. Sein Publikum lag ihm in diesem Moment zu Füßen. Heute findet sich viel Hass in den Kommentarspalten. Was hat sich geändert? „Eigentlich gar nichts“, sagt er. Battlerap möge verbaler Kampfsport sein, aber jeder Sport folge auch Regeln, sagt Salomo.


„Ich kann auch während eines Boxkampfes nicht einfach meine Handschuhe ausziehen und unter die Gürtellinie schlagen. Genauso ist es beim Battlerap. In dem Moment, wo eine Menschengruppe pauschal beleidigt wird, ist das ein Foulspiel.“ Es gehe dabei aber nicht darum, dass man das Judentum oder den Islam gar nicht beleidigen dürfe. Eine Religionspraxis zu kritisieren sei in Ordnung. Man dürfe den Papst oder Imame oder Rabbiner verbal herausfordern. „Blasphemie ist kein Rassismus“, sagt Salomo. Aber eine Grenze werde erreicht, wenn man Ethnien angreife. Das habe er auch immer schon so gesehen. Das sei sein Verständnis von Hip-Hop.


Irgendwann seien es nicht mehr bloß die Punchlines auf der Bühne gewesen, sondern rassistische Denkmuster, die in Form einer Punchline den Weg auf die Bühne gefunden hätten. Dadurch seien sie von den Hörern aufgenommen worden und reproduzierten sich auch hinter den Kulissen weiter.

Weil ein Rapper wie Mighty Mo vielleicht kein Antisemit sein mag, aber antisemitische Stereotype verbreitet, ohne es zu verstehen, ohne zu begreifen, wo seine Verfehlungen eigentlich liegen.


Hip-Hop als Lösung

Salomo hat unzählige solcher Diskussionen mit unzähligen solcher Rapper hinter der Bühne geführt. „Ich habe ja nichts gegen Juden, nur gegen Zionisten“, heißt es dort oft, und Salomo hat immer und immer wieder erklärt, was es denn mit dem Zionismus und dem Antisemitismus eigentlich auf sich habe. Ihm war das wichtig. Auch wegen seiner eigenen Biografie, in der er immer wieder Ausgrenzung aufgrund seiner Herkunft erfahren hat. Hip-Hop war für ihn eine Lösung dieser Probleme.


In den Anfangszeiten des Genres ging es gar nicht so sehr darum, wer du bist, woher du kommst oder was du hast. Es ging mehr um die Frage, wie man sich in die Kultur einbringt. Es ging darum, Grenzen zu überwinden. Hip-Hop basierte auf vier Elementen: Rap, DJing, Breakdance und Graffiti. In allen Bereichen ging es in erster Linie um Selbstermächtigung. Darum, Menschen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben. Menschen sichtbar zu machen, die nicht sichtbar waren.


Und wie bei allem im Hip-Hop ging es auch darum, Grenzen zu überwinden. Beim Rap waren das sprachliche Grenzen. Beim Breakdance körperliche Grenzen. Und beim Graffiti sind es soziale Grenzen, die eingerissen wurden. Beim Graffiti ging es um die Sichtbarmachung einer Minorität, die sich in einem urbanen Stadtbild nicht wahrgenommen fühlt. Es geht um den Grundsatz, dass jeder Mensch unabhängig von seinem Hintergrund gleich ist.


Doch die Kultur hat sich verändert. Es waren ausgerechnet Kollegah und Farid Bang, die das neue Verständnis in einem ihrer Songs verbalisiert haben. „Du sagst, du keepst Hip Hop real, doch wir halten/ Von deiner Definition von Hip Hop nicht so viel“ rappen sie in ihrem Song „Vier Elemente“. „Eure vier Elemente/ Es sind Sprayen gehen, Turntables, Breakdance und Rapshit/ Unsre vier Elemente / Es sind Geld zählen, Girls klären, Gangbang und McFit“. Damit haben sie das Paradigma einer ganz neuen Generation vorgegeben. Heute ist Hip-Hop nicht mehr von dem sozialen Grundgedanken geprägt, dass alle gleich sind. Heute ist das Narrativ des Hip-Hops ein darwinistisches Narrativ.


Die Starken setzen sich durch, die Schwachen bleiben auf der Strecke. Wer etwas hat, der ist auch etwas. Das ist das neue Leitmotiv der Kultur geworden. Auch Battlerap hat sich verändert. Zwar war „Rap am Mittwoch“ immer das erfolgreichste deutsche Livebattle-Format, aber gleichzeitig entwickelten sich im Internet Videobattle-Turniere, in denen sich die Kontrahenten nicht mehr persönlich gegenüberstanden, sondern einfach Clips gegeneinander drehten. Grenzen, wie Ben Salomo sie auf der Bühne gezogen hat, gab es im Internet nicht mehr. Die Runden wurden radikaler.


Es ging jetzt um Klicks – und je mehr Grenzen überschritten wurden, desto höher wurde auch die Aufmerksamkeit. Eine junge Generation ist mit einem ganz anderen Verständnis von Kunst aufgewachsen, mit einem Verständnis, das noch einen Schritt weiter geht. Noch radikaler ist. Man darf alles sagen. Es gibt keine Grenzen mehr, solange man sich im Rahmen eines Kunstwerkes befindet. Für sie ist das der große Moment der Gleichheit, darum haben sich auch wenige an der „Auschwitz-Line“ von Farid Bang gestört.

„Man kann die Hip-Hop-Kultur nicht umdefinieren“, beharrt Ben Salomo. „Man kann nur das Produkt umdefinieren, aber nicht die ganze Kultur.“ Das stimmt. Aber die Summe der Produkte bestimmt am Ende auch das Gesamtbild einer Kultur. Und das ordnet sich einem neuen Paradigma unter. Doch wenn die Kunst radikaler wird, drohen sich auch die falschen Denkmuster auszuweiten.


Ben Salomo steht jetzt zwischen allen Stühlen. Man kann durchaus sagen, dass er einer der Väter des deutschen Battlerap ist. Doch der deutsche Battlerap ist älter geworden. Vielleicht ist er in die Pubertät gekommen. Und seine neuen Protagonisten werfen Salomo nun vor, er habe seine Kultur verraten. Dabei ist das große Dilemma des Ben Salomo, dass er doch eigentlich immer nur für ihre Grundsätze kämpfen wollte.


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